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Im Trudeln (Ein Rückblick)

„Die Mannschaft muss jetzt im November punkten. Wir wollen die Spiele gegen Türkiyemspor, Braunschweig II und 96 II gewinnen und rechnen uns auch im Derby beim HFC eine Chance aus.“

Ziemlich genau fünf Jahre ist es her, dass der damalige FCM-Manager Rüdiger Bartsch in der Magdeburger Volksstimme den November 2010 zum ‚Monat der Wahrheit‘ ausrief. Nach einem furiosen Auftakt in die Spielzeit 2010/2011, in der mit Trainer-Neuverpflichtung Ruud Kaiser erstmals in der Geschichte des 1. FC Magdeburg ein ausländischer Übungsleiter an der Seitenlinie stand, und der Tabellenführung mit 10 Punkten nach 4 Partien, fand man sich nach 13 gespielten Runden inzwischen auf dem 11. Tabellenplatz wieder. Das letzte Heimspiel hatte man mit sage und schreibe 1-6 gegen den Chemnitzer FC verloren, auswärts am 13. Spieltag beim TSV Havelse nur 3-3 gespielt. Vor der Brust: Die oben genannten Hochkaräter (und der Hallesche FC), im Gepäck: Schlechte Stimmung im Umfeld, ein Präsidium kurz vor dem Rücktritt und eine ziemlich verunsicherte Mannschaft, mit der man doch aber in dieser Spielzeit den Umbruch und den Neuaufbau einleiten wollte. Nun also, auf den Tag genau heute vor 5 Jahren, Türkiyemspor Berlin. Tabellenletzter. 3 Punkte nach 13 Spielen. 4 geschossene Tore bei satten 29 Gegentreffern. Kurzum: Der ideale Aufbaugegner. 

Knapp 2.900 Unverwüstliche pilgerten an diesem nasskalten Novembernachmittag ins Heinz-Krügel-Stadion, um dabei zuzusehen, wie die Größten der Welt die ersten der vom Manager geforderten Punkte einfahren würden. Eine Zuschauerzahl, bei der sich manch einer, der möglicherweise erst in den vergangenen ein, zwei Jahren den Weg zum Club gefunden hat, verwundert die Augen reiben wird. Im Vorfeld der Begegnung hatte Kapitän Daniel Bauer in der Magdeburger Volksstimme selbstbewusst erklärt: „[E]in Sieg muss her! Die Fans erwarten, dass wir, auch wenn es zurzeit bei uns nicht so richtig läuft, den Gegner niederkämpfen.“ Damit hatte er prinzipiell zwar recht, allerdings passierte an diesem 14. Spieltag das, was auch in den Wochen und Monaten, gar Spielzeiten zuvor viel zu häufig passiert war: Die Mannschaft wurde den Erwartungen schlicht und ergreifend – mal wieder – nicht gerecht. Mit einem 0-0 ging es in die Pause, begleitet wurde das zwar feldüberlegene, aber keinerlei Torchancen kreierende Team von einem gellenden Pfeifkonzert. Dass hinten wenigstens die Null noch stand, hatte die Mannschaft vor allem Matthias Tischer zu verdanken, der zweimal großartig gerettet hatte.

Zwar hatte man im zweiten Durchgang mehr vom Spiel, die Führung erzielten aber die Gäste: In der 75. Minute ist es Julian Austermann, der einen Freistoß direkt verwandelt und damit den Spielverlauf auf den Kopf stellt. Beim 25-Meter-Schuss des jungen Berliners, der nur eine Saison später selbst im blau-weißen Dress auflaufen sollte, gab es für Tischer nichts zu halten. Fünf Minuten später ist der 1. FC Magdeburg dann plötzlich ein Mann mehr: Cihan Selcuk holt Daniel Bauer von den Beinen und sieht dafür von einer ambitionierten Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus die rote Karte. Trotzdem schafft es die Mannschaft nicht, das Spiel gegen den Tabellenletzten noch zu drehen. Marko Verkic gelingt zwar in der 84. Minute nach einer Flanke von Maik Georgi noch der Ausgleich, mehr als ein Punkt gegen den Tabellenletzten war aber an diesem Tag nicht drin. Kapitän Bauer ließ sich nach dem Spiel – ebenfalls wieder in der Volksstimme – mit den folgenden Worten zitieren:

„Wir haben in keinster Weise das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Wer ein solches Zweikampfverhalten wie wir in der ersten Halbzeit an den Tag legt, darf sich am Ende nicht wundern, wenn er nicht gewinnt. Das Potenzial in der Mannschaft ist da, aber man muss es auch abrufen.“

Nun ist das mit dem Potenzial ja so eine Sache. Zusammengestellt in einem fast schon legendären ‚Massencasting‘ vor Saisonbeginn, konnte das Team von Ruud Kaiser seine Qualitäten in der Spielzeit 2010/2011 nur äußerst selten zeigen. Von den geforderten 9 Punkten im November holte der 1. FC Magdeburg genau einen, was auch bedeutete, und das muss man gelesen sehen, um es glauben zu können, dass sowohl die Begegnung bei Eintracht Braunschweig II (!) als auch das folgende Heimspiel gegen Hannovers U23 verloren gingen. Immerhin gewann man das Derby am 24.11.2010 mit 2-0 und machte sich ein gewisser Sebastian Sumelka nach der Partie unsterblich:

Es waren eben die kleinen Freuden, mit denen man sich in jener Saison begnügen musste.

Von den Akteuren, die heute vor fünf Jahren gegen Türkiyemspor in der Startelf standen, ist nur noch einer im Verein: Matthias Tischer hat eine Saison später nicht nur den absoluten sportlichen Tiefpunkt der Vereinsgeschichte mit dem letzten (!) Platz in der Regionalliga Nord miterlebt, sondern auch einen darauf folgenden, wirklichen, echten Neuanfang, der uns fünf Jahre später in der 3. Liga auf Punktejagd gehen lässt. Seine damaligen Mannschaftskollegen hingegen sind in ihrer weiteren Karriere über die vierte Liga (bisher und zumindest in Deutschland) nicht hinausgekommen:

Philip Saalbach spielt heute beim SV Babelsberg in der Regionalliga. Tobias Friebertshäuser ist nach einem Intermezzo beim VfL Halle 96 in der 5. Liga inzwischen wieder in der Gegend aktiv und spielt in der zweiten Mannschaft von Germania Halberstadt. Daniel Halke ist bei Regionalliga-Aufsteiger FC Schönberg 95 auf der rechten Verteidigerseite gesetzt. Marvin Wijks ist in Hollands dritthöchster Spielklasse, der „Topklasse Samstag“, am Ball. Christof Köhne steht seit 2012 beim BFC Dynamo im Kader, sieht aber eher weniger Spielzeit in der 4. Liga. Der Kapitän des damaligen Teams, Daniel Bauer, hat mittlerweile seine Karriere beendet. Ob er inzwischen einen Pizzaservice betreibt, ist nicht bekannt. Maik Georgi hat sich in der vierten Liga bei Wacker Nordhausen etabliert. Tobias Becker schnupperte mit Hessen Kassel 2013 zwar an der 3. Liga, scheiterte aber an Holstein Kiel und kickt im Auestadion nach wie vor viertklassig. Mittelstürmer Marko Verkic hat es laut transfermarkt.de inzwischen zum 1.FC Lorsbach verschlagen, wo er in der Kreisoberliga Main-Taunus Spielertrainer der 1. Mannschaft ist. Denis Wolf schließlich lässt seine Karriere nach einem einjährigen Gastspiel in Thailand beim TSV Havelse in der Regionalliga Nord ausklingen.

Das Potenzial, das Daniel Bauer damals in der Mannschaft gesehen haben will, durfte Trainer Ruud Kaiser übrigens auch nur noch für eine eher begrenzte Zeit zutage fördern: Wegen anhaltender Erfolglosigkeit, die irgendwann in echter Abstiegsgefahr gipfelte, wurde er im März 2011 von seinen Aufgaben entbunden. Das gleiche Schicksal hatte zuvor bereits Manager Bartsch ereilt.

Auch wenn zwischen dem 1-1 gegen Türkiyemspor Berlin am 14. Spieltag der Saison 2010/2011 und dem heutigen Tag ’nur‘ fünf Jahre liegen, sind es doch Welten, die den damaligen 1. FC Magdeburg vom heutigen trennen. Und manchmal, wenn man nach einer bisher in allen Belangen überragenden Aufstiegssaison vielleicht in die Versuchung kommt, vieles von dem, was wir heute haben, als selbstverständlich zu betrachten, ist es mitunter vielleicht ganz gut, immer mal wieder dran zu denken, wo wir hergekommen sind. Und dorthin will ich bitte niemals wieder zurück.

 

Beitragsbild: „Rückblick“ (geändert) von Martin Abegglen, Lizenz CC BY-SA 2.0

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