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Im Gespräch mit: Dirk Stahmann

Dirk Stahmann

Teil 3/3: Das Karriereende, die Sache mit dem Bart und die 10 Meisterschaften des BFC Dynamo

AS: Gab es da tatsächlich für Dich auch noch mal ein Angebot oder eine Option, wegzugehen? Die haben sich ja überall so die Leute geholt und Du warst ja schließlich auch Stammspieler.

DS: Ja, ich hatte mal mit Köln so ein bisschen Kontakt, da hatte sich der Paul Steiner hinten verletzt und die waren kurz mal an mich herangetreten. Wir haben da gegen Jena gespielt, weiß ich noch, 4:3 gewonnen, und dann sind sie aber zum Peschke, Heiko Peschke, weil der ein bisschen jünger war. Ich war ja schon 33. Ja, aber sonst, wie gesagt… Halle mal, aber da hätte vielleicht noch Arsenal London kommen müssen, dann wär’ ich vielleicht noch mal weggegangen. Aber sonst…

AS: Und dann warst Du bis 94 noch aktiv.

DS: Ja, ich hatte aber ein Jahr Pause, weil ich dann schon meinen jetzigen Job hatte. Es ging abends immer erst raus Richtung Stadion zum Training um halb 8, dann warst Du um 10 zuhause, sonntags hast Du gespielt, irgendwann hast Du das nicht mehr geschafft. Da habe ich dann gesagt: “Okay, Feierabend.” Dann hat man mich noch mal überredet nach einem Jahr. Ich hab’ dann noch mal angefangen, hab’ dann noch mal ein bisschen gespielt und dann, ja dann ging irgendwann nichts mehr. Da war dann auch die olle Quali, in der wir zwei Elfmeter verschossen haben im letzten Spiel. Ich war da auch wieder gesperrt, weil ich gegen Hertha noch ne Karte gekriegt hatte. Das war auch trist. Das war trist. Keine Zuschauer… ich habe immer gern vor vollem Haus gespielt.

AS: Du bist ja dann, von allem, was man so liest, relativ nahtlos nach der Karriere in den Job gewechselt…

DS: Nee, das lief parallel. Ich hatte mich bei meinem jetzigen Arbeitgeber beworben damals, weil mir das wichtig war. Ich meine, es gab auch noch lose Anfragen als Spielertrainer, TuS Celle kam da zum Beispiel noch mal, Arminia Hannover, das war durchaus lukrativ. Aber ich sag’ mal so: Das war mir nix. Ich hätte zwar noch mal ein paar Mark machen können auf deutsch gesagt, aber für mich war eine gesicherte Existenz wichtiger. Ich hatte mir hier parallel ein kleines Reihenhäuschen gekauft gehabt, ausgebaut und es gibt da einen schönen Satz: Wenn ich den Dom nicht sehe, dann bin ich krank. Da stehe ich auch zu. Ich bin immer gern auf Reisen gegangen, aber Magdeburg ist meine Heimat. Und wie gesagt, ich hatte mich dann eben beworben, bin jetzt bald 25 Jahre dabei und ich hab’s nicht bereut. Ich spiele noch in der Traditionsmannschaft, das macht immer noch Spaß. Ich trage unser Emblem immer noch stolz auf der Brust. Paule Seguin spielt immer noch mit, die Alten, Döbbelin, Dirk Heyne, wenn er kann, die Jüngeren rücken nach, das macht schon Spaß.

AS: Das mit dem Emblem ist eigentlich fast schon ein schönes Schlusswort. Du hast ja gerade schon von der Traditionsmannschaft gesprochen und ich habe gesehen, dass Du ja auch im Sportbeirat noch unterwegs bist.

DS: Ja, ich war ja damals, vor 10 Jahren schon, mit im Verwaltungsrat und bin jetzt im Sportbeirat, genau. Wir haben uns da gesagt, wir werden gern ein paar Hinweise geben, aber der Kalle [Mario Kallnik] macht das sehr gut. Wenn Fragen sind, können sie gern an uns herantreten, aber es läuft ja alles. Der Kalle macht das super, da gibt es nichts zu meckern.

AS: Also bist Du dem Verein dementsprechend noch verbunden und involviert. Gehst Du morgen ins Stadion?

DS: Klar! Immer. Wir sind immer da, wenn wir nicht gerade selber spielen.

AS: Ja, schöne Sache! Meine Fragenliste ist leer. Gibt es von Deiner Seite noch irgendwas? Eine Anekdote, die noch nie erzählt worden ist? Oder irgendwas, wo Du sagst, das ist Dir jetzt noch mal besonders wichtig?

DS: *überlegt* Nö, eigentlich nicht. Fällt mir aber bestimmt nachher zuhause noch ein *lacht*.

AS: Okay, na ich hab’ Dich ja jetzt hier auch schon über eine halbe Stunde getriezt.

DS: Ach Quatsch, ist doch schön, ein bisschen zu plaudern…. wie gesagt, Nationalmannschaft war auch eine schöne Zeit. Aber der große Erfolg blieb halt aus. Außer in der Olympiaauswahl, wo wir den Erfolg hatten, aber der wurde ja dann durch die Politik versaut. Da muss ich auch dazu sagen, wenn ich damals nicht verheiratet gewesen wäre, hätte ich dran gedacht, zu gehen. In der Partei war ich nie, die haben zwar immer gedroht: “Wenn Du Kapitän wirst, musst Du in die Partei”… ach so! Da fällt mir noch ein: Mein Bart!

AS: Ach klar, genau! Die Bart-Anekdote!

DS: Das war auch so eine Geschichte. Nationalmannschaft. Wir haben uns in Leipzig getroffen, das war ne Wettkampfreise, wie damals so schön gesagt wurde, nach Mexiko, San Francisco und über New York zurück. Und ich hatte wirklich mein Rasierzeug vergessen. Kann man ja neu kaufen, klar, aber ich dachte: “Scheiße, lässt Du mal den Bart wachsen.” Und nach drei, vier, fünf Tagen ging es natürlich los, da begann der Bart zu sprießen. Drei-Tage-Bart erst, dann immer mehr. Zwei Wochen waren wir ja weg, da war dann der Bart zwar nicht ganz so lang, dafür aber schön schwarz. Angekommen sind wir dann wieder in Berlin-Schönefeld, das war an einem Donnerstag im Februar und es hatte geschneit. So. Dann sind wir nach Hause gefahren und mussten am Samstag in Magdeburg gegen Lok spielen. Freitagmittag klingelt es bei mir zuhause und Achim Streich, unser Trainer, stand vor der Tür. Ich hab’ dann Kaffee gemacht, wir haben ein bisschen über das Spiel gequatscht und plötzlich meinte Achim so: “Ach, weißt Du, warum ich eigentlich komme? Das kann ich Dir gar nicht sagen”. Ich so: “Warum?” – “Du musst Dich rasieren.” – “Warum das?” – “Na es kam ein Anruf aus Berlin, der Dirk Stahmann darf mit dem Bart nicht auflaufen am Samstag.” Ich sag’ so: “Ach Du Gott.” “Ich wollte es Dir bloß sagen”, sagte Streich, “ich kann’s Dir nicht verbieten…” So. Nachmittag war Abschlusstraining und dann war es immer so, vor der Halbserie oder vor der 2. Halbserie gab es immer ein Treffen mit Kaffeetrinken bei der Bezirksleitung. Und ich mit Bart nach dem Training. Dann sind wir in die Börde gefahren ins Camp, haben da übernachtet, der Bezirksleiter hatte auch nichts weiter gesagt. Am anderen Morgen war Mannschaftssitzung und auf einmal klingelt es wieder. Wir waren fertig, ich würde spielen, war ja klar, im Stadion wurden so 12.000 oder 15.000 Leute erwartet. Ich weiß gar nicht mehr, auf jeden Fall sollte es voll werden. Es kam ein Anruf aus Berlin zum Quartier hin. “Stahmann darf nicht spielen. Erfindet irgendwas, verletzt oder was”. Ja, das war halt so! Und Streich so: “Langer, ich kann Dich nicht spielen lassen. Bist Du verletzt, hast Du irgendwas?” – “Nö. Du, Achim, weißt Du, was ich dann mache? Kann es Dir gleich sagen: Dann gehe ich in die Fankurve und sage die Wahrheit. Dann rasten die aus.” – “Na gut”. Ich bin also aufgelaufen und seitdem habe ich einen Bart.

AS: Ja wunderbar.

DS: Genau, es gab’ zwei Sportler. Kennst Du den anderen noch?

AS: Nee…

DS: Einen Handballer, Ernst Gerlach vom SCM. Der hatte auch einen Bart. Und wir waren die einzigen beiden…

AS: …die einfach einen hatten. Wenn man sich das vorstellt, wie weit der Arm da auch reichte einfach.

DS: Was wollten sie auch machen? Du bist da zwei Wochen mit den Leuten unterwegs und keiner hat was gesagt auf der Reise.

AS: Wenn man sich das heute vorstellt, auch diese ganzen Reisegeschichten, mit den ganzen sozialen Medien und so weiter, das wäre ja noch mal anders.

DS: Wenn man dran denkt, wie das bei uns damals war… Wenn Bayern München irgendwo hin kommt, dann steht der Bus da. Die werden vom Flughafen mit ihrem Bus abgeholt, ob das in Spanien ist, in Moskau… Was das für den Kopf auch ausmacht: Du hast Deinen eigenen Bus, psychologisch ist das echt wichtig, darum machen die das ja auch. Das ist eine andere Welt, man kann es nicht mehr vergleichen. Der Fußball ist auch schneller geworden, das ganze Drumherum, was die heute alles in den Allerwertesten geblasen kriegen… Für mich ist das nicht mehr nachvollziehbar.

AS: War halt ‘ne andere Zeit einfach. Beispiel Pape-Cup, da siehst Du das ja mitunter auch, wie die 15jährigen von Hoffenheim oder Dortmund oder so dann auch schon umsorgt werden. Ich kann mich an eine Szene erinnern, da war das Turnier noch in der Gieseler-Halle, da ist Hoffenheim vom Feld gegangen und irgendein Spieler hatte so eine Getränke-Trage in der Hand. Da kam der Betreuer hinterher gerannt, dass die zarten Geschöpfe bloß nichts tragen müssen, riss dem das aus der Hand und ich dachte auch nur so: “Ey, Jungs…”

DS: Die können nicht mal mehr ne Tasche tragen. Auch im Fußball, in der 3. Liga siehst Du das ja auch schon. Diese Schwalben und das “Aua!” Schreien und dann haben sie gar nichts. Parallel läuft ja gerade die Frauen-WM und ich gucke mir das immer gern an. Da gibt’s kein “Aua” oder irgendwen, der rumschreit. Es ist halt eine andere Welt.

AS: Bei der Geschichte mit dem Bart ist mir übrigens noch eine Frage eingefallen und die hat mit Achim Streich zu tun. Du hast mit ihm ja zusammengespielt, Ihr wart ja Mannschaftskollegen. Und dann ist er ja mehr oder weniger, so liest man es ja immer, Knall auf Fall Trainer geworden. Wie war denn das für Dich oder für Euch in der Mannschaft? Das stelle ich mir ja total schräg vor.

DS: Ja, also für mich war Achim Streich schon als Hansa-Spieler ein besonderer Spieler. “Idol” kann ich nicht sagen, eigentlich war Paule mein Vorbild, Paule Seguin. Achim Streich habe ich bewundert, seine ganze Art, wie er Tore macht, wie Gerd Müller, das war ja immer der Vergleich. Wir haben dann mal in Erfurt gespielt und haben da ne Klatsche gekriegt, 4:0, glaube ich jedenfalls, oder 3:0, weiß ich nicht mehr. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, das war Kreuls letztes Spiel als Trainer. Und dann wurde Achim Streich über Nacht als Trainer quasi beauftragt. Der hat dann gesagt: “Langer, bist Du bereit?” und hat auch die Mannschaft gefragt, ob ich Kapitän werden soll. Ich sag’: “Gerne!” Ich muss sagen, wir haben uns gedutzt, war alles kein Problem, aber es war immer Achtung da. Er ist Trainer und wir sind Spieler. Das war so eine Zeit, ‘85 war das damals, ‘86, ‘87, auch mit dem Bilbao-Spiel, da hatten wir eine gute Truppe. Markus hat auch gut gespielt, nur haben wir unsere Chancen nicht genutzt, sonst wären wir auch weitergekommen. Bis 89/90 war das ein super Verhältnis mit dem Achim. Der hat uns eine lange Leine gelassen, aber dann auch wieder gezogen. Das hat keiner ausgenutzt und darum war das Verhältnis auch freundschaftlich, aber trotzdem war auch eine Distanz da. Auch wenn mich jemand fragt, wer so der beste Trainer war: Achim Streich. Der konnte was vormachen, was ja schon immer wichtig ist auch als Spieler, und ich hab’ das dann an die Mannschaft weitervermittelt. Mit meinem Ton, der auf dem Feld schon auch barsch war, aber das hat mir keiner übel genommen. Das war auch eigentlich eine super Zeit, muss ich sagen. War eine sehr junge Mannschaft damals: Minkwitz, Gerlach, Wuckel, die alle hoch kamen, Dirk Schuster dann noch. Den habe ich übrigens vor vier Wochen getroffen, da haben wir zusammengespielt. War so eine DDR-Auswahl, gegen ESV Lok Zwickau, die haben 1988 gegen Dynamo Dresden in der ersten Runde im Pokal gespielt und hatten uns eingeladen. Da waren einige dabei und eben auch Dirk Schuster, den ich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen hatte. War ein schöner Abend.

Ach so, vielleicht zum BFC meine paar Worte noch, wenn wir gerade mal dabei sind. Wie gesagt, die hatten eine super Mannschaft, super Spieler, aber nicht zehnmal Meister. Wir haben es ja live erlebt. Ich werde auch nie vergessen: Wir haben mal binnen einer Woche zwei Spiele gegen den BFC gemacht. Das muss ‘84 gewesen sein, da war Achim noch als Spieler mit dabei. 83/84 vielleicht? Ein Spiel war im Pokal, eins in der Meisterschaft. Im Punktspiel haben wir 2:1 geführt und 96 Minuten gespielt, aber es ist kein Tor mehr gefallen. Im Pokal lagen wir 2:1 hinten und es wurde in der 88. Minute abgepfiffen. Das sind alles so Anekdoten…

AS: …wo Du den Leuten nicht wirklich was nachweisen kannst, aber es ist klar, was los ist.

DS: Oder nach dem Pokalsieg ‘83 im Halbfinale gegen den BFC. Zuerst in Berlin, das Rückspiel dann in Magdeburg, das werde ich auch nie vergessen. In Berlin haben wir 3:2 gewonnen. An meinem Geburtstag war das, am 23. März. Und das Rückspiel war am 1. Mai, also ein Monat dazwischen – 2:0 verloren, aber auch total verpfiffen. Aber wirklich. Ein Elfmeter und ein Freistoß von Thom noch kurz vor Schluss. Hätten wir 1:0 gespielt, wären wir drin geblieben bzw. im Endspiel gewesen. Das sind alles Sachen, damals das Spiel in Leipzig, Lok, wo sie auch länger gespielt haben, ist ja alles rausgekommen im Nachhinein. Wo ich sagen muss, vier, fünf, sechs Mal Meister, okay, wir bestimmt noch einmal, Lok, Jena, Dresden, die auch super Mannschaften hatten, aber nicht zehn Mal hintereinander. Da haben schon alle drüber gelacht. Manche Schiedsrichter, da wird Dir heute noch schlecht, aber das wurde damals bewusst so gemacht.

AS: Okay, super. Damit wären wir durch. Dirk, ganz vielen Dank für Deine Zeit und für das Gespräch!

 

Beitragsbild: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0823-011 / Häßler, Ulrich / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5664557

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