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Die Sache mit dem kleinen Finger

Mein Stammplatz im Heinz-Krügel-Stadion ist seit einigen Jahren der Block 3 auf unserer Nordtribüne. Ich fühle mich dort sehr wohl, mag die bunte Mischung aus jungen und alten, dicken und dünnen, großen und kleinen, lauten und nicht ganz so lauten Clubfans. Ich mag meine NachbarInnen im Block, schätze die Bekanntschaften, die über die Zeit entstanden sind und klar, auch die großartige Stimmung, die dank Block U im Stadion herrscht und natürlich auf unserer Tribüne, quasi im stimmungsmäßigen Epizentrum unseres Stadions, noch einmal auf eine ganz besondere Weise wirkt. Selbstverständlich beteilige ich mich am Support unserer Mannschaft, springe, brülle, singe, animiere meine Nebenleute zum Einhaken und bewege mich per Block-Polonaise rüber in Block U und wieder zurück an meinen Platz. Ich nehme mir aber manchmal auch das Recht, kurz Pause zu machen oder vielleicht bestimmte Lieder mal nicht mitzusingen, in denen es zum Beispiel um brennende Polizeiautos oder irgendwelche Tretminen geht, in die Menschen aus anderen Bundesländern doch nach Möglichkeit bitte reintreten sollen. Und ab und an, man glaubt es kaum, stehe ich einfach nur da und schaue gespannt das Spiel. 

Auch wenn der Besuch auf der Nordtribüne in den allermeisten Fällen bedeutet, am kommenden Tag kaum sprechen zu können und hier und da auch mal mit dem einen oder anderen Bierfleck auf dem Hoodie den Heimweg anzutreten, stand für mich nie zur Debatte, ob ich meine Dauerkarte für die neue Saison auf ebenjener Tribüne verlängern soll. Allerdings ärgerte ich mich darüber, dass der Verein offenbar irgendwann beschlossen hatte, ab der Saison 15/16 die Platzbindung auf der Nordtribüne aufzuheben und die freie Platzwahl von Block 4 („Block U“) aus auch auf die Nachbarblöcke 3 und 5 auszudehnen. Beziehungsweise ärgerte ich mich nicht über die Schaffung einer „Fantribüne“ mit freier Platzwahl als Zugeständnis an Block U, sondern über den Umstand, dass der Verein darüber nicht informiert und bisher auch nicht informiert hat. Stattdessen erfahren die bisherigen Dauerkartenbesitzer in besagten Blöcken über Umwege, nämlich über die Homepage der Ultras bzw. durch einen Hinweis des Fanprojektes auf Facebook, dass ihre Plätze kassiert wurden. So geht man mit langjährigen Dauerkartenbesitzern einfach nicht um – eine Meinung, die mir vor einigen Wochen auf Twitter übrigens einigen Gegenwind einbrachte. Vermutlich vor allem, weil ich es gewagt hatte, den Verein kurz nach dem Aufstieg für seine Nicht-Kommunikation zu kritisieren. Wie konnte ich nur.

Nun ist es ja auch nicht so, dass der 1. FC Magdeburg keine Kanäle und Möglichkeiten hätte, seine Dauerkartenkunden über Veränderungen in bestimmten Blöcken zu informieren. Warum man nicht einfach noch zwei Sätze mit der Information zur neuen Fantribüne hinzufügt, wenn man doch ohnehin jeden Dauerkartenbesitzer mit Verkaufsmodalitäten und Preisen anschreibt, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Ebenso, welchen Zacken man sich eigentlich aus der Krone bricht, mit einer kurzen Mitteilung auf der Homepage über die neue (und von der Sache her ja begrüßenswerte!) Fantribüne zu informieren. In Zeiten, in denen der geneigte Fan dort ja sogar erfährt, dass Sponsor X Spieler Y und Torwarttrainer Z ein neues Auto zur Verfügung stellt, darf das zumindest verwundern.

Aber gut und wie gesagt, auch mit freier Platzwahl auf der Nord war es keine Frage, auch in der Saison 2015/2016 wieder in Block 3 zu stehen, von dort die Mannschaft zu unterstützen und Drittligafußball zu schauen. Also reservierte ich meine Dauerkarte per e-Mail, bekam die Kontodaten zugeschickt, überwies als Mitglied (!) an den Verein (!) 128 Euro (3 Euro für den Versand) und erhielt am 01.07. meine neue Dauerkarte im schicken Jubiläums-Design per Post. Was ich nicht wusste: Mit der Zahlung des genannten Betrags erwarb ich offensichtlich auch die Mitgliedschaft in einer militaristischen Gemeinschaft, die von mir nun „überall und zu jeder Zeit absolute Brachialität und Bedingungslosigkeit“ und: Unterordnung und Gehorsam (!) verlangt. So zumindest die Meldung auf block-u.de, die nachfolgend dokumentiert ist.

„Mit der Block U Hintertortribüne – 1. FC Magdeburg in die neue Saison!

Ein bewegtes Spieljahr 2014/ 2015 liegt hinter der Fanszene des 1. FC Magdeburg. Angetrieben vom sportlichen Erfolg der Mannschaft gestaltete sich die Saison auf den Rängen zum echten Selbstläufer und innerhalb von Block U konnte der nächste Entwicklungsschritt vollzogen werden. Die gesangliche Unterstützung der Mannschaft und die Glorifizierung des Vereins erstreckte sich mehr und mehr über die gesamte Hintertortribüne und verkörperte dabei uneingeschränkt unseren eigenen im Laufe der Jahre entwickelten Stil. Dabei ist es kein Geheimnis, dass sich dieser Stil insbesondere ost- und südosteuropäischen Einflüssen bedient und dennoch immer maximale Authentizität ausstrahlen soll. Durch die Forcierung des Slogans „Block U Hintertortribüne – 1. FC Magdeburg“ und der damit verbundenen Einbindung tausender Clubfans in die Unterstützung der Mannschaft wird unserem Stil und unserer Entwicklung weiter Rechnung getragen.

Das vor uns liegende Spieljahr hält für unsere Fanszene zahlreiche Ostduelle bereit, welche allesamt mit der nötigen Intensität angegangen werden müssen. Doch nicht nur die Höhepunkte gilt es erfolgreich zu bestreiten, sondern auch im harten Ligaalltag sind die Tugenden unserer Fanszene gefragt. Folglich erwarten wir von der Block U – Hintertortribüne überall und zu jeder Zeit absolute Brachialität und Bedingungslosigkeit.

Der Kauf einer Dauer- oder Tageskarte auf der Block U – Hintertortribüne verlangt folglich nicht nur ein gewisses Maß an Unterordnung zum Wohle der gesamten Fanszene, sondern auch vollste Identifikation mit der Art und Weise der Unterstützung der Mannschaft. Zudem ist die absolute Loyalität gegenüber den führenden Gruppen und Persönlichkeiten innerhalb der Block U-Gemeinschaft ein unabdingbarer Bestandteil der Philosophie der Hintertortribüne. In der kommenden Spielzeit und darüber hinaus werden wir die verschiedensten Bewährungsproben nur dann bestehen, wenn wir in der Lage sind eine verschworene Einheit bilden zu können. Gespaltene Verhältnisse wie im Westen der Bundesrepublik werden in Magdeburg nicht geduldet.

Wer sich mit diesem Weg nicht anfreunden kann, sollte zwingend sein Dasein auf der Block U – Hintertortribüne überdenken. Allen anderen Kriegern und Fanatikern wünschen wir weiterhin maximale Schaffenskraft rund um den 1. FC Magdeburg. Wir sind bereit für die 3. Liga!“ – (Homepage Blue Generation – Ultras 1. FC Magdeburg, Meldung vom 08.07.2015)

Geht’s eigentlich noch?

Mal völlig unabhängig von der schlimmen Rhetorik, die eigentlich noch einmal einen eigenen Blogbeitrag verdient hätte (und im Übrigen exakt der unerträglichen „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“-Argumentation einiger Personen in den sozialen Netzwerken entspricht): Kann es wirklich im Sinne des 1. FC Magdeburg sein, dass hier eine Gruppe einer weitaus größeren Gruppe Menschen vorzuschreiben versucht, wie man sich im Stadion zu verhalten hat? Wem man sich wann, wie und in welcher Form unterzuordnen hat? Im Sinne eines 1. FC Magdeburg zumal, der ja (insbesondere in Person von Mario Kallnik) in letzter Zeit immer wieder betont, dass man ein Verein für alle sein will?

Offensichtlich, denn der Verein hat sich bisher weder zur oben zitierten Mitteilung, noch zum Konstrukt „Block U Hintertortribüne“ allgemein in irgendeiner Form geäußert. Naja, außer auf Twitter, auf Nachfrage (!):

Um eins noch mal ganz deutlich zu machen: Niemand kann etwas gegen eine stimmgewaltige, geschlossene, enthusiastische und von mir aus auch weitgehend selbstverwaltete und selbstbestimmte Kurve haben. Wer mitbekommen hat, wie gut es Block U in den letzten Jahren gelungen ist, neben dem eigenen Block 4 auch immer wieder die Nachbarblöcke mit einzubeziehen, wird auch leicht erkennen können, dass sich die Nordtribüne insgesamt ohnehin längst in Richtung Fankurve entwickelt hat. Diese Entwicklung, und da bin ich mir ganz sicher, hätte sich auch in der kommenden Saison fortgesetzt; dazu hätte es eine solche Ansage mit dieser Wortwahl nicht gebraucht. Im Gegenteil: Wer es nötig hat, auf diese Weise seine Deutungshoheit durchsetzen zu wollen, hat möglicherweise größere Verlustängste, als er sich eingestehen mag.

Insgesamt wird hier offensichtlich versucht, anstelle des kleinen Fingers gleich den ganzen Arm zu nehmen. Und das macht mich am Ende dann – eben gerade in Anbetracht der tollen Entwicklung der Nordtribüne in den vergangenen Jahren – doch einigermaßen nachdenklich.

2 Kommentare

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