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Ein Spiel, zwei Perspektiven: SV Wehen Wiesbaden (A)

Brita-Arena

Magdeburger Auswärtsspiele in Wiesbaden sind, zumindest, wenn Zuschauer*innen zugelassen sind, nichts für schwache Nerven. Als die Größten der Welt zuletzt mit Anhang in der Brita-Arena zu Gast waren, wurde quasi der Aufstieg in die 2. Liga klargemacht in einem Spiel, in dem es Spitz auf Knopf stand und an dessen Ende ein völlig ekstatischer Gästeblock die Mannschaft, Florian Pick und den Meistertrainer feierte. Nicht ganz so krass, aber trotzdem äußerst emotional war es nun am 6. Spieltag 2021/2022 nach einer Achterbahnfahrt der Gefühle und einem ziemlich irren 4:2-Auswärtserfolg. So haben wir das Spiel gesehen:

Meine Erwartungen vor der Partie:

Nicole:

Eine Reaktion auf das Spiel in Saarbrücken. Ergo wollte ich eine wiedererstarkte Mannschaft sehen. Diese gemeinsamen Tage der Truppe in Wiesbaden sind für ein Teambuilding gar nicht so verkehrt. Zu Beginn der Saison kannst du hier wirklich eine Mannschaft formen, die füreinander kämpft. Daher war ich gespannt und meine Erwartungen waren voller Vorfreude und dennoch mit Aufregung gemischt. Was wäre, wenn wir in Wiesbaden auch ohne Punkte nach Hause fahren? Wie wäre da die Moral? Wie fühlt es sich aber an, wenn man die harte Nuss in Wiesbaden knackt? Oder gehe ich tendenziell doch eher auf ein Unentschieden? Irgendwie stellte ich mich seelisch und moralisch auf eine Punkteteilung ein und ging angespannt in die Partie.

Alex:

Ich freute mich in allererster Linie auf den Stadionbesuch, irgendwie steht das für mich in dieser Spielzeit immer an erster Stelle, wenn sich die Gelegenheit ergibt. In sportlicher Hinsicht waren meine Erwartungen nicht sonderlich hoch; mir war klar, dass Wiesbaden keine einfache Aufgabe werden würde, mit einem Unentschieden wäre ich zufrieden gewesen. Naja, und dann ertappte ich mich in den Tagen vor dem Spiel immer wieder dabei, wie ich mich an den 13.4.2018 und das 2:1 seinerzeit zurückträumte. Das war schon ein utopisches Erlebnis damals im Gästeblock.

So habe ich das Spiel verfolgt:

Nicole:

Am Ticker. Die Kamera beiseitegestellt, konnte ich mich wieder an den Tasten abreagieren. Und ich hatte wieder ordentlich zu tun. Als wenn die Jungs das wussten, durfte ich wieder ohne Unterlass die Chancen tickern und mein Herz wurde arg beansprucht.

Gerade, als ich so langsam ins Spiel fand, machte Sissi auch schon den Führungstreffer. Wow. Schön über den Torwart gelupft. Doch das entspannte mich irgendwie kein bisschen. Man weiß ja, wie anfällig wir auch sind, wenn wir mal etwas unkonzentrierter spielten. Doch mit dem Elfmeter (hätte man meiner Meinung nicht wirklich geben müssen, nehme ich aber gern mit) stellte der Club die Weichen für einen tollen Fußballnachmittag. Doch ein Clubspiel ohne Herzrasen und Schnappatmung? Gibt’s selten. Es war mir irgendwie zu einfach und mein Bauchgefühl sollte Recht behalten.

In der zweiten Halbzeit wurde mein Tippen auf der Tastatur lauter, vor lauter Frust. Der Ausgleich innerhalb von 2 Minuten war zum Haare raufen und was für ein Glück, dass wir nicht noch weitere Tore gefangen haben. Wiesbaden spielte wie eine Spitzenmannschaft und machte uns das Abwehrleben unglaublich schwer. Unsere Jungs waren nach dem Doppelwechsel erstmal völlig von der Rolle und brauchten lange, bis sie sich einigermaßen gefangen hatten. Sensationell war die Stimmung unserer Fans, die 90 Minuten auf der Tribüne gesungen, gehüpft und supportet hatten. Da wurde das Auswärtsspiel doch glatt zum Heimspiel.

Die Partie ging in die Endphase und wir hatten uns irgendwie besser im Griff, doch es lag eine Spannung in der Luft, die mal wieder zur Schnappatmung führte. Mehr Räume auf dem Feld bedeuteten auch, dass es ziemlich schnell hin und her ging. Gerade als Wiesbaden wieder am Drücker war, war es Luca Schuler, der durch einen tollen Ball von Raphael Obermair den Konter setzte, erst scheiterte und dann noch für Brünker vorlegte. Was für ein Kerl. Nach dem Ausrasten dann wieder das Zittern. Der Ausgleich lag (mal wieder) in der Luft, doch Schuler glänzte mit einem weiteren Konter und setzte den Schlusspunkt mit dem kollektiven Jubel vor dem Gästeblock.

Alex:

Ich war, wie gesagt, im Stadion und erlebte eine Partie, die mich mal wieder ein paar Jährchen Lebenszeit gekostet haben dürfte. Wir waren gerade mit dem Einklatschen fertig, da klingelte es auch schon das erste Mal auf der dem Gästeblock gegenüberliegenden Seite – Sirlord Conteh war auf die Reise geschickt worden und vollendete kaltschnäuzig und sehenswert per Lupfer. Was für ein geiles Tor und was für ein optimaler Auftakt!

Wiesbaden musste sich erstmal schütteln, kam dann aber nach reichlichen 20 oder so Minuten immer besser in die Partie. Das Team von Rüdiger Rehm erarbeitete sich einige Chancen direkt vor unserer Nase und jedes Mal, wenn ein hoher Ball auf Gustaf Nilsson kam, hielt ich den Atem an. Übrigens: Das Duell Nilsson – Andi Müller war schon wirklich lustig. 1,96 m gegen 1,73 m ist natürlich fies und ohne das despektierlich zu meinen (Müller machte das in Anbetracht des Größenunterschiedes gut), sah das mitunter doch irgendwie nach Junioren- gegen Herrenfußball aus.

Den Elfmeterpfiff, der uns in der Phase des Spiels natürlich absolut gelegen kam, habe ich zunächst gar nicht mitbekommen und ich glaube, so ging es den allermeisten Leuten im Block. Im Endeffekt war uns natürlich egal, wie der zustande kam und der Jubel groß, als Baris Atik frech in die Mitte einschob. 2:0-Führung im Auswärtsspiel, noch ein paar Minütchen zur Halbzeit, doch, das ließ sich richtig gut an in Hessens Landeshauptstadt.

Tja, und dann kam die zweite Hälfte mit einem FCM, der so wirkte, als hätte da irgendjemand den Stecker gezogen. Gut, es gab den Doppelwechsel (Malachowski und Brünker für Krempicki und Kath), trotzdem bin ich der Meinung, dass man sich so eigentlich nicht herspielen lassen darf. „Lange geht das nicht mehr gut“, sagte ich noch zu unserem Fanclub-Alterspräsidenten neben mir, als es in Minute 58 auch schon klingelte. Reimann zuvor nach allem, was ich erkennen konnte, mit gleich drei Paraden gegen einschussbereite Wiesbadener, beim vierten Versuch war er dann machtlos und die Kugel im Netz. Und da ein Unglück selten allein kommt, schlug es kaum 60 Sekunden später schon wieder ein. Puh. Das war schon ein ordentlicher Schlag in die Magengrube.

Ganz ehrlich? Zu dem Zeitpunkt war ich sicher, dass wir diese Partie verlieren würden. Konnte ja in dem Moment noch keiner ahnen, dass Kai Brünker ziemlich aus dem Nichts den Spielverlauf in Durchgang 2 auf den Kopf stellen und nach 83 Minuten zur erneuten Führung treffen würde. Drei Minuten Nachspielzeit schließlich, ein Freistoß für Wiesbaden, der mein Herz in die Hose rutschen ließ und dann dieser Konter von Schuler, nach dessen Treffer der Gästeblock krass explodierte. Meine Güte, FCM, geht’s das nächste Mal vielleicht ein klitzekleines bisschen weniger dramatisch? Wobei, nee. Das nehme ich zurück. War schon richtig geil, dieses Gefühl. Und hey, Wiesbaden: „Wir war’n noch niemals in Paris, wir war’n noch niemals in Madrid …“ – wisster Bescheid.

Der auffälligste Spieler:

Nicole:

Wenn man das ganze Spiel betrachtete, dann ist es für mich heute Baris Atik. Immer wieder steckte er die Bälle für unsere Torchancen durch, er sah seine Mitspieler und war einfach immer und überall. Man sieht, dass er in unserem Spiel eine wichtige Stütze ist. Aber ich muss auch Dominik Reimann nennen, der uns heute, trotz der zwei Gegentreffer, lange im Spiel gehalten hat.

Alex:

Im Stadion war es zunächst Raphael Obermair, der sich für mich immer wieder positiv hervortat. Jetzt, mit einer Nacht Abstand, lege ich mich aber auf Sirlord Conteh fest. Nicht mal unbedingt wegen seines schicken Treffers und seines Pfostenknallers kurz vor der Halbzeit, sondern wegen der Art und Weise, wie er (inzwischen?) im Spiel auch für die Mannschaft arbeitet. Im zweiten Durchgang war das von meinem Standort aus gut zu beobachten; obwohl er irgendwann komplett platt war, zog er dann doch immer wieder die Sprints an, versuchte, Räume zu finden, sich anzubieten, auch mal Bälle abzulaufen, kurzum: einfach aufmerksam mitzuspielen. Und klar ist das irgendwie trivial und darf man das von einem Fußballspieler sicherlich erwarten, aber das ist eben das, was mir ganz stark in Erinnerung blieb und einfach aufgefallen war.

Die Partie in maximal fünf Worten:

Nicole:

Sensationeller und spannungsgeladener Auswärtssieg!

Alex:

Dafür gehe ich in’s Stadion.

Das bleibt in Erinnerung:

Nicole:

Am Ende die Szene von Kai Brünker bei MagentaTV. Er wird interviewt, will eigentlich auch mit seinen Leuten in der Kurve sein und unterbricht einfach seine Antwort, indem er laut in Richtung des Gästeblocks „Fussballclub Magdeburg“ brüllt. Ein Spieler, bei dem man spürt, dass er die Zeit bei uns wahnsinnig genießt.

Des Weiteren wurde mir auch wieder bewusst, wie schön es mit Fans bei einem Auswärtsspiel ist und wie wir in fremden Stadien das dort heimische Publikum verzücken können. Da werden regelmäßig Handys gezückt und die eigene Mannschaft etwas vernachlässigt. Da bin ich schon etwas stolz drauf.

Was mir bei Wiesbaden auch immer wieder in den Kopf kommt, ist diese irrsinnige Tribünengeschichte. Da war Wiesbaden mal in der 2. Liga und musste eine neue Tribüne bauen, weil die Vorgaben ein 15.000 Mann-Stadion ausweisen. Nun steht die Tribüne und trotz 50% Auslastung kommen wahrlich ganze 2.168 Zuschauer in die Brita-Arena. Davon allein über 500 Gästefans. Unglaublich. Das ist mein alljährlicher Kopfschüttler. Aber immerhin sieht sie ganz schick aus.

Alex:

Fußball im Stadion zu spüren und zu leben und Fußball vor dem Fernseher einfach nur zu konsumieren sind zwei komplett unterschiedliche Dinge, das ist mir beim Spiel in Wiesbaden einmal mehr klar geworden. Dieses Gefühl, dieses kollektive Ausrasten, diese Emotionalität, das Herausbrüllen unserer Lieder, voller Stolz, voller Euphorie, das ist „mein“ Fußball und das kann mir keine noch so gut inszenierte TV-Übertragung jemals geben. Im Moment sauge ich das einfach alles auf und versuche, es irgendwo zu konservieren, obwohl ich jetzt schon weiß, dass sich diese Gefühle ohne die Bindung zum Block und zum Geschehen auf dem Rasen nicht werden reproduzieren lassen. Im Moment sein, den Moment genießen, das war die Maxime für mich an diesem Spieltag und das ist auch das, was mir hoffentlich noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Das Foto des Spieltags:

Brita-Arena

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  1. Pingback: 3. Liga, 6. Spieltag: SVWW – 1. FC Magdeburg 2:4 – Stehblog

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