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Zerrissen

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Endlich, endlich! geht es wieder los – der 1. FC Magdeburg startet mit seinem DFB-Pokal-Erstrundenmatch gegen den SV Darmstadt 98 in die Pflichtspiele der Saison 2020/2021. Normalerweise ist die erste Partie einer neuen Spielzeit ja schon etwas besonderes: Die Pause war lang genug, die Vorfreude ist groß, man ist (an)gespannt und neugierig, auf was für eine Art von Reise uns unser Verein in den kommenden Monaten wohl diesmal schicken wird.

Am Spieltag selbst ist irgendwie so eine eigentümliche Energie in der Stadt, der Club ist noch mehr Gesprächsthema als sonst, selbst bei denjenigen, die mit Fußball eigentlich nicht allzu viel am Hut haben. Kurzum: Es ist eine aufregende Zeit, in der zumindest für mich alles in dem Moment gipfelt, in dem auf der Nordtribüne zum ersten Mal wieder der Trommelrhythmus ertönt, die Arme in die Höhe gehen, eingeklatscht wird und ein knackiges „FUSSBALLCLUB MAGDEBURG! FUSSBALLCLUB MAGDEBURG!“ durch das Heinz-Krügel-Stadion donnert.

Gänsehaut. Feuchte Augen. Mega-Euphorie. Endlich wieder zuhause. Endlich wieder FCM.

Tja, und dann gibt es die Saison 2020/2021, in der vieles ähnlich, aber noch viel mehr ganz anders sein wird. Je näher der Zeitpunkt rückt, an dem der Schiedsrichter die Partie der Größten der Welt gegen die „Lilien“ freigibt, desto mehr Melancholie und Herzschmerz mischen sich in die Aufregung und die Vorfreude. Ich habe es eben noch einmal recherchiert: Diese Saison ist tatsächlich die erste in der Geschichte dieses Blogs, in der ich das erste Pflichtspiel meiner Mannschaft nicht live im Stadion verfolgen werde. (Außerdem stellte ich fest, dass nurderfcm.de mittlerweile in die neunte Spielzeit geht, was einigermaßen irre ist und mir mal ordentlich den Kopf platzen ließ.)

2012 gegen Auerbach gab es die „Aktion 10.000“, ein Jahr später eine ärgerliche und knappe Niederlage gegen Energie Cottbus im DFB-Pokal. Erinnert sich noch jemand an 2014? Da war Unions U23 zum Heimspielauftakt zu Gast, der Club machte aus einem 1:2 zur Halbzeit noch einen 3:2-Sieg. 2015, klar, Erfurt. Unvergessen, wie Lars Fuchs die Kugel kurz vor Schluss zum Drittliga-Debüt-Heimsieg ins Tor schweißte. Die folgenden vier Auftakte waren sportlich dann eher zum Vergessen und blieben trotzdem irgendwie hängen: 2016 gab’s ein 0:3 gegen Fortuna Köln, 2017 das Sonntagsschuss-Festival in Großaspach und ein 1:4, 2018 zeigte uns der FC St. Pauli, wie 2. Liga geht und 2019 schließlich entführte Eintracht Braunschweig die drei Punkte aus der Festungsstadt.

Auch 2020 wird es im ersten Spiel sicherlich wieder die eine oder andere Geschichte geben, die nur der Fußball schreibt und bei der man dabei gewesen sein muss, um zu verstehen, was da wirklich passierte. 5.000 Menschen könnten es werden am Sonntag. Und ich? Werde derweil auf der Couch sitzen und mich sicher dreitausend Mal über SkyGo ärgern. Da endet schon irgendwie eine Ära und ich merke einfach, wie es mir damit gar nicht mal so gut geht. Oder anders: Ich fühle mich ganz schön zerrissen zwischen der Vernunftentscheidung, mich auch mit Rücksicht auf die Familie des Risikos einer Veranstaltung mit 5.000 Menschen inklusive vorherigem, viereinhalbstündigem Corona-Roulette der Deutschen Bahn nicht auszusetzen und der krassen Sehnsucht nach Stadion, Leuten und einfach diesem Gefühl, das man nicht erklären, sondern nur leben kann. Ach, ach.

Wie das alles enden wird, kann ich mir schon denken: Allzu lange werde ich die Stadion-Abstinenz wohl nicht durchhalten können, letztlich siegt dann eben doch die Sehnsucht. Oder nur die Sucht. Oder die Leidenschaft. Was auch immer. Jedenfalls ist das kein Zustand, in dem ich hier nun schon seit ein paar Tagen gemütstechnisch vor mich hinvegetiere, soviel ist klar. Und es ist mal wieder völlig faszinierend, wie sehr mich dieser Fußball und noch viel mehr dieser Verein zu emotionalisieren vermag. Vielleicht ist das für den Moment ja auch die gute Nachricht, dass Corona diese eine Liebe eben nicht kleinkriegen kann. „Absence makes the heart grow fonder“ und so.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie ich reinkommen werde in eine Spielzeit, die zunächst erst einmal als Fernbeziehung beginnen wird. Gespannt bin ich außerdem (und da haben wir es wieder, ein Stück des normalen Saisonauftaktgefühls), wie die Mannschaft sich präsentiert, was sich im Vergleich zur letzten Spielzeit fußballerisch verändert hat und natürlich auch, ob wir dem klassenhöheren Gegner mal wieder ein Bein stellen können. Und vielleicht, nur eventuell, wird es mit SkyGo ja doch gar nicht so schlimm, wie ich es sehr, sehr dunkel in Erinnerung habe. (Ja, okay, da musste ich jetzt selber lachen. Aber hey, lachen ist ja wenigstens gesund.)

 

Beitragsbild: „This heart was torn“ von Erich Ferdinand via Flickr | Lizenz: CC BY 2.0

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