Permalink

2

Von Fisch und Fleisch

Kiel

Holstein Kiel – 1. FC Magdeburg, 29. Spieltag, 1:1 (0:0)

Seit vier Spielen ungeschlagen, in ebenso vielen Begegnungen lediglich ein Gegentor kassiert, Tabellenplatz zwei 9 Runden vor Saisonende – und trotzdem steht so ein wenig die Frage im Raum, ob man mit dem 1:1 bei Holstein Kiel nun zufrieden oder unzufrieden sein soll. Eine Frage noch dazu, die sich aus Auswärtsfahrer-Perspektive gar nicht so einfach beantworten lässt, waren doch diesmal die Sicht eher mäßig und ein nicht unerheblicher Teil merklich alkoholisierter Clubfans im Gästeblock über die gesamten 90 Minuten irgendwann wirklich anstrengend. Nimmt man dann noch eine nicht nachvollziehbar hohe Anzahl an Polizeikräften nebst der üblichen “Einsatztaktik” und eine für 2.000 Clubfans nicht ansatzweise ausgelegte Speisen- und Getränkeversorgung dazu, erhält man einen Ausflug an die Förde, der in der nächsten Zeit jetzt nicht unbedingt nach einer Wiederholung schreit. Und damit ist das Sportliche noch gar nicht angesprochen. 

Schon die Ankunft am Stadion ließ einen (wie leider so oft, wenn der 1. FC Magdeburg irgendwo auswärts aufschlägt) die Stirn runzeln: Ungefähr 50 gut gelaunte und bunt gemischte Clubfans steigen vor dem Gästeblock aus dem Parkplatz-Shuttlebus – und blicken in die Gesichter von Robocop-Polizisten mit aufgezogenen Helmen und Kinnschutz. Jawoll. Willkommen beim Fußball, willkommen im Gästebereich. “Hurra, hurra, die Schwerkriminellen sind da” oder so. Noch schnell beschämt an der Cola nippen und dann zeitig ab in den Block, der zweigeteilt war, im Endeffekt aber aus der gesamten Kurve hinter einem der beiden Tore bestand. Hier kam es nun ein wenig darauf an, ob man den Buchstaben “M” oder “O” auf seinem Ticket zu stehen hatte. Wollte man als “M”-Besucher in den “O”-Bereich, wurde man dezent darauf hingewiesen, dass das nun wirklich nicht ginge, weil “da nur Leute mit “O” rein dürfen”. Im Grundsatz ja nachvollziehbar, merkwürdigerweise andersrum aber wiederum gar kein Problem. Das “O” war dann sowas wie der magische Passierschein, selbstverständlich gelangte man damit auch bequem in den “M”-Bereich. Geschenkt. Am Getränke- und Würstchenstand hatte man dann ausreichend Zeit, die Sache zu durchdenken. Knapp anderthalb Stunden vor Spielbeginn konnte es schon mal gute 20 Minuten dauern, bis man sein Stadionmenü in Empfang nehmen durfte. Tja nun. Mit so einem Andrang konnte ja keiner rechnen.

Mit Bratwurst und Kaltgetränk in der Hand richtete sich der – zu dem Zeitpunkt noch einigermaßen unverstellte – Blick endlich auf das bevorstehende Spiel und die Mannschaftsaufstellung. Gegenüber dem 0:0 gegen Wehen Wiesbaden veränderte Jens Härtel seine Anfangsformation lediglich auf einer Position. Tarek Chahed musste zunächst mit der Bank vorlieb nehmen, für ihn rutschte Michel Niemeyer in die Mannschaft, der in Kiel als linke Offensivkraft agierte. Florian Kath übernahm die Chahed-Position rechts, im Sturmzentrum lief, wie gewohnt, Christian Beck auf. Wobei “Sturmzentrum” für den Bewegungsradius unserer Nummer 11 in diesem Spiel eigentlich ja gar nicht der richtige Ausdruck ist. Beck war im Wesentlichen überall zu finden; wenn er im Fünfmeterraum des Gegners (!) nicht gerade versuchte, den Torwart beim Ball wegschlagen abzugrätschen (!!), köpfte er halt am eigenen Fünfer hohe Bälle aus der Gefahrenzone und fand sich ansonsten ein ums andere Mal auf den Flügeln ein. Letzteres vermutlich, um gefährliche Flanken auf sich selbst zu schlagen, bei denen sich wohl auch kaum jemand gewundert hätte, wenn er die auch noch hätte erlaufen und verwerten können. Will sagen: Was Christian Beck in jener Partie (mal wieder) an Kilometern gemacht hat, laufen andere Stürmer wohl in ungefähr zwei bis drei Spielen. Unmittelbar genutzt hat ihm das zwar erst mal nichts, weil er nunmehr bereits seit 6 Partien auf einen Treffer wartet; irgendwann muss sich bei der Arbeitsrate aber einfach auch mal wieder ein Torerfolg einstellen…. Um die Aufstellung noch komplett zu machen: Tobias Schwede, Jan Löhmannsröben, Marius Sowislo und Nils Butzen bildeten erneut das Mittelfeld; die Positionen in der Dreier-Abwehrkette, die phasenweise zu einer Fünfer-Abwehr wurde, besetzten Nico Hammann, Richard Weil und Christopher Handke. Im Tor natürlich Leopold Zingerle.

Die Partie begann nach einer emotionalen Ansprache über die Stadionanlage nebst Schweigeminute für den tags zuvor verstorbenen Kieler Präsidenten Roland Reime mit zwei engagierten Mannschaften – und im “M”-Block mit einigen großen Schwenkfahnen, die, je nach Standort, das Sichtfeld auf die Partie mehr oder weniger stark, auf jeden Fall aber merklich einschränkten. Nicht falsch verstehen: Ich habe überhaupt gar nichts gegen Schwenkfahnen, schon gar nicht im Fanblock, nur machten die es eben an jenem Nachmittag nicht unbedingt leichter, dem Spielgeschehen zu folgen. Wenn dann noch die üblichen Schalparaden und erhobenen Arme der Vorderleute dazu kommen, wird es dünn, sodass die folgenden Ausführungen zum Spiel eher als Eindrücke denn wirkliche Beobachtungen zu verstehen sind.

Kiel

Die erste Hälfte gehörte klar den Hausherren; ein Eindruck, der aber auch gut dadurch zustande gekommen sein kann, dass die Kieler im ersten Durchgang eben auf den Gästeblock spielten. Auffällig war, dass Holstein es immer wieder schaffte, sich wahlweise in den Strafraum zu doppelpassen bzw. zu kombinieren (über die rechte Magdeburger Abwehrseite) oder den Ball lang in den Sechzehner zu spielen (in dem Fall dann häufiger über links). So richtig gefährlich wurde es dabei allerdings nicht; ein Kopfball von Kapitän Czichos nach 22 Minuten und ein von Nils Butzen vor die Füße von Alexander Bieler geklärter Einwurf, den letzterer dann per Direktabnahme deutlich über das Tor setzt, waren die einzigen Aktionen, die einem kurz den Atem stocken lassen konnten. Mitunter wurden, möglicherweise begünstigt durch den Stand der Sonne, auch Situationen gefährlich, die eigentlich gar nicht gefährlich werden können. So zum Beispiel nach 12 Minuten, als Jan Löhmannsröben im eigenen Strafraum relativ unbedrängt gleich 2x hintereinander veritable Kerzen produziert, die zu einer kleinen Kieler Eckensequenz führen. Gegen eine Mannschaft wie Kiel, die bei Standards ja in der Regel nicht lange fackelt, eher unangenehm, glücklicherweise aber ohne Konsequenzen.

Es mag schräg klingen, aber: ohne spielerisch so wirklich in die Partie zu finden, verzeichnete der 1. FC Magdeburg auf der anderen Seite im ersten Durchgang tatsächlich die besseren Chancen. Erst ist es Michel Niemeyer, der nach einem Hammann-Freistoß, reichlich Gewühl und einem Kieler Klärungsversuch einfach mal abzieht, den Ball aber über die Latte setzt (8. Minute), dann köpft Christian Beck nach Schwede-Einwurf und Butzen-Flanke links neben das Tor. Nach 35 Minuten kann sich Christian Beck für sein aggressives Pressing vor dem gegnerischen Sechzehner fast belohnen, verzieht aber mit seinem Abschluss aus gut 15, 16 Metern dann doch deutlich. Etwa sechs Minuten vor dem Pausentee kann Kronholm im Kieler Tor einen Hammann-Freistoß nur prallen lassen – der Ball landet bei Kapitän Sowislo, dessen Drehschuss (zumindest aus “M”-Block-Perspektive) rechts am Tor vorbeigeht. Einen langen Hammann-Freistoß nebst Kopfball-Abschluss aufs Kieler Tor später war dann erst mal Pause. Und das war auch gut so, weil trotz der Gelegenheiten für Blau-Weiß die größeren Spielanteile deutlich bei den Gastgebern lagen; einer leidenschaftlichen Defensive und einem Ticken Abschlusspech auf Kieler Seite war es zu verdanken, dass es mit einem 0:0 in die Kabine ging.

Den zweiten Durchgang begannen beide Mannschaften unverändert, obwohl es für den Club bereits in Halbzeit 1 je eine gelbe Karte gegen Richard Weil und Jan Löhmannsröben gegeben hatte. Insbesondere letzterer haute sich natürlich trotzdem wie gewohnt in jeden Zweikampf und wurde folgerichtig und wohl sicherheitshalber nach 52 Minuten ausgewechselt; für ihn kam Charles Elie Laprevotte.

Zunächst ging es aber munter los: Erst ist es Holstein Kiel, das quasi direkt nach Wiederanpfiff vor Leopold Zingerles Kasten auftaucht und den Angriff glücklicherweise nicht ordentlich zu Ende spielt, in Minute 49 kombiniert sich dann der FCM schick durchs Mittelfeld und erzielt prompt das erste Tor. Tobias Schwede macht das Spiel schnell, nimmt Michel Niemeyer zentral mit, der direkt auf den gut einlaufenden Florian Kath weiterleitet. Der schließt aus knapp 20 Metern einfach mal ab – und trifft an einem irgendwie verdutzten Kenneth Kronholm vorbei flach links zur Führung. Kurios dabei: Größere Teile des Gästeblocks wurden erst durch Kaths Jubel auf den Treffer aufmerksam; aus der Hintertorperspektive, durch Kaths schnelles Beidrehen und vor allem anhand von Kronholms entspannter Nicht-Reaktion sah es zunächst so aus, als hätte Kath lediglich das Außennetz getroffen. Der Jubel danach natürlich um so ausgelassener – Führung in Kiel, etwas Besseres konnte dem Club und dem Spiel eigentlich gar nicht passieren.

Würde man jedenfalls denken. In der Folge sind es nämlich die Hausherren, die die Schlagzahl erhöhen und gleich mehrere gute Möglichkeiten haben, den Ausgleich zu erzielen. Ein ziemlich ärgerlicher Ballverlust irgendwo zwischen eigenem Sechzehnmeterraum und Mittelkreis führt zu einer Bilderbuch-Umschaltbewegung für Kiel und einem strammen Abschluss von Kingsley Schindler, der den Ball allerdings mit Schmackes nur knapp rechts über den Winkel jagen kann (54.). Ein paar Minuten später versucht es Marvin Ducksch mit einem Lupfer, kann den überragend reagierenden Leopold Zingerle aber nicht überraschen und auch den Nachschuss nicht im Kasten unterbringen.

Und der FCM? Der versuchte sich hier und da mit Entlastungs-Kontern, ohne aber noch mal wirklich gefährlich vor das Kieler Tor zu kommen. Im Blickpunkt ein ums andere Mal Tarek Chahed, der zusammen mit Charles Elie Laprevotte ins Spiel kam, Michel Niemeyer ersetzte und auf seiner rechten Seite sofort ordentlich Alarm machte. Wie schon häufiger, fehlte dann allerdings der finale Pass oder die allerletzte, richtig gute Idee, sodass er auf der Außenbahn zwar oft Sieger blieb, mit dem gewonnenen Freiraum aber zu selten etwas anzufangen wusste. Was bis weit in die zweite Hälfte hinein aber eigentlich gar nicht schlimm war, weil der Club bis auf die oben geschilderten Kieler Szenen aus dem Spiel heraus im Prinzip nichts weiter zuließ. Dann die 84. Minute: Kapitän Marius Sowilso trifft Kiels Tim Siedschlag unglücklich im Strafraum, was bei der Frage nach Foulspiel freilich keine Rolle spielt. Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus entscheidet sich sofort und wohl auch richtig: Strafstoß für Kiel. Der Gefoulte tritt selbst an und schießt eher schwach in die Mitte, wo Leopold Zingerle wenig Probleme hat, den Ball zu entschärfen. Diesmal war der Gästeblock, anders als noch beim Führungstreffer, gleich dabei. Riesenjubel, geballte Fäuste und anstelle des (überhaupt nicht unverdienten) 1:1 “nur” Ecke für die Hausherren. Und falls sich Leopold Zingerle zu Beginn der Rückrunde noch der einen oder anderen kritischen Stimme gegenüber sah: inzwischen dürften die wohl mehrheitlich verstummt sein.

Ecke jedenfalls jetzt für Kiel. Sechs Minuten noch, Führungstreffer erzielt, Elfmeter gehalten, das musste doch… Nein, musste es nicht. Dieser Eckball war dann vielleicht doch der eine zu viel. Der eine, bei dem die Abwehr vielleicht nicht zu 100% wach und geordnet war. Der Ball kommt eigentlich nur halb gefährlich in den Strafraum, wird dort aber noch mal per Kopf verlängert und segelt in Richtung zweiter Pfosten, wo Kiels Kapitän Rafael Czichos einigermaßen frei steht und nur noch mit Wucht einnicken muss. Keine Chance für Nico Hammann, der es mit einer Fußabwehr versucht und leider aus kurzer Distanz auch keine Abwehrmöglichkeit für Leopold Zingerle, der zwar mit dem Arm noch dran ist, den Einschlag aber nicht mehr verhindern kann. Sehr, sehr ärgerlich.

So richtig viel Zwingendes passierte dann nicht mehr, wenngleich nun auch das Kieler Publikum aufgewacht war und seinerseits versuchte, die eigene Mannschaft noch mal nach vorn zu peitschen. Bei 8.420 Zuschauern (Kieler Saisonrekord, der FCM zieht halt) bekam man wenigstens noch mal einen ganz guten Eindruck davon, was für ein kleines Hexenkesselchen das Holstein-Stadion werden kann, wenn das Publikum Bock hat. Genutzt hat es im Endeffekt nichts mehr, die letzte Chance der Partie hatten nämlich die Gäste aus Magdeburg. Ein langer Ball aus der eigenen Hälfte findet den Kopf des eingewechselten Julius Düker (kam nach gut 72 Minuten für den völlig ausgepumpten Christian Beck), der bogenlampenmäßig aufs Tor köpft, Kronholm dank einer Kieler Kopfballabwehr aber nicht überwinden kann. Kurz darauf war Schluss und trennten sich der KSV Holstein und der 1. FC Magdeburg folgerichtig und am Ende wohl auch leistungsgerecht mit 1:1.

“Weder Fisch noch Fleisch” ist unter dem Strich so ein bisschen das Gefühl, das sich direkt nach Abpfiff einstellte und sich jetzt, einige Stunde nach der Partie, noch nicht wesentlich geändert hat. Auf der einen Seite stehen halt die läppischen 6 Minuten, die zu einem – zugebenermaßen eher nicht eingeplanten – Auswärtssieg bei Holstein Kiel gefehlt haben. Auf der anderen Seite steht da aber eine sehr, sehr konzentrierte Defensivleistung gegen stets gefährliche Gastgeber, gegen die man aus dem Spiel heraus nur relativ wenig zugelassen hat. Es steht da außerdem die vierte ungeschlagene Partie in Folge und nach wie vor der 2. Tabellenplatz, den man einmal mehr erfolgreich verteidigen konnte. Dank der Ergebnisse auf den anderen Plätzen und des eigenen Punktgewinns hat man der Konkurrenz nun ein weiteres Spiel von der Uhr genommen. Und es steht dort die Heimbilanz der Kieler Gastgeber, die zuhause nur selten Punkte abgeben. Dort also einen mitzunehmen, ist vor dem Hintergrund sicher aller Ehren wert.

Nach diesem kleinen Zwischenspiel an der Küste steht nun die nächste, letzte und für den restlichen Saisonverlauf potentiell entscheidende englische Woche ins Haus. Und auch wenn der Satz ein viel strapazierter ist, stimmt er nach wie vor und in der aktuellen Saisonphase vielleicht umso mehr: Wer weiß schon, was der eine, ordentlich erkämpfte Kieler Punkt in der Endabrechnung vielleicht noch wert sein wird…

Die Pressekonferenz zum Spiel (via YouTube)

Der Sportschau-Clip zum Spiel ist hier zu finden (via YouTube).

2 Kommentare

  1. Pingback: “Unsere Fahnen, die wehen im Wind…” - Nur der FCM!

  2. Pingback: Von Fisch und Fleisch | re: Fußball

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.