F.C. Hansa Rostock – 1. FC Magdeburg, 10. Spieltag, 1-1 (0-0)
Lokschaden kurz hinter Hamburg, langsam vorausfahrende Züge, tiefenentspannte Staatsdiener, die wirklich bis zur allerletzten Minute warten, bis sie den letzten Shuttlebus zum Stadion fahren lassen – es wirkte fast so, als hätte jemand etwas dagegen, dass ich das erste Duell der beiden alten Oberliga-Rivalen seit 25 Jahren live erlebe. Mit reichlich Puls stolperte ich dann aber glücklicherweise genau 2 Minuten vor Anpfiff in den prall gefüllten Gästeblock und wurde in der Folge Zeuge einer Partie, die sicherlich kein fußballerischer Leckerbissen war, dafür aber immerhin mit einem weiteren (vielleicht etwas glücklichen) Auswärtspunkt für Blau-Weiß endete.
Bevor es allerdings richtig losgehen konnte, legte sich wie von Zauberhand erst einmal ein Hochnebelfeld über das Ostseestadion. Keine Ahnung, wo das plötzlich herkam.
Aufgrund der schwierigen Sichtverhältnisse entschied sich der Unparteiische, die Partie zunächst für einen kurzen Moment zu unterbrechen. Als es weitergehen sollte, gleich die nächste unfreiwillige Pause: Einigen Gästefans war es im Block offensichtlich nicht warm genug, sodass verschiedene Textilien mit den Farben der Heimseite via Verbrennung den Aggregatzustand von fest zu gasförmig wechselten. Das wiederum gefiel der Rostocker Südtribüne so überhaupt nicht, was zur Folge hatte, dass einige aus der sportlichen Fraktion sich über den Pufferblock in Richtung Gästekurve auf den Weg machten. Genau wie das Verbrennen von Fanutensilien eine irgendwie sinnlose Aktion, die zu allem Überfluss aber noch mit dem Abschießen von Raketen in Richtung der Gäste begleitet wurde. Mindestens drei der Geschosse schlugen mitten in der Menge ein, eines rauschte gefühlte 15 cm an meinem Kopf vorbei. Pyrotechnik schön und gut, Emotionen auch, aber so etwas ist Vorsatz und versuchte Körperverletzung und mit “hirnlos” sicherlich noch schmeichelhaft beschrieben.
Die Unterbrechung jetzt natürlich deutlich länger und immer wieder der bange Gedanke: “Na, die werden doch jetzt hier nicht abbrechen?” Das hätte natürlich wieder überragend ins Bild gepasst: achteinhalbstündige Anreise, 3 Minuten Fußball, Ende der Veranstaltung. Glücklicherweise kam es anders, die Situation beruhigte sich irgendwann und mit gut 20minütiger Verzögerung konnte man sich dann endlich auf das Sportliche konzentrieren.
Jens Härtel wählte für das Spiel die unter anderem auch in der Relegation schon bewährte Variante der Dreierkette (Hainault – Puttkammer – Bankert), die bei Bedarf zu einer Fünferkette (mit Altiparmak links und Butzen rechts) erweitert werden konnte. Davor Kapitän Sowislo und Jan Löhmannsröben, für die Offensive Beck zentral, links Farrona-Pulido, rechts Nicolas Hebisch. Die Größten der Welt kamen besser ins Spiel und hatten die Partie in den ersten 30, 35 Minuten absolut im Griff. Nur vor das Tor kam man nicht wirklich entscheidend, weil der letzte Pass entweder in den Füßen der Rostocker Abwehr landete oder der in dieser Phase ansonsten sehr starke Farrona-Pulido sich mit dem einen oder anderen Dribbling irgendwann festlief. Trotzdem sah das gut aus, was der 1. FC Magdeburg in dieser Phase in diesem Stadion spielte, bis Hansa Rostock etwa ab der 35. Minute mehr und mehr die Initiative übernahm. Wirklich gefährlich wurde es aber seitens der Hausherren nicht mehr, sodass es mit einem torlosen Unentschieden in die Pause ging.
“Erstmal was trinken und die stressige Anreise vielleicht noch mit einer Bratwurst oder so vergessen machen”, war nach dem Pausenpfiff der erste Gedanke, also raus hinter die Kurve und ab zu den Versorgungsständen – die aber, sehr zum Missfallen der überwiegenden Anzahl der Gästefans, komplett geschlossen blieben. Für mich eine Premiere, in einem Auswärtsspiel so gar keine Möglichkeit zu haben, sich zwischendurch mal zu versorgen, zumal (was da noch keiner ahnen konnte) es auch nach dem Spiel noch eine ganze Weile dauern sollte, bis man wieder am Auto, am Schließfach oder einer Tankstelle nachladen konnte. Jetzt kann man sich natürlich trefflich darüber streiten, wie es wohl gelaufen wäre, wenn man die Getränkebuden geöffnet hätte. Die kommentarlose Nichtversorgung von 2.000 Menschen bleibt für mich aber in jedem Fall fragwürdig.
In der zweiten Hälfte setzte Hansa Rostock dann dort fort, wo man zum Ende der ersten Hälfte aufgehört hatte und ging fast folgerichtig auch in Führung. Bei einem ziemlich einfachen Pass auf unsere linke Abwehrseite schauen alle irgendwie hinterher, was einem Rostocker Angreifer nach einem kurzen Dribbling einen freien Schuss auf das von Jan Glinker gehütete Tor ermöglicht. Dieser mit einer überragenden Parade, die aber genau in den Füßen von Pechvogel Nils Butzen landet, der das Leder dann in bester Stürmermanier volley ins eigene Tor befördert. Rückstand jetzt also, auswärts in Rostock. Es gibt wahrlich günstigere Spielkonstellationen.
Die Hausherren waren nun natürlich obenauf und hatten in der Folgezeit auch deutlich mehr vom Spiel; beim Club fand Offensive im eigentlichen Sinne kaum noch statt und wenn, dann eher über lange, klärende Bälle aus der eigenen Abwehr. Den viel umjubelten Ausgleich brachte dann glücklicherweise eine Standardsituation in der 68. Minute: Freistoß 25 Meter ziemlich zentral vor dem Tor, Altiparmak nimmt Maß und nagelt den Ball unhaltbar für Schuhen im Rostocker Tor in die Maschen. In dieser Phase sicher eher ein glücklicher Treffer, aber eben auch ein ganz wichtiger und für den Torschützen vor allem Lohn für einen (offensiv) insgesamt starken Auftritt. Ich möchte mich jetzt zwar nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, glaube aber, dass wir da mit Burak Altiparmark einen Spieler verpflichtet haben, an dem wir noch jede Menge Freude haben werden.
Die Schlussphase der Begegnung gehörte dann wieder Hansa Rostock und wir hatten bei der einen oder anderen Entscheidung diesmal auch das nötige Quäntchen Glück auf unserer Seite: Ein aus meiner Perspektive ziemlich sauberes Tor wird wegen vermeintlicher Abseitsstellung abgepfiffen, ein mutmaßliches Handspiel von Silvio Bankert glücklicherweise nicht geahndet und in einer Szene kurz vor Ende, in der andere Schiedsrichter vielleicht auf den Punkt zeigen würden, bleibt der Pfiff aus. So blieb es, auch in Ermangelung weiterer Torchancen unsererseits, bei einem 1-1, das beiden Mannschaften zwar nicht wirklich weiterhilft, mit dem wir aber deutlich besser werden leben können als die Gastgeber.
Nach dem Spiel noch standesgemäß die Mannschaft gefeiert und dann zügig ab zum Shuttlebus, schließlich würde die Nacht ohnehin kurz werden und da kann es schon durchaus einen Unterschied machen, ob man eben fünf oder fünfeinhalb Stunden Schlaf bekommt. Die Staatsmacht hatte diesbezüglich allerdings wohl gänzlich andere Pläne.
Zur offensichtlich allseits großen Überraschung war die Partie “F.C. Hansa Rostock gegen 1. FC Magdeburg” dann nämlich tatsächlich irgendwann vorbei und zur wohl noch größeren Überraschung aller waren immernoch etwa 2.000 Magdeburg an der Küste, die nun irgendwie auch wieder zurück zum Bahnhof wollten. Logische Konsequenz: Man schließt die Tore hinter dem Gästeblock, sperrt die Auswärtsfahrer ein – und bestellt erst einmal Busse. Eine geschlagene Stunde (!), ein zwischenzeitlich mal für ca. 30 Leute geöffnetes Tor und einigen Unmut später war es dann endlich so weit: Abtransport zum Bahnhof in der Buskolonne, flankiert von genügend Beamtinnen und Beamten am Straßenrand, dass jeder Gästefan seine/n eigene(n) hätte mit nach Hause nehmen können. Am Bahnhof dann noch eine kurze Aushandlung mit den Polizisten an der Absperrung, ob man denn wohl durchgelassen werden und zu seiner Unterkunft laufen könne, der etwas mulmige Gang durch die mit Heimfans gespickte Bahnhofshalle und der von reichlich Herzklopfen und Adrenalin begleitete schnelle Schritt zur Unterkunft und dann war er auch schon zu Ende, der 10. Spieltag an der Ostseeküste.
Was bleibt also vom ersten Aufeinandertreffen zwischen der Hansa-Kogge und den Größten der Welt nach 25 Jahren? Zunächst mal ein Punktgewinn, den man zwar glücklich nennen, der im weiteren Saisonverlauf aber noch sehr wertvoll sein kann. Dann die Erkenntnis, dass wir es (jedenfalls phasenweise) auch auswärts schaffen, dem Spiel unseren Stempel aufzudrücken und eine Partie auch in ordentlich hitziger Atmosphäre zumindestens über einen gewissen Zeitraum kontrollieren können. Schließlich der nachhaltige Eindruck, dass die Uhren in Rostock wirklich noch gewaltig anders ticken, wir uns aber auch mit 2.000 Leuten stimmungsmäßig vor keiner Heimtribüne dieser Liga verstecken müssen.
Überhaupt, 2.000 Auswärtsfahrer. In Rostock. An einem Mittwochabend. Ihr seid doch alle bekloppt <3!
Einmal – immer!
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