Seit dem Bericht zum vorerst letzten Punktspiel der Größten der Welt in Duisburg am 6. März (es fühlt sich an, als hätte das in einem ganz anderen Leben stattgefunden) blieb es an dieser Stelle doch recht ruhig. Warum? Nun, das hatte mehrere Gründe. Einerseits natürlich die Corona-Pandemie mit all den Sorgen und Einschränkungen, die sie im Schlepptau hat und hatte. Mich hat das alles ganz schön überrollt, um ehrlich zu sein, und sich auf die neue Situation einzustellen, hat echt eine Weile gedauert. Zeitweise ging es mir nicht so gut, ich hatte phasenweise regelrecht meine Sprache verloren. Das Gefühl, das damit einherging, war neu, unbekannt und gruselig: Alle Gedanken, die mir in den Kopf kamen, wirkten in diesen Momenten völlig belanglos und ohne jegliche Relevanz. Das, was mir einfiel, habe ich mir dann gespart, auszusprechen. An Schreiben war da erst recht nicht zu denken.
Gleichzeitig herrscht seit einigen Wochen ein relativ hohes Stresslevel im Brotjob, auch Corona-bedingt. Aber hey, ich beklage mich nicht, wenigstens habe ich noch einen. Andere Leute, auch in meinem persönlichen Umfeld, sind da in ganz anderen Situationen (womit wir dann wieder bei den Sorgen im Schlepptau wären). Naja, und dann werde ich in nächster Zeit außerdem noch Vater. Sehr aufregend, das alles, große Vorfreude natürlich und aber auch noch viel Zeug zu tun und zu bedenken, gerade auch mit Blick auf den ganzen Corona-Kram. In dieser ganzen Gemengelage war ich, auch da bin ich ehrlich, jetzt gar nicht so super böse, dass aktuell keine Fußballspiele stattfinden. Nur den Zeitpunkt des vorläufigen (!) Abschieds aus dem Stadion hätte ich mir gern selbst ausgesucht, aber so funktioniert das Leben nun mal nicht.
Und dann waren da noch die ganzen Debatten im Profifußballzirkus, die mich Tag für Tag fassungsloser zurückgelassen haben. Ich wusste gar nicht, was ich dazu noch sagen oder schreiben sollte, was nicht eh schon überall anders gesagt oder geschrieben worden ist. Klar wurde mir irgendwann nur: Je länger die Diskussionen, die da so geführt werden, dauern, desto weniger kann ich mich mit ihnen beschäftigen, ohne ernsthaft meine geistige Gesundheit auf’s Spiel zu setzen. Klingt drastisch, ist aber so.
Jetzt aber, Freundinnen und Freunde der russischen Dichtkunst, jetzt reicht es. Jetzt platzt mir der Arsch.
Gleich vorab: Ich bin ja wirklich froh, sehr froh, Fan und Mitglied eines Vereins zu sein, der in der aktuellen Situation Haltung und klare Kante zeigt und deutlich für einen Saisonabbruch plädiert. Ich spare mir hier die Verlinkung der verschiedenen Statements diesbezüglich, möchte aber noch einmal ausdrücklich wertschätzen, dass der Club in seiner Argumentation nicht nur die sportlichen Belange, sondern auch die Gesundheit seiner Mitarbeitenden im Blick hat. Das gefällt mir und bringt zumindest ein Stück von dem Vertrauen zurück, das die sportliche Leitung über den Jahreswechsel ohne große Not verspielt hat. Zwar befürchte ich gleichzeitig, dass wir am Ende dieser ganzen Geschichte zu den Gelackmeierten gehören werden, weil wir uns eben an Regeln und behördliche Vorgaben halten. Anders als andere Clubs, die sich längst wieder im Mannschaftstraining befinden und dadurch natürlich einen Wettbewerbsvorteil haben, sollte es irgendwann mal weitergehen.
Dann wiederum: Um den sportlichen und fairen Wettstreit geht es ja in der Hauptsache schon lange nicht mehr, das dürfte nun auch der und dem Letzten klar sein. Hauptsache, das Produkt funktioniert. Hauptsache, der Rubel rollt. Brot und Spiele für die Massen, massenhaft Kohle für einige Wenige. Kurios ist ja: Auf einer abstrakt unternehmerischen Ebene kann ich das Bestreben, das eigene Business zu retten, sogar irgendwie nachvollziehen. Da geht es der Branche ja nicht anders als anderen Wirtschaftszweigen auch. Was ich aber nicht verstehe und was mich wirklich wütend macht, ist die Art und Weise, wie einige (nicht alle!) Entscheidungsträger die Bedeutung des Profi-Fußballs überhöhen, um dem eigenen Anliegen Nachdruck zu verleihen und Druck zu erzeugen, dem die Politik dann auch noch geneigt ist, nachzugeben.
Und die Krönung ist dann, dass mir so ein Dosentroll wie Oliver Mintzlaff ernsthaft und ironiefrei erklären möchte, dass es superduperwichtig ist, bald weiter Profifußball betreiben zu können, weil mir diese längst überhitzte Kommerzmaschine (okay, so hat er das nicht gesagt, aber trotzdem) Lebensfreude und Normalität zurückgibt. Dass ich also ein fröhlicherer und normalerer Mensch bin, weil ich mir (gegen Geld, klar) im Fernsehen (auch klar) angucken kann, wie ein paar Leute ohne Publikum Sport machen.
Lebensfreude und Normalität.
Alter. Lack gesoffen? Was auch immer da gereicht wird auf Vorstandsetagen und in Präsidiumssitzungen: Nehmen Sie bitte weniger. Und löschen Sie sich anschließend.
Lebensfreude und Normalität, ich fasse es nicht.
Lebensfreude und Normalität gäbe es mir, wenn ich meine 370 km entfernt lebenden Eltern (76 und 80) mal wieder in den Arm nehmen könnte. Wenn ich endlich meine Freunde mal wieder treffen könnte, die ich zuletzt zum eingangs erwähnten Duisburg-Spiel gesehen habe und die mir kolossal fehlen. Genau wie die anderen Stadion- und Kurvennasen. Die Bratwurst vor dem Spiel. Die Gespräche am Heinz-Krügel-Denkmal. Oder, mal weg vom Fußball: Ein Restaurantbesuch. Mal in die Sauna. Grillen mit den Kumpels. Zusammen in irgendeinem Wohnzimmer Konsole zocken, Pizza bestellen und Blödsinn quatschen. Sowas.
ABER DOCH NICHT 22 MILLIONÄRE, DIE IN EINEM LEEREN FUSSBALLSTADION GEGEN EINEN BALL TRETEN, IHR SELBSTBESOFFENEN UHRENSCHMUGGLER!
Weißt Du was, Profifußball? Fick Dich. Fick Dich hart. Und wenn Du damit fertig bist, dann fick‘ Dich gleich noch mal. Selbstreferenziell genug bist Du dafür sicher. Und sorry, not sorry.
Mir reicht’s, ich hab‘ die Schnauze voll. Sollen die sich doch die Taschen vollmachen, irgendwelche abstrusen Regularien vorsehen, die PR-Maschine auf Hochtouren laufen lassen, die Gesundheit ihrer Angestellten willentlich und wissentlich auf’s Spiel setzen, sich für den Nabel der Welt halten und was weiß ich nicht noch. Ich brauche den ganzen Blödsinn nicht mehr, auf Europapokal und Bundesliga kann ich ebenso endgültig verzichten wie auf gekaufte Großereignisse.
Ab hier heißt es für mich noch konsequenter als bisher: Es gibt Fußball und es gibt den 1. FC Magdeburg. Ersterer ist kaputte, hyperkommerzialisierte, kranke, korrupte Kackscheiße, letzterer Familie, Heimat, Liebe, Freundschaft und der eine von zwei Orten, an denen ich mich wirklich zuhause, sicher und gut aufgehoben fühle. Und klar, auch der FCM spielt da irgendwo in diesem Zirkus mit, das ist mir schon bewußt, ebenso wie der Widerspruch, in den ich mich mit so einer Aussage begebe und der am Ende des Tages wohl auch nicht so richtig aufzulösen ist.
Genau wie Blut aber dicker ist als Wasser, ist eben auch der Verein bedeutender als die Liga, in der er gerade spielt. Für mich jedenfalls. Und solange das so ist, werde ich zumindest mit diesem Spannungsfeld wohl einigermaßen leben können.
Beitragsbild: „Exit“ von Hernán Piñera via Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0
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