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Wo wir stehen

wo wir stehen

„Wo wir stehen / kann jeder sehen / es ist allgemein bekannt …“

Zugegeben, es war in den letzten Wochen eher ruhig hier im Blog, von der „Ein Spiel, zwei Perspektiven“-Reihe mit Sportfotos Magdeburg und den Gastbeiträgen von Jeremy bzw. „@virtualfootball“ zu taktischen Fragen und zur Person Otmar Schork einmal abgesehen. Nach dem letzten „Rundumschlag“ ließ ich es mit Meinungsstücken erstmal gut sein und längere Texte zu den einzelnen Spielen sparte ich mir ebenfalls. Das hat mehrere Gründe.

Zum einen wäre da die Unmöglichkeit des Stadionbesuchs, unter der die emotionale Bindung an den Club zunehmend mehr leidet. Also jetzt nicht in dem Sinne, dass der Verein mir egal wäre (tatsächlich ist das Gegenteil der Fall), nur ist es eben ein Riesenunterschied, ob ich meinen Club mit allem Drum und Dran live vor Ort erlebe und in gewisser Weise „fühlen“ kann oder ob ich mir „einfach nur“ ein Fußballspiel im Fernsehen anschaue. Letzteres packt mich emotional immer weniger, je länger die Stadionabstinenz dauert. Naja, und einfach nur Spielereignisse herunterzuschreiben, die jede*r mit einem „MagentaSport“-Abo ohnehin selbst sehen kann, bietet meiner Meinung nach genauso wenig Mehrwert oder zusätzliche Perspektive wie der gefühlt hundertste „Die Pandemie nervt, ich will wieder ins Stadion“-Text.

Außerdem ist es so, dass sich schon relativ früh in der Saison eine ganz unangenehme Mischung aus Ohnmacht und Lethargie breit gemacht hat, was sicher mit der Pandemie und ihren Auswirkungen, vor allem aber mit dem Umstand zu tun hat, dass das sportlich alles sehr gruselig ist, was der FCM so anbietet. Und dass für mich im Prinzip keine Weiterentwicklung zu erkennen ist, dafür aber Spiel um Spiel verstreicht und ich mich wirklich frage, wann genau und vor allem wie genau wir eigentlich mal anfangen wollen, in einer gewissen Regelmäßigkeit Punkte einzufahren. Und klar, diese Frage ließe sich natürlich jede Woche stellen, aber irgendwann kann das ja auch keiner mehr lesen. Also vergeht die Zeit, es tut sich – bis auf einen neuen Sportdirektor – wenig und irgendwie pegelt man sich so ein zwischen einer gewissen Machtlosigkeit, die zu wortwörtlicher Sprachlosigkeit führt, und einem „heute müssten wir so um halb 1 essen, um 14 Uhr kommt Fußball“, wo früher ein „morgen klingelt wieder zeitig der Wecker, aber ich freue mich auf die Leute und das Stadion; wir sehen uns dann morgen Abend wieder“ stand.

Nun ist so eine lethargische und tendenziell eher negative Haltung natürlich nicht unproblematisch, weil man schnell dazu neigt, alles, was so passiert (oder eben nicht passiert) vor dem Hintergrund dieses unguten Gefühls einzuordnen und zu bewerten. Vielleicht ist ja aber alles ganz anders. Eventuell spielt die Mannschaft besser, als ich es am Bildschirm wahrnehmen kann. Möglicherweise ist die Prognose für die nächsten Wochen und Monate ja doch gar nicht so schlecht. Kann ja sein, dass Thomas Hoßmang tatsächlich einen klaren Plan hat, wie das Team spielen soll und ich den bloß nicht erkennen kann.

Insofern ist es heute mal an der Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen. Vielleicht hilft ja ein Blick auf die Fakten, so ein bisschen aus dieser abstiegsangsbesetzten Lethargie auszubrechen. Irgendwo muss sie ja sein, die Zuversicht, die in dieser Saison irgendwann mal da war, sich aber längst verdünnisiert hat. Bestimmt ist alles gar nicht so schlimm. Schließlich haben wir ja jetzt auch vier Punkte aus zwei Spielen geholt. Strohhalme, ja, ja. Na und?

Also, werfen wir mal einen Blick auf die Zahlen nach 10 von 38 gespielten Partien und somit nach etwas über einem Viertel der Saison:

Der 1. FC Magdeburg hat nach 10 Spielen 8 Punkte auf dem Konto und steht auf Tabellenplatz 19. Als einzige Mannschaft auf einem Abstiegsplatz hat der Club alle bisherigen Punktspiele absolviert, Lübeck und Duisburg (jeweils ebenfalls 8 Punkte) haben ein Spiel weniger, dem SV Meppen mit 6 Punkten auf dem letzten Platz fehlen sogar noch zwei Partien. Gleiches gilt für Unterhaching auf der ersten Position über dem Strich. Gewinnt die Konkurrenz alle noch ausstehenden bzw. nachzuholenden Ansetzungen, was rechnerisch möglich ist, weil es keine direkten Duelle gibt, würde der Club das Tabellenende zieren und hätte, grob überschlagen, mindestens ein Spiel Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz.

8 Zähler in 10 Partien macht logischerweise einen Schnitt von 0,8 Punkten. Bei 28 noch ausstehenden Begegnungen und in der Annahme, wir hielten den Schnitt, würden wir am Saisonende bei 30,4, also gerundeten 30 Punkten landen – klar die Ausbeute eines Absteigers. Wir können auch andersrum rechnen: In den letzten 10 Jahren waren im Schnitt 41,7 Punkte für den letzten Nichtabstiegsplatz nötig – das Minimum waren 36 Punkte (2010/2011), 2018/2019 brauchte Eintracht Braunschweig 45 Punkte und das bessere Torverhältnis gegenüber Energie Cottbus. Um also bei mindestens (gerundeten) 42 Punkten zu landen, bräuchte der 1. FC Magdeburg in den verbleibenden 28 Partien einen Punkteschnitt von 1,2.

„Hinter der Oberfläche / dieser Spiegelfläche / sehen wir uns da, wo wir nicht sind. / Im Augenblick / kehren wir dorthin zurück / wo unser Schicksal uns bestimmt. / In die Situation / die uns gefangen nimmt …“

Eine Steigerung also von 0,4 Punkten pro Spiel. Und zwar ab sofort. Puh. Wo soll die herkommen?

Nur Unentschieden reichen rechnerisch nicht, das eine oder andere Spiel sollte man also schon gewinnen. Das Problem: Dafür müsste die Mannschaft halt mal auf’s Tor schießen. In der ersten Hälfte der Partie gegen den FC Bayern München II schaffte es Thomas Hoßmangs Mannschaft ganze zwei Mal (!), sich in den Strafraum zu kombinieren (3., 29. Minute). Gegen den 1. FC Kaiserslautern erinnere ich mich jetzt spontan an keine einzige Situation in Durchgang 1, in der der gegnerische Keeper einen Torschuss des FCM halten musste. Naja, und beim Treffer von Andi Müller in der zweiten Halbzeit streiten sich ja immer noch die Geister, ob das so gewollt war oder ob da einfach nur eine Flanke abgerutscht ist. Soll heißen: Wir haben große, große Probleme in unserem Offensivspiel, die Thomas Hoßmang in den bisherigen 10 Partien nicht in den Griff bekommen konnte. Trotzdem steht rechnerisch pro Paarung ein Treffer zu Buche, wenngleich es in drei von zehn Spielen keinen eigenen Torerfolg gab.

Wir kassieren allerdings pro Begegnung auch 1,8 Buden, was ja das nächste Problem aufzeigt: Auch die Abwehr ist unter Thomas Hoßmang nicht besser geworden. In nur einem Spiel (dem 2:0-Sieg gegen Türkgücü) bekam die Truppe kein Gegentor, sonst klingelte es immer mindestens einmal. Und das muss Sorgen machen, schließlich ist in der standardmäßigen Abwehrreihe eigentlich nur Korbinian Burger neu. Der wiederum ist aber eigentlich Innenverteidiger, spielt die Linksverteidigerposition nur übergangsweise und wohl in Vertretung für Leon Bell Bell, der in dieser Saison verletzungsbedingt noch keine Einsatzminuten sammeln konnte. Timo Perthel ist ebenfalls verletzt, Nico Mai als dritter etatmäßiger Linksverteidiger mit seinen 19 Jahren offenbar so gar keine Option.

Haben wir damit vielleicht auch ein Kaderproblem? Oder ist es so, dass die vorhandenen und gesunden Spieler nicht so eingesetzt werden, dass sich trotz der Ausfälle die Chancen auf ein erfolgreiches Fußballspiel erhöhen? Beide Fragen gehören ins Reich der Spekulationen, klar, dafür müssten Spieler wie Mai ja erstmal spielen bzw. die Spielidee irgendwie sichtbar anders sein als „hoch und weit bringt Sicherheit“. Was übrigens das nächste Thema ist:

Es ist ja nun nicht so, dass gar nichts probiert wird. Im Gegenteil, hin und wieder finden schon Veränderungen statt, die dann auch Erfolg zeitigen – wie zum Beispiel gegen Bayern München II, als Thore Jacobsen den Libero gab und das gut funktionierte. Das Problem ist nur: Solcherlei Kniffe sieht der nächste Gegner ja auch und stellt sich entsprechend darauf ein, weil er sich mit einiger Sicherheit darauf verlassen kann, dass der FCM das, was im letzten Spiel erfolgreich war, im nächsten wieder einsetzen wird – unabhängig vom Kontrahenten und dessen Spielweise. Die Überraschung klappt also bisher immer nur einmal, in allen anderen Fällen ist der Club einigermaßen leicht auszurechnen – auch, weil die Veränderungsvarianten im Spiel selbst ebenfalls recht überschaubar sind.

Naja, und dann kommt eben noch eine Sache dazu, die man am ehesten unter dem Kampfbegriff „Mentalität“ verbuchen kann. Also ernsthaft jetzt. Was ich meine, ist, dass der Club in dieser Saison kein Spiel, bei dem er in Rückstand geriet, noch in einen Sieg drehen konnte (wobei unser limitiertes Offensivspiel da sicher auch einen Anteil hat). In fünf Fällen gab es glatte Niederlagen (Halle, Köln, Dresden, Verl, Mannheim), einmal, gegen Kaiserslautern nämlich, reichte es wenigstens noch zu einem Punkt. Knappe Vorsprünge über die Zeit zu bringen, fällt dem Club ebenfalls schwer. Bei den beiden Siegen traf der Club zweimal, in München kassierte man den Ausgleich eine Viertelstunde vor Schluss, gegen Wiesbaden fiel man nach dem Führungstor unerklärlicherweise so auseinander, dass den Gästen noch zwei Treffer gelangen und das Spiel verloren ging.

Woran das liegt, ist von außen natürlich so gut wie gar nicht einschätzbar. Mutmaßen kann man sicher, dass dem Kader die Spieler fehlen, die die Truppe auf dem Platz zusammenhalten, die mit gutem Beispiel und mächtig Selbstvertrauen vorangehen und/oder die die individuelle Klasse haben, zur Not halt einfach selbst die Entscheidung zu erzwingen. Da kann ich dann als damals-noch-Sportdirektor selbstverständlich die Mannschaft in die Pflicht nehmen – Persönlichkeitstypen ändern sich dadurch freilich nicht. Was auch nicht hilft, ist, jede Woche zu betonen, wie toll doch das Training war und wie dufte die Stimmung in der Mannschaft ist. Nicht falsch verstehen, es ist toll, wenn Menschen bei der Arbeit Spaß haben – nur hilft es am Ende niemandem, wenn wir mit dem bestgelaunten Kader der Liga absteigen.

„Auf dem Weg näher zu Dir / gehe ich durch eine Tür / die den Umriss von uns beiden hat. / Und alles, was ich denken kann / liegt fern von jenem Ort und dann / wird alles seltsam glatt.“ (Tocotronic – Näher zu Dir)

So. Wenn es das Ziel war, mir mit dem Schreiben dieses Textes hier ein etwas besseres Gefühl zu ergaunern, dann habe ich das krachend verfehlt. Klingt alles nicht so toll irgendwie, wenn ich mir das jetzt hier noch mal gesammelt vor Augen führe. Und vor allem lande ich bei allen Überlegungen zur aktuellen sportlichen Lage am Ende immer beim Trainer, was mir tatsächlich unheimlich leid tut. Ich mag Thomas Hoßmang als Person eigentlich, wir hatten ihn bereits im Podcast zu Gast und durften ein tolles Gespräch mit ihm führen. Vielleicht fällt es mir deshalb auch so schwer, auszusprechen, was schon seit einiger Zeit relativ deutlich im Raum steht: Ich habe inzwischen große Zweifel, ob das mit dem 1. FC Magdeburg in dieser Trainerkonstellation noch was wird in der Saison 2020/2021. Ich meine, wie viel Zeit braucht es denn noch, diesen Kader (eventuell!) zum Klicken zu bringen? Zwei Spiele? Zehn? 20? Die traurige Wahrheit ist einfach, dass wir genau null weitere Spiele zum „Balance finden“ haben. Die Punkte brauchen wir jetzt.

Was macht nun also Hoffnung? Denn das darf man ja nicht vergessen: Auch im Dunklen ist Licht, wenngleich das beim Club derzeit irgendwie (zumindest von meiner Warte aus) eher ein zartes Flämmchen ist.

Nun, das wären zwei Dinge, bzw. genauer: zwei Personen, nämlich Florian Kath und Otmar Schork. Bei letzterem hoffe ich einfach, dass der vermeintlich frische, unbelastete Blick von außen baldmöglichst zu entsprechenden Entscheidungen und Handlungen führt. Keine Ahnung, ob das vermessen ist, aber an irgendwas muss ich mich ja festhalten. Naja, und Florian Kath ist aufgrund seiner Verletzungshistorie eher eine unsichere Wette auf die Zukunft, gleichzeitig aber eine, die aufgehen könnte. Dass er die Qualität des Kaders deutlich steigert, war bei den bisherigen Kurzeinsätzen gut zu sehen und ich denke schon, dass er, so er denn halbwegs an seine frühere Form herankommt, der Unterschiedspieler sein kann, den wir seit den Abgängen von so Akteuren wie Philip Türpitz und Marius Bülter schlicht nicht mehr haben.

Hach ja. Türpitz. Bülter. Lohkemper von mir aus auch. Das waren noch Zeiten, das war noch ein ganz anderer Fußball und der Gedanke daran, dass die gerade zwei Jahre her sind, lässt mich dann hier doch kräftig in die Tischkante beißen.

Was ist nur aus unserem FCM geworden? Und wie, zum Teufel, kommen wir aus der Nummer wieder raus? Ganz ehrlich: Wenn sich vorerst nichts weiter ändert, dann weiß ich es nicht …

 

Beitragsbild: „Standing Still“ von Fe Ilya via Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

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