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Härtelsche Rotationsüberraschungen

die spielerisch vielleicht beste zweite Auswärtshälfte der Saison

VfR Aalen – 1. FC Magdeburg, 28. Spieltag, 0-0 (0-0)

Chapeau, Jens Härtel! In einer englischen Woche rotieren zu lassen, ist ja per se nicht ungewöhnlich. Im Vergleich zum letzten Spiel aber gleich auf 9 Positionen, inklusive der des Torhüters, zu tauschen und außerdem noch taktische Änderungen vorzunehmen, ist mutig. Wenn diese Änderungen dann auch noch zu einem Punktgewinn führen, der gut und gerne ein dreifacher hätte werden können, muss man vor der Leistung des Trainers und selbstverständlich auch vor der der elf Akteure auf dem Rasen schlicht und ergreifend den Hut ziehen. Auch wenn es am Ende nicht für einen Treffer reichte und die neu formierte Mannschaft eine ganze Weile brauchte, um ins Spiel zu kommen, lieferte sie am Ende die spielerisch vielleicht beste zweite Auswärtshälfte der Saison ab und entführt vollkommen verdient einen Zähler von der Ostalb – gegen eine Mannschaft, die ihrerseits ebenfalls gute Gelegenheiten hatte, das Spiel für sich zu entscheiden und sich gegen den einen Punkt im Bemühen um den Klassenverbleib mit Sicherheit nicht wehren wird. 

Hatte es während der Anfahrt zur schmucken Aalener Scholz Arena noch kräftig geregnet und geschneit, durfte sich diejenige Fraktion unter den etwa 500 Blau-Weißen, die sich im nicht überdachten Stehplatzbereich eingefunden hatte, darüber freuen, dass man sich dem Spielgeschehen bei gemütlichen 2 Grad über Null pünktlich zum Anpfiff niederschlagsfrei hingeben durfte. Genau wie für die Mannschaft dauerte es für den geneigten Zuschauer aber erst einmal ein wenig, bis sich auf dem Rasen alles einigermaßen sortiert hatte. Dass Matthias Tischer zu seinem Profifußballdebüt kommen würde, hatte die Boulevardpresse ja tagsüber schon verkündet; dass neben dem Keeper aber noch 8 weitere ‚Neue‘ in der Startelf standen, überraschte dann doch ein wenig. In einer Dreier-Abwehrkette lief Steffen Puttkammer zentral auf, links kehrte Nils Butzen in die Anfangsformation zurück, rechts verteidigte Silvio Bankert. Interessant war, dass sich sowohl Bankert als auch Butzen sehr weit nach außen orientierten, was die Abstände zwischen den Verteidigern sehr groß werden ließ und bei Aalener Angriffsbemühungen auch einige Male für ordentlich Gefahr sorgte. Glück für uns, dass der VfR aus den Situationen, die sich da so boten, kein Kapital schlagen konnte.

Vor der Abwehr ließ Jens Härtel erwartungsgemäß Niklas Brandt beginnen, daneben kam Burak Altiparmak zu seinem ersten Startelfeinsatz seit Dezember, blieb aber, bis auf einen Fallrückzieher im Mittelfeld in der zweiten Hälfte, der beim Gegner landete, einigermaßen blass. Auf der rechten Außenbahn war Tarek Chahed unterwegs, links lief Kevin Kruschke von Beginn an auf – sein erster Einsatz überhaupt seit der Auswärtsbegegnung in Würzburg am 19. Spieltag und das zweite Mal Startelf seit dem Spiel in Kiel am 02.10.. Zentral hinter den Spitzen und damit eigentlich auch da, wo er sich am wohlsten fühlen dürfte, agierte Lars Fuchs, im Sturm kam neben Christian Beck diesmal Ahmed Waseem Razeek zum Einsatz. Durchaus offensiv also, die Ausrichtung, und trotz der durcheinander gewirbelten ersten Elf ein Fingerzeig, dass man die Punkte in Aalen eben nicht würde abschenken wollen. Mehr vom Spiel hatten aber zunächst die Gastgeber, ohne wirklich Zwingendes zu produzieren, bis Matthias Tischer in der 17. Minute erstmals eingreifen musste, um einen Schuss vom starken Matthias Morys zu entschärfen. Eine Minute später zappelte der Ball dann im Netz, glücklicherweise hatte Dominick Drexler seinen Treffer allerdings aus einer Abseitsposition heraus erzielt. Vom Club kam nach vorne ziemlich wenig; wenn überhaupt, wurde man mit Fernschüssen gefährlich.

Während Blau-Weiß ab der 30. Minute um mehr Spielkontrolle bemüht war, blickte (bzw. besser: hörte) die Gästekurve aus den prominent vor dem Block platzierten Lautsprechern in die hässliche Fratze des Kommerzfußballs:

die spielerisch vielleicht beste zweite Auswärtshälfte der Saison

Zunächst gab es einen überlauten Jingle, dann präsentierte doch tatsächlich ein Sponsor die Information, dass jetzt bis zur Halbzeit noch 15 Minuten zu absolvieren wären. Das Ganze wiederholte sich mit 10 und 5 Minuten verbleibender Spielzeit – ein Service für die 4.555 anwesenden Personen, den nun wirklich gar keiner braucht. Aber hey.

Einen kurzen Aufreger gab es dann noch knapp 5 Minuten vor dem Pausenpfiff, als im Gästeblock ein einzelner, dafür aber ordentlich lauter Böller detonierte. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis der Böllerwerfer identifiziert und von den eigenen Fans aus dem Block entfernt wurde; vom Vorsängerpodest kam außerdem „auch nochmal für die, die nicht so oft da sind“, die Ansage, dass Böller im Stadion nichts zu suchen haben und gefälligst nichts aufs Spielfeld geworfen wird. Recht so, und damit war die Angelegenheit dann auch schon wieder erledigt.

Zur zweiten Hälfte wechselte Jens Härtel gleich zweimal und brachte Marius Sowislo für den erneut glücklosen Christian Beck; David Kinsombi kam für Tarek Chahed. Dadurch wurde auch auf dem Feld noch mal ein wenig rotiert: Kinsombi nahm den Platz von Butzen ein, der von der linken Abwehrseite ins rechte Mittelfeld rückte. Marius Sowislo orientierte sich in die Spitze auf die Beck-Position. Interessanterweise übernahm nun der Club die Initiative und erarbeitete sich ein gutes Maß an Ballbesitz, was, wie auch der Trainer auf der Pressekonferenz nach der Begegnung zu Protokoll gab, für das eigene Spiel ja eher untypisch ist. Aalen fand offensiv nun kaum noch statt und es dauerte bis zur 68. Minute, eher die Gastgeber wieder zu einem ernstzunehmenden Torschuss kamen.

Es kann sehr täuschen und ist vielleicht auch zu sehr Interpretation, aber irgendwie hatte man den Eindruck, dass der Club ohne Christian Beck als Zielspieler vorne variabler agierte, alles ein wenig flüssiger lief und man auf tiefem Boden in der Scholz Arena spielerisch noch einen Zahn zulegte. Bis etwa zur 70. Minute sah das sehr, sehr gut aus; es fehlte allerdings am zwingenden Abschluss bzw. an klaren Torgelegenheiten. Langsam wurden Erinnerungen ans Hinspiel wach, in dem die Aalener den Größten der Welt kurz vor Schluss noch den Knockout verpassten, ohne vorher selbst wahnsinnig dominant gewesen zu sein. Auch an diesem 28. Spieltag wäre es fast wieder so gekommen, allerdings reagierte Matthias Tischer in der 80. Minute glänzend gegen Matthias Morys und bewahrte sein Team so vor dem vielleicht spielentscheidenden Rückstand.

Auf der anderen Seite hatten Niklas Brandt und der eingewechselte Sebastian Ernst drei Minuten vor Abpfiff die Riesenchance zum 1-0: Einen tollen Freistoß setzt Brandt zunächst vor dem Gästeblock an den Pfosten, die Nachschussmöglichkeit erläuft Ernst eigentlich gut, kommt dann aber doch einen klitzekleinen Moment zu spät, sodass der Aalener Abwehrspieler noch zur Ecke klären kann. Schade – der Siegtreffer wäre aufgrund der spielerisch starken zweiten Hälfte durchaus verdient gewesen.

So blieb es beim torlosen Remis, mit dem beide Mannschaften gut werden leben können. Noch fix mit der Mannschaft ein- und am Zaun abgeklatscht und dann ging es auch schon wieder zurück auf die Autobahn – zufrieden mit der Leistung des Clubs bei diesem schweren Auswärtsspiel und in freudiger Erwartung der Kogge aus Rostock, gegen die wir nun am nächsten Spieltag den mit 45 Punkten äußerst wahrscheinlichen Klassenerhalt festmachen werden.

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