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Ein Spiel, zwei Perspektiven: SpVgg Unterhaching (H)

Tränenreicher Abschied, Christian Beck mit Tochter

Die Punkterunde der Saison 2020/2021 ist absolviert, der 1. FC Magdeburg beendet die Drittligaspielzeit mit einem 1:1 gegen die bereits abgestiegene SpVgg Unterhaching. Das war an diesem Samstag freilich komplett egal, schließlich ging es vor allem darum, mit Christian Beck einen der prägendsten Spieler der Nachwende-Vereinsgeschichte zu verabschieden. Und das gelang unter den gegebenen Umständen recht gut, zumal sich der ehemalige Kapitän und Torgarant im letzten Spiel für den Club, den er achteinhalb Jahre geprägt hat, sogar noch selbst einen Treffer schenken konnte. Unser Blick auf die Partie und vor allem das Drumherum:

Meine Erwartungen vor der Partie:

Nicole:

Ein schönes Abschiedsspiel für Beckus. Das waren meine Erwartungen. Wenn es rund laufen würde, dann würden auch noch zwei Treffer für ihn auf der Habenseite stehen. Das wäre der Wunsch vieler Fans, denn dann hätte er die 150 Treffer voll.
Zudem wollte ich eine schöne Partie zum Abschluss sehen und ich erwartete, dass er einen gebührenden Abschied erhält. Vor einem vollen Haus wäre es allen lieber, aber Corona macht uns leider (mal wieder) einen Strich durch die Rechnung. Von daher waren meine Erwartungen, was das Spiel betraf, nur auf Christian Beck gerichtet.

Alex:

Ging mir ähnlich. Ich erwartete vor allem, Christian Beck in der Anfangsformation zu sehen und hoffte, dass er sowohl möglichst viele Minuten in seinem letzten Einsatz erhalten als auch mindestens einen Treffer erzielen würde. Und klar, zwei wären natürlich noch besser gewesen, aber auch 149 Pflichtspieltore für die Größten der Welt sind eine Hausnummer, die vermutlich kein Spieler so schnell wieder erreichen wird.

Gespannt war ich zudem, wie der Club wohl den Abschied organisieren würde, so ganz ohne die Kulisse, die dieser Spieler eigentlich verdient gehabt hätte. Das Sportliche war mir an diesem Nachmittag vollkommen egal.

So habe ich das Spiel verfolgt:

Nicole:

Im Stadion, in unserem Wohnzimmer. Ein letztes Mal für diese Saison. Ich hoffe, auch ein letztes Mal ohne Fans. Es ist mittlerweile unerträglich. Keine Stimmung, immer wieder dieser Testspielcharakter. Manche Worte, die auf dem Platz fallen, will man einfach nicht mehr hören. Man will in den Gesängen baden, man will sich auf der Tribüne anschreien müssen, um einander zu verstehen.

Nun saß ich aber wieder an meinem angestammten Platz und begann zu tickern. Draußen vor dem Stadion waren einige hundert Fans gekommen und sangen das Spiel über. Ein tolles Gefühl, auch wenn es nur durch den Wind lauter reingetragen wurde.
Die Begegnung selbst begann mit Christian Beck und Sören Bertram in der Startformation. Im Laufe der ersten Minuten passierte nicht allzu viel, man sah aber, dass sämtliche Pässe auf Beckus gespielt wurden, damit er sein Tor bzw. seine Tore machen konnte. Das war eine schöne Geste. Alle spielten für und auf ihn.

Die erste Halbzeit plätscherte so dahin. Beide Teams wollten, aber waren nicht durchschlagend genug. Dann waren auch schon 45 Minuten rum und alle gingen in die Kabine. Außer einem und das war schon der erste und vielleicht auch intimste Moment, den man überhaupt in einem Stadion während einer Partie haben konnte. Über die Leinwand flimmerte ein Film, extra für Beckus gemacht. Ein Film mit Spielszenen und zwischendrin Grußbotschaften von seiner Familie und einigen seiner Weggefährten. Da flossen viele Tränen bei Beckus und er war unheimlich gerührt. Diese Stimmung im Stadion war ein Wahnsinn. Da musste man sich selbst auch die Tränen verdrücken.

In der zweiten Halbzeit sollte Beckus dann gebührend vom Platz begleitet werden. Vor seiner Auswechslung schaffte er aber noch diesen Treffer, den er unbedingt wollte. Es war Nummer 149 und alle standen und applaudierten. Doch dann folgte in der 65. Minute (dem Gründungsjahr) der eine Moment für seine Ewigkeit. Christian Beck verließ zum letzten Mal den Platz in seinem Wohnzimmer, als Spieler des 1.FC Magdeburg. Die anwesenden Personen standen alle auf, die Spieler standen Spalier und es dauerte fast 5 Minuten, bis er den Rasen verlassen hatte. Ein Gänsehautmoment und wieder rollten die Tränen.

Der Ausgleich war letztendlich ärgerlich, das Spiel nun völlig zur Nebensache geworden und als Arie van Lent sogar den Schiedsrichter bat, keine Minute nachzuspielen, war das Spiel auch schon vorbei. Keiner hatte so richtig darauf geachtet. Was abseits des Platzes passierte, das war heute von größter Bedeutung. Nach Abpfiff überschlugen sich die Ereignisse. Die Fans vor dem Stadion feierten ihr Idol und er ließ sich feiern. Zu Recht.
Das Spiel war vorbei. Die Saison war vorbei. Die Emotionen waren aber übermäßig da und die Vorfreude auf die neue Saison mit Fans im Stadion wird größer und größer.

Alex:

Grübelnd, hadernd und traurig habe ich das Spiel verfolgt; es ist tatsächlich recht schwer in Worte zu fassen, was mir während der 90 Minuten und deutlich darüber hinaus alles so durch den Kopf ging. Einerseits wäre ich unheimlich gern in Magdeburg gewesen und als die Gesänge vom Stadionvorplatz über das Dach und die Außenmikrofone in mein Wohnzimmer schwappten, gab es mehr als nur einen Stich ins Herz und so den Gedanken: „Ach, Mensch, wie gern würde ich jetzt auch dort stehen und mir die Seele aus dem Leib brüllen.“ Dann wiederum war es ja eine ganz bewusste Entscheidung, an diesem Samstag nicht in die Festungsstadt zu fahren; eine Entscheidung zudem, die nicht erst vorgestern gereift war. Natürlich hat die Pandemie da viel mit zu tun, aber eben auch, und vielleicht wird es wirklich langsam Zeit, mir das mal einzugestehen, der Umstand, dass sich seit März 2020 einfach unheimlich viel verändert hat.

Und so saß ich nun also da und dachte genau darüber nach, während ich letztmalig Christian Beck, Sören Bertram und noch einige andere Spieler im Trikot meines Vereins Fußball spielen sah.

Ich bin in der Pandemie Vater geworden und es ist einfach so, dass sich mit der Gründung unserer kleinen Familie ohne, dass ich das irgendwie groß antizipiert hätte, der Fokus und die Prioritäten im Alltag schon ein gutes Stück verschoben haben. Was bei dieser Verschiebung übrigens nicht hilft: Der Umstand, dass das Heinz-Krügel-Stadion etwa 370 km weit weg ist, ohnehin den weit überwiegenden Teil der Saison keine Zuschauer ins Stadion durften und wir pandemiebedingt seit Oktober unser Dorf hier im Wesentlichen nicht mehr verlassen haben.

Ich weiß nicht, ob ich vor zwei Jahren die Tour noch gemacht hätte, ohne das Spiel selbst im Stadion sehen zu können. Vermutlich schon. An diesem Nachmittag jedenfalls fühlte es sich irgendwie völlig richtig und gleichzeitig komplett falsch an, nicht vor Ort zu sein. Ich meine, das war schon eine der bedeutenderen Veranstaltungen der jüngeren Vereinsgeschichte und ich saß zuhause und war nur dabei, aber eben alles andere als mittendrin.

Dann, und das ist, glaube ich, das andere große Ding, markiert der Abschied von Christian Beck, vom Spieler selbst mal völlig unabhängig, das Ende einer Geschichte, eines Zyklus‘ gewissermaßen, die und den ich als Clubfan ziemlich intensiv und verhältnismäßig nah miterlebt habe, heftige Entfremdungsgefühle an einigen Stellen in den letzten beiden Jahren inklusive. Ich kann das noch nicht so genau bestimmen, auf jeden Fall aber ein Gefühl benennen, das in dem Moment, in dem Beckus sein Spalier bekam und alle umarmte, ganz stark war: Hier endet etwas. Hier ist etwas unwiederbringlich vorbei. Jetzt beginnt eine neue Zeit und ich habe überhaupt noch gar keine Ahnung, in welcher Form ich das, was ab jetzt passiert, begleiten werde. Oder will. Oder kann. Merkwürdiges Gefühl. Der Letzte der Generation Amateurfußball geht und es ist doch krass, was das für Gedanken und Emotionen auslöst. Abschied, Aufbruch, Veränderung. Ach, FCM. Ach, Fußball. Wie kannst Du nur so schön und gleichzeitig so unfassbar herzzerreißend sein?

Die Partie in maximal fünf Worten:

Nicole:

Mach`s gut, Beckus!

Alex:

Rinnjehaun, Du Blinder!

Das bleibt in Erinnerung:

Nicole:

Die Emotionen trotz leerem Stadion. Die Stille beim Abspielen des Videos für Beckus. Die Tränen, die aus ihm herausbrachen. Er schoss noch sein 149. Tor und er wurde von Fans in kleinerem Rahmen gefeiert. Es waren Momente, die wir jahrelang als normal ansahen und die jetzt so weit weg erschienen. Ein Spieler der Generation Amateurfußball geht und mit ihm ein Stück FCM-Geschichte. Es war der emotionalste Abschluss aller bisherigen Saisons, die ich beim Club erlebt hatte. Aber es ist auch gleichzeitig das Ende einer Saison, die mich viel Nerven und Kraft gekostet hat.

Alex:

Die volle Wucht des kommerziellen Profifußballs (und ja, ich weiß, das war jetzt irgendwie doppelt gemoppelt). Da sitzt Du also vor dem Fernseher, siehst Christian Beck in der Halbzeitpause mutterseelenallein auf dem Rasen, siehst die Videobotschaften, verdrückst ein Tränchen – und dann schaltet MagentaSport mittendrin in die Werbung. Rumms. Kein Vorwurf an die Telekom, da gibt’s Verträge, Abläufe, schon alles klar. Zeit für Emotionen bleibt da nicht. „The show must go on“, die Werbepartner wollen auch zu ihrem Recht kommen.

Ähnliches nach der Partie: Beckus kriegt ne riesige Sektflasche, natürlich interessiert mich, was da weiter passiert – und dann gibt’s erstmal ein Interview mit einem Spieler des Gegners. Ich verstehe das alles, mir ist schon klar, dass da nicht nur Clubfans gucken. Trotzdem fühlte ich mich in den Momenten irgendwie abgehängt und ziemlich allein. Auch wenn in der neuen Saison wohl wieder Zuschauer ins Stadion dürfen und ich selbstverständlich meine Dauerkarte verlängern werde, deucht mir, dass ich solche TV-Momente in Zukunft wohl häufiger erleben werde. Die Zeit, in der ich so gut wie jedes Spiel live im Stadion sehen konnte, ist einfach vorbei und ich bin mir noch nicht so richtig sicher, ob ich dafür wirklich schon bereit bin.

Das Foto des Spieltags:

Tränenreicher Abschied, Christian Beck mit Tochter

(c) Norman Scholz

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