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Bierduschen ins Glück

Bierduschen

Sportfreunde Lotte – 1. FC Magdeburg, 19. Spieltag, 1:3 (0:0)

Bierduschen sind in aller Regel ja weniger angenehm – vor allem, wenn es draußen gefühlte 3 Grad sind, man im Stadion der Sportfreunde Lotte auf der hoffnungslos überfüllten Gegengerade steht und noch etwa 40 Minuten zu gehen sind. Wenn dann aber nur eine Spielszene später der nächste Hopfenregen niedergeht, einem das mitten in der vollkommen ekstatischen Eskalation auf den Traversen total egal ist und man sich wahllos mit wildfremden Menschen in den Armen liegt, dann weiß man: Hier ist gerade etwas Außergewöhnliches passiert. In diesem Fall handelte es sich um einen Doppelschlag von Christian Beck und Julius Düker kurz nach Wiederanpfiff, der die Begegnung zwischen den Sportfreunden und dem FCM am 19. Spieltag eigentlich hätte entscheiden müssen, es wegen tapfer kämpfender Gastgeber nicht so richtig tat und dem letzten Punktspiel 2016 trotzdem wohl die entscheidende Wendung gab. 3:1 hieß es am Ende aus Magdeburger Sicht nach einem wahnsinnig intensiven Auftritt in Lotte, der die Größten der Welt nun tatsächlich auf einem direkten Aufstiegsplatz überwintern lässt.

Auch wenn die Phrase natürlich abgedroschen klingt und im Podcast vermutlich gleich zwei Striche geben würde, waren die Sportfreunde tatsächlich der erwartet unangenehme Gegner. Und das lag nicht nur an einer aufopferungsvollen, wohl dosiert aggressiven und insgesamt sehr engagierten Leistung der Gastgeber, sondern auch an einem Umfeld, das es so im Profifußball sicher kein zweites Mal geben dürfte. Das Stadion auf dem Acker direkt neben der Autobahn, die Gästeparkplätze auf irgendwelchen Gehöften oder wahlweise und je nach Ankunftszeit auf tiefen Wiesen drumherum, die Tribünen flach und der Platz zugig – da gab es schon einiges, worauf man sich erst einmal einstellen musste. Für die geneigte Magdeburger Anhängerschaft (knapp 1.500 hatten den Weg nach Lotte angetreten) natürlich kein Problem – wer Meuselwitz kennt, kommt überall klar. Trotzdem erschien es vor Ort plötzlich gar nicht mehr so abwegig, dass hier nacheinander der SV Werder Bremen und Bayer Leverkusen aus dem DFB-Pokal ausgeschieden waren…

Dass die Gastgeber in Sachen „Logistik“ allerdings noch einiges lernen müssen, wurde auch relativ schnell deutlich. Keine Ahnung, wie dort im Norden Tribünenkapazitäten berechnet werden, aber es mutete schon einigermaßen abstrus an, dass der Stadionsprecher in den ersten 15 Minuten dreimal durchsagte, es würden noch Clubfans draußen stehen, nicht in den vollen Block kommen und man solle doch bitte aufrücken, während man von der Gegengerade aus auf eine schicke, neue und fast menschenleere Hintertor-Stehplatztribüne schaute, auf der sich lediglich die Polizei die Zeit vertrieb. Wenn ich x Tickets im Vorverkauf absetze, y Leute noch draußen stehen und ich aber nur z Plätze im ‚regulären‘ Gästeblock zur Verfügung habe, ist es ja nun nicht so wahnsinnig abwegig, über eine Öffnung der zusätzlichen Tribüne nachzudenken, um potenziell gefährliche Situationen im Gästeblock zu vermeiden. Rettungswege waren von meinem Standort aus jedenfalls keine mehr zu erkennen und insbesondere in der Mitte des Gästebereichs muss das Geschiebe und Gedränge wohl nahezu unerträglich gewesen sein. Dafür durfte aber jedes zweite Haus im Dorf einen Ordner stellen, vermutlich verbunden mit dem Versprechen, dass er dann auch definitiv eingesetzt werden würde:

Bierduschen

Kommen wir zum Sportlichen. Jens Härtel schickte in Lotte die gleiche Anfangself ins Rennen, die in der Vorwoche gegen Aalen begann, lediglich Jan Glinker musste mit Rückenproblemen pausieren. Für ihn stand Leopold Zingerle zwischen den Pfosten. Die Begegnung begann auf beiden Seiten holprig und schnell wurde klar, dass das hier heute auf richtig tiefem Boden ein ordentliches Kampfspiel werden würde. In der 7. Minute der erste sehenswerte Spielzug des 1. FC Magdeburg: der starke Nils Butzen startet auf rechts, legt dann aber zu ungenau in die Mitte und macht den Ball zu einer leichten Beute für Benedikt Fernandez im Sportfreunde-Tor. Das war es in der Anfangsphase dann auch schon – der Club tat sich schwer, Lotte hingegen beeindruckte mit hoher Laufbereitschaft, viel Selbstvertrauen und einer robusten, dabei aber nicht unfairen Gangart. Kampfspiel eben.

Die Riesenchance zur Führung ergibt sich für Blau-Weiß (also, das richtige) in Spielminute 15: Eine Bogenlampen-Kopfballverlängerung von Julius Düker findet Sturmpartner Beck, der den Ball am Gegenspieler vorbei in den Strafraum legt und vom Verteidiger dort mustergültig von den Beinen geholt wird: Elfmeter, Marius Sowislo tritt an – und schiebt den Ball mit der gebotenen Höflichkeit des zurückhaltenden Gastes ganz entspannt mittig-rechts mehr oder weniger in die Arme des Lotteraner Keepers. Der muss zwar noch mal nachfassen, hat im Endeffekt aber wenig Probleme mit einem Strafstoß, für den es im Prinzip auch gleich hätte Abstoß geben können. Nichts gegen unseren Kapitän, aber harte, platzierte Elfmeter dürfen da in der Rückrundenvorbereitung durchaus einmal öfter auf dem Trainingsplan stehen.

Schnell machte sich nun ein mulmiges Gefühl breit – wann hatten wir eigentlich zuletzt ein Spiel gewonnen, in dem wir einen Elfmeter zur möglichen Führung verschossen hatten? Lieber gar nicht weiter drüber nachdenken, und glücklicherweise bot auch das Geschehen auf dem Rasen im weiteren Verlauf genug Ablenkung von trüben Gedanken, weil es jetzt nämlich Schlag auf Schlag ging. In Minute 20 wird Julius Düker schön von links und Christian Beck bedient, findet aber in der vielbeinigen Lotteraner Abwehr keine Lücke für einen viel versprechenden Abschluss. Eine Minute später kommt erstmals der Gastgeber gefährlich vor das Magdeburger Tor: Eine Ecke von rechts landet am linken Pfosten, die Hereingabe in die Mitte findet allerdings keinen Abnehmer. Puh. Erst mal kurz durchatmen.

Die Sportfreunde Lotte spielten jetzt so ein bisschen so, wie man es vom 1. FC Magdeburg in den letzten Begegnungen gewohnt war. Mehr als ein satter Freistoß in der 26. Minute, den Leopold Zingerle mit einer schönen Flugeinlage noch aus der rechten Torecke kratzt, sollte sich dabei für die Gastgeber in der ersten Hälfte allerdings nicht ergeben. Auf der anderen Seite hatte der Club seinerseits noch zwei gute Chancen, in Führung zu gehen. Nach 29 Minuten ist es Christian Beck, der einen von Christopher Handke verlängerten Hammann-Freistoß nicht links ins leere Tor, sondern mittig auf Benedikt Fernandez köpft. Acht Minuten vor dem Pausentee landet der Ball nach einem Freistoß der Sportfreunde dann im Konter bei Nils Butzen, der auf seiner rechten Seite frei durch ist, mit dem Abschluss dann aber einen Ticken zu lange zögert und damit den Ball nicht im Kasten unterbringen kann. Einen Hammann-Freistoß später (40., linke Seite, knapp links vorbei) war dann erst einmal Pause, mit einem 0:0 der attraktiveren Sorte ging es in die Kabine.

Keine drei Minuten war die zweite Hälfte alt, als sich im Gästeblock die eingangs geschilderten Szenen abspielten. Das 1:0 für die Größten der Welt fällt dabei in einer Situation, die aus Sportfreunde-Perspektive eigentlich schon geklärt schien: Der Ball wird vom linken Strafraumeck auf die rechte Seite geschickt, wo Nils Butzen völlig frei steht, Kollege Beck sich allerdings dafür entscheidet, den Pass aufzunehmen und ihn zunächst mehr oder weniger zu verstolpern. Neuaufbau also. Während Lotte sich noch sortiert, kommt Butzen doch in Ballbesitz, lupft schön auf den – allerdings auch mutterseelenallein – in den Strafraum einlaufenden Beck und der hebt den Ball mit dem linken Außenrist aus eher spitzerem Winkel am machtlosen Fernandez vorbei ins Tor. Großartige Aktion sowohl vom Passgeber als auch vom Torschützen und, wie gesagt, die erste Bierdusche des Tages im Gästeblock. Zwei Minuten später dann Freistoß von links – Christopher Handke kommt am Fünfmeterraum frei an den Ball, legt für Julius Düker auf und der hämmert ihn trocken und humorlos zum 2:0 in die Maschen.

Im Normalfall ist so ein Doppelschlag ja dann der Genickbruch für den Gegner. Nicht so in Lotte, wo ja, wie gesagt, einiges anders zu sein scheint als sonst wo in der Profifußball-Republik. Anstatt aufzustecken, legte das Team von Trainer Ismail Atalan einfach noch mal eine Schippe drauf und sorgte so dafür, dass sich die Partie trotz der 2:0-Führung für die Gäste im weiteren Verlauf zu einer richtig rassigen Angelegenheit entwickelte, ohne aber zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich unfair zu werden. Riesenrespekt dafür an beide Mannschaften – könnte man aus seiner Fan-Haut und so eine Begegnung objektiv anschauen, hätte sie sicher größten Unterhaltungswert gehabt. So aber blieb es spannend, warf Lotte alles rein und kam dementsprechend auch zu Abschlüssen: Nach 56 Minuten landet ein Schuss aus dem Gewühl an der Strafraumgrenze bei Leopold Zingerle, in Minute 74 kann der Keeper einen Schuss nicht festhalten und aber Nils Butzen den nach vorn abgewehrten Ball vor dem einlaufenden Stürmer klären.

Im Gästeblock war man sich indes relativ früh relativ sicher, dass hier heute nichts mehr anbrennen würde und sicherlich hatte da auch der Zwischenstand aus Paderborn, wo der SC gegen Osnabrück führte, einigen Anteil daran. Jedenfalls wurde gehüpft, gehuldigt und gesungen und so der übertriebenen Ordnerkette vor der Tribüne eine ordentliche Show geboten, in deren Verlauf sich so in Minute 68 auch mal wieder die Raupe durch den Block fraß. Tarek Chahed war inzwischen (69.) für Julius Düker im Spiel, Sebastian Ernst wurde in der 73. Minute durch Jan Löhmannsröben ersetzt. „Spielstand halten“ statt „Führung ausbauen“ also, was angesichts von tapfer kämpfenden Sportfreunden, die eine beeindruckende Moral zeigten, natürlich vollkommen nachvollziehbar war.

Knapp zehn Minuten vor Schluss dann schließlich zwei Szenen, die die ganze Geschichte noch einmal unnötig spannend machten: In der 79. Spielminute erobert Tarek Chahed hervorragend den Ball zwischen Lotteraner Strafraum und Mittelkreis, spielt sich via Doppelpass mit Marius Sowislo wunderschön in den Sechzehner, kann selbst abschließen, entschließt sich aber noch einmal für den Querpass und bedient Christopher Handke dann leider etwas ungenau, sodass dieser den Ball am rechten Pfosten vorbeischießt. „Wenn sich das mal nicht noch rächt“ wird in diesem Moment sicher einigen durch den Kopf gegangen sein. Und es kam, wie es kommen musste – zwei Minuten nach dieser Szene erzielen die Gastgeber nach Freistoß an der Strafraumgrenze, Zingerle-Abpraller und Nachschuss-Direktabnahme durch Lotte-Kapitän Gerrit Nauber den inzwischen vollkommen verdienten Anschlusstreffer. Die werden doch jetzt wohl nicht…

Wie schon so oft in dieser Saison begann nun also eine ziemlich angespannte Schlussphase, in der die Magdeburger Abwehr sich noch so manchem Angriff erwehren musste, ansonsten aber angenehm souverän agierte und bis auf einen weiteren Abschluss in der 82. Minute, den Zingerle sicher hält, eigentlich nichts mehr zuließ. Eine Minute vor Ende der regulären Spielzeit war dann auch für Christian Beck der Arbeitstag beendet – kurz zuvor hätte er noch zu einer guten Möglichkeit kommen können, war dann letztlich aber wohl schon zu platt, um bei einem merkwürdigen Ausflug des Lotteraner Keepers mit Querschläger-Potenzial entscheidend nachzusetzen. Auch das allerdings vollkommen verständlich – was Christian Beck da vorne als Mittelstürmer immer wieder für Kilometer abreißt und gegen die Sportfreunde Lotte, noch dazu auf diesem Platz, auch wieder abgerissen hat, ist schon Wahnsinn.

Für die Nummer 11 kam nun also Steffen Puttkammer ins Spiel und verlegte sich Trainer Jens Härtel damit nun vollständig auf das Verteidigen des inzwischen knappen Vorsprungs. Ausgerechnet Puttkammer sorgte dann aber dafür, dass Tarek Chahed mit seinem Treffer in der zweiten Minute der Nachspielzeit den Deckel auf die Partie und damit auf die Pflichtspiele in 2016 machen konnte. Nach Balleroberung am eigenen Strafraum nebst für diesen Zeitpunkt im Spiel erstaunlich schnellem Umschalten gelangt der Ball zu Puttkammer, der natürlich noch Kraft hat, einige Meter dribbeln kann und auf Chahed durchsteckt. Am trockenen Schuss des 20jährigen ist Benedikt Fernandez noch dran, kann aber den Einschlag nicht mehr verhindern – 3:1 für Magdeburg, Abpfiff und Auftakt zur inzwischen nun schon fünften Auswärtssieg-Party der Saison. Irre, das alles.

Die Größten der Welt sind damit zum Abschluss der Hinrunde nicht nur das beste Auswärtsteam der Liga (!), sondern durch die Niederlage von Osnabrück in Paderborn auch noch auf einen direkten Aufstiegsplatz geklettert. Und sollte es irgendjemandem in den nächsten 6 Wochen irgendwann mal schlecht gehen, hier ein kleiner, aber feiner Stimmungsaufheller:

Bierduschen

Winterpause in Liga 3 und der 1. FC Magdeburg im zweiten Jahr vollkommen verdient mittendrin im Aufstiegsrennen – eine solche Prognose hätte vor Saisonbeginn mit einiger Sicherheit für eine ernst gemeinte Therapieempfehlung gereicht. Gespannt sein darf man nun, wie der Verein diese Situation in den nächsten Wochen moderieren wird und ob es nicht an der Zeit ist, sich auch ganz offiziell neue Ziele zu setzen. Es bleibt auf jeden Fall interessant und ganz ehrlich? Ich kann mir aus sportlicher Perspektive durchaus undankbarere Diskussionen vorstellen.

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