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Der letzte Vorhang

Vorhang

Sportfreunde Lotte – 1. FC Magdeburg, 38. Spieltag, 0:1 (0:0)

Volksfeststimmung in Lotte, bestes Wetter, überragende Gastgeber und das entscheidende 1:0 durch Nils Butzen zu einem Zeitpunkt, zu dem wohl niemand mehr ernsthaft damit gerechnet hatte, dass sich der 1. FC Magdeburg in der letzten Begegnung der Saison 2017/2018 tatsächlich noch den Auswärtssieg und die Drittliga-Meisterschaft holt – wenn man sich vor der Saison einen letzten Spieltag hätte malen können, hätte er vermutlich so oder so ähnlich ausgesehen. Und irgendwie, tja, war das Geschehen im Stadion am Lotter Kreuz so etwas wie das i-Tüpfelchen auf eine insgesamt doch einigermaßen perfekte Saison.

Drittliga-Meister 2017/2018.

Hand auf’s Herz: Wer hätte das nach dem allerersten Spieltag, damals, am 23.07.2017 in Großaspach, wirklich und ernsthaft für möglich gehalten?

Um die 5.000 Magdeburger sollen es gewesen sein, die sich an diesem 12.05.2018 in Richtung Lotte aufgemacht hatten. 5.000 von insgesamt 7.270, die der Stadionsprecher irgendwann im Verlauf der 2. Halbzeit als Zuschauerzahl bekannt gab. Beim Anblick des Gästeackersparkplatzes und später der Tribünen im Stadionrund war man geneigt, diese Zahl noch ein gutes Stück nach oben zu korrigieren. Das Stadion am Lotter Kreuz war jedenfalls fest in Magdeburger Hand, die Situation auf dem Parkplatz ähnelte mehr einem Musikfestival als einem Fußballspiel. Die Stimmung: gelöst und vielerorten feucht-fröhlich. Die Ausgangslage: vollkommen klar. Wir würden hier heute gewinnen und mit einem schicken Pokal nach Hause fahren, daran konnte es gar keinen Zweifel geben. Einige verliehen dieser Überzeugung dadurch Ausdruck, dass sie sich die Trophäe, in Schaumstoffhalterungen eingebettet, auf den Kopf drapiert hatten. Kurzum: es war alles überragend. Naja, fast alles, aber dazu später mehr.

Jens Härtel hatte sich entschieden, seine Anfangsformation gegenüber dem letzten Heimspiel der Saison gegen Chemnitz auf ein paar Positionen zu verändern und schickte folgende Jungs aufs Feld: Das Tor hütete, überwiegend beschäftigungslos, Alexander Brunst, vor ihm in der Dreierkette begannen Steffen Schäfer, Andre Hainault und Dennis Erdmann. Richard Weil und Björn Rother bildeten die Mittelfeldzentrale, rechts startete Nils Butzen, links Marcel Costly. In der Offensive durfte der dynamische wie gefällige Felix Lohkemper von Beginn an auf der linken Seite ran, in der Mitte spielte Christian Beck, rechts Philip Türpitz.

Interessanter als das Geschehen auf dem Platz war zunächst allerdings das auf den Rängen. Von meiner Position auf Höhe der Mittellinie aus ging der Blick erst auf die gegenüberliegende Tribüne, die zu mehr als der Hälfte, so hatte es den Anschein, von Clubfans bevölkert war. Blick nach links hinter das Tor: Clubfans. Blick nach rechts über die Köpfe auf der eigenen Tribünen hinweg: Clubfans. Und schließlich die Hintertortribüne ganz rechts: Block U, ganz offensichtlich, mit einer riesigen und programmatischen Zaunfahne davor: „FCM macht Massen froh – Hools und Ultras sowieso“. Ich möchte ehrlich sein: Support-technisch habe ich in diesem Spiel nicht in jeden Gesang eingestimmt. Stattdessen beobachtete ich häufiger, wie besagte Hintertortribüne ausgelassen sich selbst und die Mannschaft feierte und freute mich einfach nur für die Jungs und Mädels dort drüben. „Gönnt Euch!“ dachte ich mir dann, „Ihr habt Euch diesen Trip einfach sowas von verdient.“

Auf dem Rasen übernahm der 1. FC Magdeburg vom Start weg die Initiative und kam durch Weil (3. Minute), Lohkemper und Costly (13.), Beck (15.) und Türpitz (19.) zu einigen guten Gelegenheiten. Entweder zielte man aber nicht genau genug oder eben zu genau, der Ball wollte jedenfalls vorerst nicht ins Tor. Von den Sportfreunden kam relativ wenig, dafür donnerte irgendwann ein „FCM!“-Wechselgesang durchs ganze Stadion, bei dem ich mich schon kurz fragte, wie es sich als Heimanhänger eigentlich so anfühlt, wenn man im eigenen Stadion von den Gästen gnadenlos niedergesungen wird. Unbezahlbar auch die Blicke aus dem angrenzenden Heimblock, als sich so in der 34. Minute die Raupe durchs Stadion fraß und man sich mit via Polonaise im gut gefüllten Rund ein bisschen Bewegung nach rechts und links verschaffte.

10 Minuten vor Ende der ersten Halbzeit kam uns dann in Block I der Gedanke, vielleicht schon mal in Richtung Getränkestand zu laufen, um sich für Durchgang 2 mit Wurst und Kaltgetränken einzudecken. Gesagt, getan – nur hatten diesen Entschluss auch noch ungefähr 30 andere Leute gefasst, mit denen man dann eben geschlagene 30 Minuten (!) in der Schlange stand und sich fragte, wer in Lotte eigentlich auf die Idee gekommen war, für die gefühlt ganze Tribüne eine einzige, kleine Bude mit defizitärer Zapfanlage aufzustellen. Und wenn es dann noch Clubfans gibt, die bei der ganzen Warterei beschließen, den Frust über die Situation durch gegenseitige körperliche Ermahnungen zum Ausdruck zu bringen, fällt einem auch nicht mehr allzu viel ein. Glücklicherweise kamen die Ordner relativ schnell dazu, disqualifizierten sich die beiden Streithähne für ihr Kaltgetränk selbst, sorgten für schnelleres Vorrücken der ganzen Schlange (danke dafür!) und ging es dann für uns pünktlich (*hust*) zur 55. Minute, bewaffnet mit Wurst und Apfelschorle, zurück an den alten Platz im Block.

Dort gab es dann einen FCM zu sehen, der sich weiter redlich bemühte, den Führungstreffer zu erzielen, allerdings wahlweise den letzten Pass nicht an den Mann brachte oder in Benedikt Fernandez im Lotter Tor seinen Meister fand. Nach 63 Minuten war der Arbeitstag dann für Philip Türpitz beendet; er machte für Florian Pick Platz, der sich mit einigen schicken Dribblings auch gleich gut einfügte und in der Lotter Hintermannschaft für reichlich Gefahr sorgte. Inzwischen schaute man auch so ein bisschen auf den Zwischenstand in Köln: Die Fortuna hatte gegen Paderborn erst einen Rückstand gedreht, mittlerweile stand es aber wieder 2:2. Für die Drittliga-Meisterschaft würde das freilich reichen, besser wäre es allerdings, einfach selber noch eine Bude und damit die ganze Geschichte sicher zu machen. Als dann in der 72. Minute die erneute Führung für Paderborn die Runde machte und der Ball im weiteren Verlauf in Lotte partout nicht über die Linie wollte (obwohl nun auch der Gegner mithalf und in Spielminute 76 fast für ein Eigentor gesorgt hätte), gingen die Gespräche schon so ein bisschen in die Richtung: „Ach, naja, dann soll es heute eben nicht sein. War trotzdem eine geile Saison!“

Ungefähr 10 Minuten vor dem Ende betraten schließlich jede Menge Ordner den Platz, wohl wissend, was nach Abpfiff wohl folgen würde. Hinter dem Tor rechts wurde die große Zaunfahne abgenommen, auch die übrigen Fahnen, auf der Gegengerade rechts angebracht, fanden Stück für Stück wieder ihre Besitzer. Und mitten rein platzte in Spielminute 88 ein gewisser Nils Butzen.

Florian Pick hatte den Ball auf der rechten Seite auf den inzwischen eingewechselten Marius Sowislo gespielt. Der im Strafraum mit der ihm eigenen Ruhe auf Christian Beck, der auf den ebenfalls eingewechselten Charles-Elie Laprevotte am langen Pfosten weiterleitet. Von dort gelangt der Ball in die Mitte, wo Nils Butzen blitzeblank und goldrichtig steht und das Spielgerät mit Schmackes in die Massen jagt. Völlige Eskalation auf dem Platz und auf den Rängen, Menschen im Innenraum, Führung in Lotte, „Die Nummer Eins der Welt sind wir!“, Staffelsieg, Stand jetzt – Gänsehautmomente!

Irgendwann folgte dann der Abpfiff, wurden Tore in Richtung Innenraum geöffnet und strömte der gute Teil der 5.000 Clubfans auf den Platz. Nach den eher kinoartigen und für mich eigentümlich emotionsfreien Szenen nach dem Köln-Spiel war es nun auch bei mir so weit, ein wenig emotionaler zu werden – allerdings erst, als wir uns plötzlich vor dem Lotter Block wiederfanden, dem unfassbar gastfreundlichen und sympathischen Heimanhang applaudierten, uns für die insgesamt sehr wohlwollende Spieltagsgestaltung bedankten und gemeinsam den einen oder anderen Gesang anstimmten. So etwas hatte ich wirklich noch nie erlebt: Ehrliche Freude über die Freude des Gegners, der gerade auf dem eigenen Platz gewonnen hatte, gemeinsames Feiern, haufenweise Glückwünsche, „Einmal Blau-Weiß – immer Blau-Weiß“-Gesänge und, und, und… ganz großes Tennis und an dieser Stelle einfach mal ein riesengroßes Dankeschön!

Die Ehrungen von Philip Türpitz als bestem Spieler und Jens Härtel als bestem Trainer der Saison sowie die Pokalübergabe bildeten schließlich den letzten Akt an diesem Spieltag. Unten auf dem Rasen wurden Hände geschüttelt, Menschen umarmt und waren die Worte „Ist das geil!“ die vermutlich in diesen Momenten am meisten gebrauchten. Momente, die man am liebsten in ein Einweckglas gefüllt und konserviert hätte. Momente, die man in seinem Fan-Leben nicht allzu häufig erlebt. Alles war perfekt. Ich hätte es mir nicht schöner wünschen können.

Und so fiel für dieses großartige Team, das sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern des 1. FC Magdeburg vollumfänglich verdient hat, schließlich der letzte Vorhang in Lotte. Klar, es gibt noch das Pokalfinale gegen Lok Stendal am Pfingstmontag, allerdings ist das jetzt allenfalls noch Bonus. Die Drittliga-Spielzeit jedenfalls, die endete am Lotter Kreuz. Eine Spielzeit auch, die man mit Fug und Recht als historisch bezeichnen kann und die uns allen noch sehr, sehr lange in Erinnerung bleiben wird. Nun ist es erst einmal an der Zeit, alles in Ruhe sacken zu lassen und irgendwann, in ein paar Tagen, noch einmal zurückzublicken auf einen Wahnsinnsritt 2017/2018. Bis dahin genügen vielleicht einfach auch mal wenige Worte, die aber genau so gemeint sind, wie sie hier stehen:

FCM, wir danken Dir!

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