Intro
Adolphus Ofodile wird Clubfans sicherlich nicht nur wegen seines Führungstreffers gegen die Münchner Bayern in der 2. Runde des DFB-Pokals 2000/2001 ewig in Erinnerung bleiben. Insgesamt 55 Partien absolvierte der quirlige Nigerianer in zwei Spielzeiten für die Größten der Welt, in denen er 24 Tore erzielen konnte. Nach dem Regionalliga-Aufstieg wechselte er nach England zum FC Walsall und kickte später unter anderem für den FC St. Pauli in der 2. Bundesliga. Mittlerweile lebt Adolphus Ofodile in Herford, wo ich ihn Ende Mai 2017 zum Gespräch traf.
Teil 1: Nigeria, Belgien, Magdeburg
Alexander Schnarr (AS): Adolphus, erst mal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, heute mit mir zu sprechen! Ich mache ja für nurderfcm.de so eine kleine Interviewreihe mit ehemaligen FCM-Spielern und hab’ in dem Zusammenhang auch neulich schon mit einem ehemaligen Teamkollegen von Dir gesprochen, mit Deinem Kapitän Bodo Schmidt…
Adolphus Ofodile (AO): Oh, Bodo Schmidt! Mit ihm würde ich auch gern mal wieder reden! Er ist wirklich ein ganz besonderer Mensch. Man konnte viel von ihm lernen, charakterlich, fußballerisch, in professioneller Hinsicht…. Er ist aus Dortmund gekommen und hat den jungen Spielern wirklich oft gezeigt, wie es richtig geht. Das war richtig schön. Ich freue mich sehr, dass ich mit ihm zusammen spielen konnte und hab’ viel von ihm gelernt. Er ist einfach ein wunderbarer Mensch!
AS: Ich würde gern insgesamt ein bisschen auf Deine Karriere als Fußballer schauen. Du kommst ja aus Nigeria und ich hab’ gesehen, dass Du ziemlich früh in Belgien warst. Wie ging das denn los bei Dir mit dem Fußball und wie kam es zu dem Wechsel ausgerechnet nach Belgien?
AO: Also in Nigeria habe ich immer Fußball gespielt. Mein Vater ist ein Mann, dem Schule und Lernen wirklich wichtig waren. Er hat nicht akzeptiert, dass ich Fußballer war, weil er Angst hatte, dass ich vielleicht die Schule zu früh verlasse. Ich habe immer Ärger bekommen, wenn ich vom Fußball spielen nach hause kam. Auf einmal hatte ich dann einen Profivertrag von einer guten Mannschaft in Nigeria, da war ich noch Schüler.
AS: Da musst Du doch so 15, 16 gewesen sein…
AO: Ja, 15. Mein Vater hätte eigentlich unterschreiben müssen, dass ich weiter mit dieser Mannschaft arbeiten kann. Und dann habe aber ich unterschrieben; als ich mein erstes Gehalt bekam, hat mein Vater mich gefragt, “Woher hast Du das Geld?” Ich hatte dann Angst zu erzählen, dass das vom Fußball ist, weil er mich sonst vermutlich ohne Ende geschlagen hätte. Da habe ich gesagt: “Mein Kollege hat mir das gegeben”. Er sagte: “Das ist zu viel Geld” und hat mich zur Polizei gebracht. Mein Manager hat gehört, was passiert ist und ist gekommen, um das mit meinem Vater zu klären. Der hat aber das ganze Geld wieder zurückgegeben und gesagt: “Mein Sohn muss solche Sachen nicht machen, er ist noch jung”. Mit dem Manager habe ich dann vereinbart, das ich nur nachmittags zum Training gehe, sodass ich weiter spielen konnte. Allerdings habe ich das vor meinem Vater verheimlicht.
AS: Warte, Du hast heimlich Profifußball in Nigeria gespielt?
AO: Ja. Und dann war ich aber, weil ich gut gespielt habe, überall in der Zeitung… Wir haben den Pokal gewonnen und waren in der Champions League in Afrika am Start. Da ist dann die belgische Mannschaft [Eendracht Aalst, A.S.] auf mich aufmerksam geworden. Die sind nach Nigeria gekommen, um mich zu verpflichten, da war ich 16 und gerade mit der Schule fertig. So bin ich dann nach Belgien gekommen.
AS: Und damals gab es schon einen Manager?
AO: Genau, von dem Verein in Nigeria. Ich war dann in Belgien beim Probetraining, die hatten einen britischen Trainer, und war ja vorher lange unterwegs. Angekommen bin ich dort um 6 Uhr, Training war um 7 Uhr. Aber weißt Du, wenn Du jung bist, willst Du ja unbedingt immer spielen. Ich kam also da an, war ganz begeistert von dem schönen Platz und wollte sofort loslegen. Der Trainer sagte schließlich: “Okay, komm!” Wir haben dann gespielt, und nach 10 Minuten sagt er zu mir: “Alles klar, geh’ duschen.” Und ich so: “Häh?” Ich saß dann in der Kabine und habe geweint, weil er mich gar nicht sehen wollte. Das Training hatte noch gar nicht richtig angefangen, sondern wir haben nur 2 gegen 4 gespielt. Da kam der Physio rein, sah, dass ich weinte, ging zurück zum Trainer und sagte: “Hey, der Junge weint!” Daraufhin kam der Coach zu mir und sagt: “Ey, was ist los?” und ich so: “Du willst mich nicht!” Der Trainer antwortete: “Nein, ruf’ mal Deinen Manager an! Das ist wichtig, Du bist für mich ein guter Spieler, ich habe in den 10 Minuten alles gesehen!” Da war ich so glücklich! Ich hab’ dann dort angefangen und in 6 Monaten ging dann auch alles recht schnell. Anderlecht und andere Mannschaften wollten mich haben, ich musste aber bis Saisonende dort bleiben. Am Ende der Spielzeit kam eine Anfrage aus der 2. Bundesliga von Aachen, die waren ja direkt hinter der belgischen Grenze. Die Leute haben mich beobachtet und wollten mich auch haben. Ich war dann dort, und zwar an dem Tag, an dem ich eigentlich nach Nigeria zurückfliegen sollte. Ich habe dann dort ein Probetraining gemacht, in einem Trainingsspiel 4 Tore geschossen und die Leute sind völlig durchgedreht. Magdeburg hat das offenbar mitbekommen. Mein Kollege sagte: “Das ist auch eine gute Mannschaft” und ich weiß nicht, wie, mein Herz hat dann für Magdeburg den Ausschlag gegeben. Ich hatte ein Vertragsangebot, bin nach Nigeria gegangen und kam dann irgendwann zurück. Das Angebot habe ich dann erst einmal angenommen. Ich meine, die 2. Bundesliga war für mich ja auf jeden Fall erreichbar. Magdeburg war damals 3. Liga, nicht?
AS: Genau, die haben Dich damals für die Regionalliga geholt.
AO: Und von da an habe ich Fußball anders gesehen, mit meinen Fans, ne? Ach, die Fans…
AS: Okay, nochmal zum Verständnis: Du hattest ein Vertragsangebot in Aachen?
AO: Ja, genau.
AS: Und aber auch von Magdeburg?
AO: Ja, nee. Dieses Angebot, das war so, man hat mir gesagt: “Du kannst jetzt erst mal nach Nigeria gehen und wenn Du zurückkommst, machen wir den Vertrag.” Aber eigentlich war alles schon klar. Und dann kam eben ein Kollege zu mir, auch ein Nigerianer, der mir sagte: “Du musst nach Magdeburg! Das ist eine gute Mannschaft.” Und da hatte ich auch das Angebot gehabt und ein Probetraining gemacht und ein Spiel und und und. Der Trainer dort war auch eine besondere Person für mich. Wie heißt der nochmal? Unser Trainer, der alte….
AS: Eberhard Vogel?
AO: Nee, Vogel nicht…
AS: Warte, wir schauen nach *blättert durch Mannschaftsfotos*… wie hieß er denn? Auf diesem Mannschaftsbild [1999/2000] bist Du nicht drauf…
AO: Ja, hier fehlt mein Foto, weil das Mannschaftsbild gemacht wurde, bevor ich gewechselt bin. Aber hier ist der Trainer – Hans-Dieter Schmidt.
AS: Hans-Dieter Schmidt, klar! Und später dann Eberhard Vogel.
AO: Ja, diese Zeit war richtig schön für mich.
AS: Und hier ist Adolphus Ofodile in Action, gegen Bayern.
AO: Ah, ja, das war damals eine richtig schöne Sache. Also, Magdeburg ist… ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber auch wenn ich jetzt meinen Kindern hier erzähle, dass ich Fußball gespielt habe, rede ich immer nur über Magdeburg. Schon komisch. Aber ich habe wirklich ein gutes Gefühl für Magdeburg und für die Fans. Überleg’ mal, von Anfang bis Ende, “Oooooofodile!”, das war Gänsehaut pur! Immer, wenn ich diesen Platz betreten habe, habe ich gesagt: “Lieber Gott, gib’ mir Kraft, damit ich diesen Leuten zeigen kann, dass ich sie liebe!” Das war alles, was ich im Kopf hatte, weißt Du? Ich war so glücklich! Als es dann Zeit war, zu gehen, war das auch schwierig. Mir gingen einige Sachen im Kopf rum, vor allem wegen meiner Familie, das war ein wichtiger Anlass. Ich hab’ dann gesagt: “Ich muss in eine andere Stadt gehen.” Magdeburg hat sich sehr bemüht und wollte wirklich, dass ich bleibe. Ich hatte mehr als 16 Angebote aus Deutschland, auch Teams aus der Bundesliga hatten angefragt, aber ich habe das dann letzten Endes alles gelassen und bin nach England gegangen.
AS: Warte, ich muss kurz schauen, wie der Verein hieß…
AO: Walsall.
AS: Walsall, genau. Aber da hast Du nicht so viel gespielt, oder?
AO: Nee. Mein großer Bruder war gestorben, weißt Du. Walsall hatte mich als ersten Stürmer geholt, das erste Spiel war auch gut, aber mein Bruder war krank und das war wirklich schwierig für mich. Er ist dann gestorben und ich konnte dann einfach nicht mehr. Ich hab’ dann gesagt: “Hier muss ich auch weg, ich bin vom Kopf her einfach nicht mehr da”. Der Trainer und die Fans sind zu mir gekommen und haben gefragt: “Was sollen wir machen, damit alles wieder gut wird?”; die haben auch gut bezahlt und so weiter, aber ich habe dem Trainer einfach die Wahrheit gesagt: “Ich kann nicht mehr, tut mir leid.” Normalerweise dachte ich immer, wenn ich zum Training oder auf den Fußballplatz kam, an nichts anderes mehr außer an Fußball. Das hat mich glücklich gemacht. Aber nach dem Tod meines Bruders hatte ich dieses Gefühl nicht mehr. Ich hab’ dann gesagt: “Ich muss weg” und bin dann gewechselt.
AS: Und dann kam St. Pauli, 2. Liga.
AO: Ja, St. Pauli war auch gut, aber der Kopf war immer noch nicht sauber. Vielleicht war der Wechsel auch ein Fehler. Vielleicht hätte ich, wenn ich nach Magdeburg zurückgegangen wäre, wieder Kraft bekommen können. Ich habe auch jedes Mal geguckt, auf welchem Platz die stehen. Die Zeit dort war wirklich richtig schön. Ich finde Magdeburg wirklich besonders; das ist eine besondere Mannschaft für mich und das wird auch für immer so bleiben.
AS: Ich glaube, wir hätten Dich auch sehr, sehr gern zurückgenommen, aber wir waren ja dann bankrott…
AO: Ja, ja… diese Zeit… ein Fan hat mich mal gefragt: “Warum hast Du uns verlassen?” Damals konnte ich da nicht drauf antworten. In dieser Zeit hatte ich ein paar Probleme mit der Familie und das hat mich richtig geärgert. Da habe ich gesagt: “Besser weg, besser weg.” In England ist es dann aber nochmal schlimmer geworden, als mein Bruder gestorben ist.
AS: Deine Familie war aber die ganze Zeit in Nigeria, oder? Oder waren die mit in Magdeburg?
AO: Nein, die Familie war in Nigeria. In der Magdeburger Zeit hatte ich eine Freundin, aber auch große Probleme, weil sie in Kapellen-Erft gewohnt hat und ich eben in Magdeburg war. Das gab manchmal Stress, und das ist natürlich auch alles im Kopf. Das ist dann zu schwer. Das ist auch das, was ich später meinem Sohn sage: So etwas muss nicht sein, Du brauchst das nicht. Am Ende kann ich aber sagen, dass ich in meiner Karriere alles erreicht habe, was ich erreichen wollte. Das ist ganz, ganz wichtig für mich; meine Karriere war schön, besonders auch Magdeburg.
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