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Fünfunddreißig

1. FC Magdeburg – FC Energie Cottbus, 11. Spieltag, 2-2 (0-0)

Mit einem Unentschieden endet also die erste richtig intensive Phase dieser Drittligasaison, in der die Größten der Welt in 16 Tagen 5 Punktspiele absolvierten. Die Bilanz von 2 Niederlagen (Stuttgart, Aalen), 2 Unentschieden (Rostock, Cottbus) und einem Sieg (Osnabrück) kann man wohl so mitnehmen, auch wenn es (Stichwort: Aalen) sicherlich mindestens noch 3 Punkte mehr hätten sein können. Gegen den FC Energie erzielte Christian Beck nach einem Cottbuser Abwehrfehler und einem daraus resultierenden Ballgewinn durch Lars Fuchs zunächst das 1-0, kassierte der Club dann aber umgehend nach einem Standard und defensiven Zuordnungsproblemen den Ausgleich. Wenig später stand es gar 1-2 aus Magdeburger Sicht: Einen blitzsauberen Konter nutzten die Gäste, genauer: nutzte Torsten Mattuschka zur Führung. Schließlich sorgte ein viel diskutierter Elfmeter in der Nachspielzeit, den erneut Christian Beck sicher verwandelte, vor 19.453 (!) Zuschauern für den Endstand.

Und während der größte Teil der anwesenden Fans – angetrieben von einem überragend aufgelegten Block U – ihre Mannschaft feierte und einmal mehr für Gänsehautstimmung sorgte, verbrachte ich den überwiegenden Teil des Spiels damit, intensiver über die Zahl 35 nachzudenken.

Am Spieltag war ich mit Tom Watt, Kameramann Damon und Regisseur John unterwegs, die für die Reihe „Football Outposts: Europe“ des englischen Senders BT Sport einen Beitrag über den 1. FC Magdeburg drehten. Nachdem die 3 bereits am Donnerstag und Freitag einige Interviews geführt und Bilder für ihren Beitrag geschossen hatten, wollten sie sich nun auch noch einmal selbst von der Stadionatmosphäre überzeugen, von der man offenbar auch in England schon einiges gehört hatte. Bereits um 10 Uhr trafen wir uns am Fanprojekt, um auf dem Gelände unmittelbar dahinter noch einmal in Ruhe über den Club, die Vergangenheit und das Erwachen des schlafenden Riesen zu sprechen. Und es war wirklich spannend – je länger unser Gespräch dauerte, desto bewusster wurde mir einmal mehr, was für eine unglaubliche Reise wir mit unserem Verein eigentlich schon hinter uns haben. Und dass wir unheimlich stolz sein können auf das, was wir im Moment erleben.

Eine Frage von Tom war es vor allem, die mir im Verlauf des Tages noch ordentlich nachhängen sollte. Er berichtete von einem Zeitungsausschnitt, den ihm jemand gezeigt hätte und in dem es um eine Partie ging, in der die Größten der Welt irgendwann in den 90er Jahren vor gerade einmal 35 (in Worten: fünfunddreißig) zahlenden Zuschauern aufliefen. Ich habe das jetzt nicht nachrecherchiert und eigentlich ist die genaue Zahl ja auch gar nicht so wichtig. Fakt ist (und Kern der Frage war), dass es Zeiten gab, in denen unsere Mannschaft in Punktspielen vor einer Kulisse aufdribbelte, bei der sich alle Anwesenden vermutlich mit Handschlag und persönlich begrüßen konnten. Und heute? Gegen Cottbus? Mehr als 18.000 abgesetzte Tickets im Vorverkauf, schlussendlich über 19.000 Fans im Stadion. Wie geht das zusammen und was macht das vor allem mit einer Stadt und einer Fanszene, die in relativ kurzer Zeit so viele Extreme erlebt hat? Keine einfache Frage und wenn ich ehrlich bin, ist vielleicht auch dieser Text hier noch eine Fortsetzung der Antwort darauf.

Irgendwann ging es dann in Richtung Stadion, und beim englischen Besuch wurden die Augen stetig größer: So viele Menschen, die sich zu Fuß, per Auto oder mit der Straßenbahn auf den Weg ins HKS gemacht haben. Für ein Drittligaspiel! Also schnell noch den Blick über die Massen schweifen lassen, selbstverständlich noch bei Heinz Krügel und dem Europapokal vorbeigeschaut und dann ab auf die Tribüne. Ich sollte das Spiel also diesmal aus gänzlich ungewohnter Perspektive verfolgen:

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Verfolgt haben wir dann aber, das muss man ehrlicherweise sagen, vor allem das Geschehen auf den Rängen – was nicht nur mit der eher eingeschränkten Sicht, sondern vor allem viel damit zu tun hatte, dass Tom, Damon und John über das, was auf der Nordtribüne und später auch im ganzen Stadion los war, eigentlich nur noch staunten. Ist schon ein witziger Anblick, wenn Menschen, denen man am Vormittag noch beim abgeklärt-professionellen Verrichten ihrer Arbeit zugesehen hat, plötzlich verzückt lächelnd und mit Augen wie Untertassen neben einem stehen…

Bei der Schalparade vor dem Spiel hatte auch ich wieder Gänsehaut und war selbst beeindruckt, wie großartig das alles wirkt, wenn man sich die Szenerie mal nicht von hinter dem Tor aus ansieht (oder eben nicht ansieht, weil man diverse Schals vor der Nase hat). Spätestens aber, als es Block U dann schaffte, sowohl die Gegengerade als auch die Haupttribüne (!) nacheinander in die Gesänge einstimmen zu lassen, war ich einfach nur noch stolz. Stolz auf den Weg, den ich mit dem Verein bis hierher ein Stückchen weit selbst gehen durfte, stolz darauf, dass der Club wieder so viele euphorisierte Anhänger ins Stadion bringt, stolz auf das Aushängeschild, zu dem der 1. FC Magdeburg inzwischen wieder geworden ist und stolz auf unsere Kurve, die deutschlandweit ihresgleichen suchen dürfte. Irgendwann fragte Tom mich dann, wie viele andere Fanblöcke in der Liga an einem normalen Spieltag eigentlich so eine Show auflegen. Die Antwort wird man sich denken können.

Was bleibt also vom 11. Spieltag, abgesehen vom Sportlichen? Letzten Endes und unabhängig von den 90 gespielten Minuten auf dem Rasen vor allem die Erkenntnis, dass man sich gar nicht oft genug ins Bewusstsein rufen kann, was für eine wirklich besondere Zeit wir im Moment erleben. Eine Zeit, die so besonders ist, dass sich inzwischen auch englische Fernsehsender für die Größten der Welt interessieren. Diese erste Saison im Profifußball kommt nie wieder und wir sollten alles daran setzen, uns diese großartige Atmosphäre, die sogar gestandene Fernsehleute in ernsthafte Begeisterung versetzt, so lange wie möglich zu bewahren. Die Größten der Welt. Wahrlich… die Größten der Welt!

Nächster Halt: Kiel!

8 Kommentare

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