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Geisteskrank

geisteskrank

SC Paderborn – 1. FC Magdeburg, 6. Spieltag, 4:4 (2:1)

Was für eine denkwürdige Partie, die die 11.525 Zuschauerinnen und Zuschauer da an diesem 6. Spieltag in der Paderborner Benteler-Arena erlebt haben! Und vielleicht hat es genau so ein Spiel für den 1. FC Magdeburg mal gebraucht, um endlich den viel zitierten Knoten platzen zu lassen und dann doch mal mit dem Einfahren von Siegen zu beginnen. Das irre 4:4 gegen den Mitaufsteiger aus Ostwestfalen hat logischerweise noch nicht zu drei Punkten gereicht, angesichts der bisherigen Ergebnisse (und wie sie zustande kamen) sowie des Spielverlaufs ist dieser Spielausgang aber ein durchaus wichtiger Erfolg. Vor allem für den Kopf dürfte es unheimlich wohltuend gewesen sein, nach dreimaligem (!) Zwei-Tore-Rückstand noch einen Punkt von der Pader mit an die Elbe genommen zu haben. Das Team schickte die blau-weiße Anhängerschaft jedenfalls auf eine Gefühlsachterbahn, die sich gewaschen hatte. 

Dabei sah es nach 10 Minuten so aus, als würde es für die Größten der Welt in dieser Begegnung nur noch um Schadensbegrenzung gehen, wie Podcast-Kollege Thomas im Paderborner Gästeblock gleichermaßen konsterniert wie korrekt feststellte. Wer hätte zu dem Zeitpunkt schon gedacht, dass sich die über 2.000 Clubfans nach 90+3 Minuten jubelnd in den Armen liegen würden – trotz eines Unentschiedens?

Jens Härtel hatte gegenüber der letzten Partie einige Veränderungen vorgenommen und schickte vor Alexander Brunst im Tor von links nach rechts Steffen Schäfer, Romain Brégerie und Tobias Müller in der Dreierkette in die Partie. Dennis Erdmann blieb also zunächst auf der Bank, was ein bisschen schade war, hatten sich doch nicht Wenige auf das Duell mit Sympathikus Klaus Gjasula gefreut. Das zentrale Mittelfeld besetzten Richard Weil (für Rico Preißinger) und Aleksandar Ignjovski (für Björn Rother, der gar nicht im Kader war), links begann Michel Niemeyer, rechts Kapitän Butzen. Offensiv dribbelten Marius Bülter (für Felix Lohkemper), Christian Beck und Marcel Costly auf. Beck sorgte dabei bereits weit vor dem Anpfiff für die Wohlfühlgeschichte des Tages, die Manuel Holscher von der Volksstimme aufgeschrieben hat (nachzulesen hier).

Von „vogelwild“ zu „Geht hier noch was?“

Über die ersten 20 Minuten der Partie können wir getrost den Mantel des Schweigens legen. Vielleicht nur so viel: Es spielte ausschließlich der SC Paderborn (wobei Marius Bülter im Eins-gegen-Eins mit Leopold Zingerle gleich in der ersten Minute einen Riesen liegen ließ) und wenn eine Szene wie Paderborn lauter ist als die des großen 1. FC Magdeburg, ist über den Spielverlauf an sich alles gesagt. Kurzum: Es war unterirdisch, in allen Belangen. Der Spielbericht beginnt also bei Spielminute 21 und einem vollkommen verdienten 0:2-Rückstand für die Größten der Welt.

Das erste kleine Achtungszeichen der bis dahin desolaten Gäste setzte Marcel Costly, der im weiteren Verlauf überhaupt groß aufspielte. Auf der rechten Seite schön bedient, tauchte er nach 20 Minuten frei vor Leopold Zingerle im Paderborner Tor auf. Dass der ein ganz passabler Keeper ist, wissen wir an der Elbe ja bereits; in dieser Szene parierte er gegen Costly stark, profitierte dabei aber vielleicht auch davon, dass unsere Nummer 9 etwas zu spät den Abschluss suchte. Nur drei Minuten später ist es der SCP, der auf 3:0 erhöhen kann: Über unsere rechte Defensivseite kommt der Ball relativ ungehindert zum unglaublich starken Babacar Gueye, der sich am Fünfmeterraum postiert hatte. Aus der Drehung rutscht ihm der Ball glücklicherweise aber über den Schlappen und geht vom Schützen aus gesehen rechts über das Tor.

Und dann stand es plötzlich und doch einigermaßen unerwartet 1:2. In der 27. Minute bekam der sehr gefällige Marius Bülter den Ball auf dem linken Flügel und marschierte in Richtung letztes Drittel. Michel Niemeyer war mitgelaufen, bekam den Ball auch und leitete ihn dann ganz stark weiter auf Marcel Costly, der die völlig verwaiste rechte Seite besetzte. Ein Lehrbuch-Konter, bei dem alles passte: Der Laufweg von Bülter, der überragende Pass von Niemeyer und: der Abschluss von Costly, der Zingerle diesmal keine Chance ließ. Geht doch! dachte man sich so im Gästeblock, nachdem die ersten, trotzigen Jubelumarmungen wieder gelöst waren. Ging hier heute vielleicht doch noch was?

Die Antwort lautete: Hmmmnajavielleicht. Nach einer halben Stunde nämlich köpfte Romain Brégerie einen scharfen Freistoß von der linken Seite genau in die Arme von Zingerle. Vier Minuten später war dann wieder Paderborn am Drücker. Eine vollkommen ungehinderte Flanke von unserer linken Abwehrseite konnte Alexander Brunst gerade noch so über die Latte lenken, die anschließende Paderborner Ecke brachte keinen Ertrag. Tja, und dann erklang irgendwann auch schon das berühmt-berüchtigte Paderborner Halbzeitlied und musste man sich erstmal so ein bisschen sortieren. Wie gesagt, die ersten 20 Minuten waren eine Katastrophe, danach wurde es insbesondere durch den Anschlusstreffer etwas besser. Missmutig stimmen musste einen trotzdem, wie unglaublich leicht wir immer wieder die Bälle in der Vorwärtsbewegung verloren. Andererseits war vom Gästeblock aus auch hervorragend zu beobachten, wie hoch Paderborn presste, überhaupt keinen ruhigen Spielaufbau zuließ und unsere Hintermannschaft dementsprechend zu Fehlern zwang. Das war schon auch bockstark gespielt.

Offene Visiere

Die zweite Halbzeit begann dann so, wie zweite Halbzeiten für den 1. FC Magdeburg in dieser Saison gefühlt noch gar nicht begonnen haben: Mit sehr präsenten Gästen, die nun ihrerseits früh pressten und mit Macht versuchten, insbesondere über die Flügel das Spiel anzukurbeln. Was folgte, kann eigentlich nur das Prädikat „denkwürdig“ verdienen. Oder eben „geisteskrank“.

In der 48. Minute wurde es vor dem Paderborner Tor, das nun vor der Gästekurve stand, erstmals gefährlich. Marius Bülter hatte sich auf seiner linken Seite stark behauptet, der Ball kam schließlich über Michel Niemeyer in den Paderborner Strafraum. Dort stand allerdings kein Abnehmer bereit, sodass Zingerle ungehindert zupacken konnte. Vier Minuten später gleich wieder Alarm: Weil mit guter Balleroberung im Mittelfeld und klugem Pass auf Bülter, der diesmal von rechts in die Mitte spielt, aber wieder keinen Abnehmer findet. Die Kombi „Bülter – Weil“ gab es kurz darauf noch einmal. Diesmal suchte aber Weil den Abschluss, bekam allerdings keinen Druck hinter den Ball. Angesichts der ersten Hälfte rieb man sich durchaus verwundert die Augen und dachte sich so: „Na bitte! Sie können es doch!“

Nun mag man einwenden, dass diese Spielzüge nur zustande kamen, weil Paderborn dem 1. FC Magdeburg den Raum anbot. Da ist sicher was dran, nur nutze der Club diese Räume eben auch und wurde gefährlich. Das hatte man in vorherigen Spielen schon auch mal anders gesehen.

Inzwischen war nun auch die Kurve da, die bis dato eher einen mauen Auftritt hingelegt hatte. Nach einer deutlichen Ansage von den Vorsängern zu Beginn des zweiten Durchgangs steigerte man sich nun allerdings in die altbekannten Rhythmen und peitsche die Mannschaft nach vorn, die ihrerseits immer wieder den Gästeblock animierte. Man merkte: Hier geht was! Die Mannschaft will, die Kurve auch, offensiv sah das jetzt phasenweise ganz gut aus – also Attacke! Einen kleinen emotionalen Push gab es noch, als in der 60. Minute Tobias Schwede eingewechselt wurde, begleitete von einem gellenden Pfeifkonzert aus dem Gästeblock. „Inhaltlich“, wenn man so will, für mich nach wie vor nicht nachvollziehbar, emotional in dem Moment aber wichtig und, naja, so gesehen vielleicht auch richtig. Jetzt war jedenfalls Musik drin.

Und mittenrein in eine eigentlich geile Phase des Clubs platze das 3:1 für die Hausherren.

Der Club kriegt eine gefühlte Ewigkeit den Ball nicht geklärt, irgendwann gibt es dann eine eher halbherzige Paderborner Flanke in den Strafraum, die aber nur Nils Butzen erreicht. Der hat alle Optionen, entscheidet sich aber für die schlechteste: eine viel zu kurze Kopfball-Rückgabe gegen den Lauf seines Keepers. In der Mitte steht Sebastian Vasiliadis und sagt artig „Dankeschön!“ – erneut lagen die Größten der Welt mit 2 Toren im Rückstand. Ein Freaktor, ein Vollaussetzer des Kapitäns und zack! stehst Du im Block und denkst Dir so: „Es ist doch wohl alles nicht wahr. Gnarf.“

Viel Zeit zum Barmen blieb aber gar nicht, und das war gut so. Quasi im direkten Gegenzug kommt Richard Weil an den Ball und legt im Mittelfeld auf Costly ab. In der Mitte war Christian Beck gestartet und bekommt die Kugel von Costly perfekt in den Lauf serviert. Kurz hochgeschaut, und schon zappelte der Ball, unhaltbar für Zingerle, im Netz. Was war denn hier los? Und es war ja noch lange nicht Schluss.

Jens Härtel brauchte nun frische Kräfte und schickte Philip Türpitz für Marius Bülter (65.) und Erdmann für Ignjovski (68.) in die Partie. Derweil sorgte Alexander Brunst nach 70 Minuten für ein wenig Beschäftigungstherapie: Zunächst geriet seine Spieleröffnung auf den rechten Flügel deutlich zu kurz und kam in Form eines Paderborner Abschlusses direkt wieder zurück. Eine Möglichkeit für Brunst, sich auszuzeichnen, was er auch tat und im Eins-gegen-Eins Sieger blieb. Das machte den Ball aber nicht weniger gefährlich, im weiteren Verlauf gab es einen neuerlichen Abschluss, den unser junger Keeper mit dem Fuß abwehren konnte. Junge, Junge. Fällt da das 4:2, kann sich niemand beschweren.

Für die letzten 15 Minuten kam dann Felix Lohkemper ins Spiel und ersetzte Richard Weil. „All in“ jetzt also von Härtel und auch dieser Wechsel sollte sich direkt mal bezahlt machen. Erst einmal war aber wieder Paderborn an der Reihe: In der 77. Minute erhöhte Tobias Schwede sehenswert auf 4:2. Ausgerechnet Schwede – für den Gästeblock war das gleich mal ein Doppelschlag in die Magengrube. Aber! Wir haben ja Felix Lohkemper. Zwar hatte der SCP in der 79. Minute mit einer weiteren Großchance die Möglichkeit, auf 5:2 zu erhöhen und damit den Deckel wohl endgültig zuzumachen, allerdings war es an ebenjenem Lohkemper, die Spannung zurück ins Spiel zu bringen. Und wie! Einen langer Ball aus unserer eigenen Hälfte kriegt Paderborn in Minute 82 aus unerfindlichen Gründen so gar nicht geklärt. Unsere Nummer 7 einfach entschlossener, mit dem ganzen Körper dazwischen und einem starken Antritt in Richtung Tor. Ein trockener Schuss ins lange Eck und plötzlich steht es 4:3. Vollkommen irre, Spielausgang komplett offen. Wahnsinn.

Weitere blau-weiße Chancen folgten (85., Costly im Duell mit dem glänzend mitspielenden Zingerle; 86., erneut Costly mit einem Kopfball auf den kurzen Pfosten aus vielleicht 2 Metern), für den emotionalen Höhepunkt sorgte aber Schiedsrichter Christian Dietz aus München. Wir sind schon in der Nachspielzeit, als Christian Beck im Strafraum bei seinem Versuch, einen Ball zu erspitzeln, am Fuß getroffen wird und zu Boden geht. Nach allem, was wir in dieser Saison mit den Unparteiischen erlebt haben, hätte es niemanden wundern können, wenn Dietz „weiterspielen“ angezeigt hätte. Tat er aber nicht, stattdessen zeigte er auf den Punkt. Meine Güte. Elfmeter. In der Nachspielzeit. Nach diesem Spielverlauf. Auch beim Schreiben kriege ich da direkt wieder Gänsehaut.

Philip Türpitz schnappt sich den Ball. Gestandene Clubfans drehen sich weg, können nicht hinsehen. Erinnerungen an einen gewissen Leopold Zingerle, der im Magdeburger Dress den einen oder anderen Elfmeter halten konnte, werden wach. Und Türpitz? Wichst den Ball absolut souverän oben rechts in den Winkel. Wahnsinn. Irre. Geisteskrank. Es ist mit dem mir zur Verfügung stehenden Vokabular nicht zu beschreiben.

Ausgleich also, 4:4, und nochmal Paderborn mit einer guten Freistoßgelegenheit. Zur Choreographie dieses Spiels hätte es eigentlich gehört, dass da noch ein Gewaltschuss mit physikalisch nicht erklärbarer Flugkurve irgendwo im Winkel einschlägt. Tatsächlich geht der Ball aber deutlich über das Tor. Schluss, aus, vorbei – es blieb beim 4:4 und einem gefühlten Sieg für die Größten der Welt, der für den weiteren Saisonverlauf deutlich mehr Wert sein kann als „nur“ diesen einen Punkt.

Fazit

Wie soll man unter so ein Spiel einen nüchternen Schlussstrich ziehen? Vielleicht so: Klar, wir haben vier Tore kassiert, waren die ersten 20 Minuten quasi nicht auf dem Platz und offenbarten in Vorwärtsbewegung und Aufbauspiel (Schäfer!) abermals zum Teil gruslige Unsicherheiten. Wir haben aber auch drei Tore aus dem Spiel heraus erzielt, bei denen super umgeschaltet wurde bzw. bei denen die Stürmer einfach gar keinen Zweifel daran ließen, dass diese Schüsse ihren Weg ins Tor finden würden. Die Mannschaft hat sich extrem stark zurückgekämpft, drei Mal, auch wenn man zwischendurch gut die Schultern hätte hängen lassen können. All diese Sachen nehmen wir mit und es wäre doch gelacht, wenn die Mannschaft jetzt beim nächsten Spiel nicht mit einer richtigen breiten Brust ins Heinz-Krügel-Stadion einläuft. Und wenn der Elfmeter von Philip Türpitz, Philip „Ich pinkle Eiswürfel“ Türpitz, bedeutet, dass vielleicht auch beim besten Spieler der letzten Drittliga-Saison der Knoten geplatzt ist, dann halleluja.

Der nächste Gegner heißt bekanntermaßen Duisburg und Fakt ist eins: Wenn der große 1. FC Magdeburg gegen den Tabellenletzten die gleiche Energie auf den Platz bringt, wie in der zweiten Hälfte gegen Paderborn, dürfen sich die „Zebras“ wohl gewaltig warm anziehen. Und Fakt ist auch: Gegen den MSV muss es den ersten Sieg der Saison geben. Ohne „wenn“ und „aber“. Auf geht’s, Blau-Weiß! Packen wir es an!

Gegnerperspektive:

Spielbericht SC Paderborn

3 Kommentare

  1. Pingback: 3 Punkte für die Ewigkeit - nurderfcm.de

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