Permalink

2

Stiller Schrei

Schrei

1. FC Magdeburg – Türkgücü München, 5. Spieltag, 2:0 (1:0)

Puh. So viele Emotionen. So viele Gedanken, die mir in den letzten zweieinhalb Wochen rund um den 1. FC Magdeburg durch den Kopf schossen. Viel Sorge, viel Angst, viel Frust, viel Unverständnis und immer die Hoffnung, dass doch irgendwann mal irgendwas passieren muss, der berühmte Knoten hoffentlich platzt, die Mannschaft ins Rollen kommt und uns nicht endgültig alles um die Ohren fliegt. Nun endlich der erste (Heim-) Sieg, riesige Erleichterung und vorsichtiger, sehr vorsichtiger Optimismus. Der Erfolg gegen Türkgücü München tut gut, gar keine Frage. Als „Befreiungsschlag“ würde ich ihn jetzt zwar noch nicht unbedingt bezeichnen, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war das aber allemal. Und so ein wohlig-warmes Heimsieggenußbauchgefühlwochenende ist doch auch mal wieder was Schönes. Kannten wir ja schon fast gar nicht mehr.

Dass sich gegenüber den ersten vier Auftritten in der Liga irgendwas ändern musste, war, glaube ich, allen klar. Trotzdem machte ich einigermaßen große Augen, als der Verein die Aufstellung twitterte: Kein Christian Beck, kein Jürgen Gjasula, Sören Bertram nicht mal im Kader. „Das ist ’ne Ansage!“, dachte ich so, gefolgt vom Bedenkenträger-typischen „Na? Ob das wohl gut geht?“ – und der Frage, ob die Aufstellung wohl Ausdruck des viel zitierten „Plans“ sei oder schlichtweg pure Verzweiflung, frei nach dem Motto: „Ich musste irgendetwas ändern.“ Mutig war sie allemal, diese Anfangsformation, und sie würde Fragen aufwerfen, so oder so. Sollte es schief gehen, hätte der Trainer wohl seine letzte Patrone verschossen. Würde die Sache Erfolg bringen, gäbe es sicher eine interessante Diskussion um die eine oder andere Personalie. Aber so ist das nun mal, wenn es nicht läuft, wie gewünscht: Irgendwann bist Du eben in einer Position, in der Du halt einfach mal ein Erfolgserlebnis brauchst – oder eben einpacken kannst.

Hoßmangs Mut wird belohnt

Dafür, dass es zu letzterem nicht kam, sorgten die folgenden Akteure: Morten Behrens im Tor, Korbinian Burger, Tobias Müller, Brian Koglin und Dominik Ernst in der Viererkette. Thore Jacobsen agierte in einem Dreier-Mittelfeld vor der Abwehr, Adrian Malachowski und vor allem Andi Müller gaben so etwas wie die Spielgestalter. Auf den vordersten Positionen waren links Raphael Obermair und rechts Maximilian Franzke zu finden, Daniel Steininger bildete nominell die Sturmspitze, ließ sich aber oft zwischen Obermair und Franzke ein bisschen zurückfallen. Überhaupt war das offensiv alles relativ variabel, was auch Türkgücü vor die eine oder andere Herausforderung stellte.

Insgesamt sah das vor allem in der ersten Hälfte schon richtig ordentlich aus, was die Jungs im 4-3-3 so auf den Rasen zauberten. Es war unter anderem gut zu beobachten, wie unheimlich wichtig Dominik Ernst für die Mannschaft und das Spiel ist: Mit viel Tempo ging es immer wieder in Richtung Grundlinie und von dort aus an oder in den Strafraum – eine Dimension des Magdeburger Spiels, die es so in dieser Saison noch viel zu selten gab. Auch Andreas Müller machte mächtig Alarm und wusste zu gefallen, allerdings hatte er in der 9. Minute ordentlich Schwein, dass sein rustikales Einsteigen gegen Barry nur mit einer gelben Karte geahndet wurde. Auf der Couch im heimischen Wohnzimmer entfuhr mir jedenfalls direkt ein recht lautes „Alter!“, gefolgt von einem strengen Blick der Frau, der mich daran erinnerte, dass der Sohnemann ja nebenan schläft.

Die Gäste brauchten eine ganze Weile, um ins Spiel zu finden, wurden dafür aber gleich dreimal einigermaßen gefährlich: In der 15. Minute hatte Münchens Sliskovic die Möglichkeit, von der rechten Strafraumseite aus in die Mitte zu legen, setzte seinen Pass dann aber ein Stück zu ungenau an. Nach 22 Minuten versuchte Aaron Berzel einen Schuss aus der Drehung, den so niemand hatte kommen sehen. Der Ball ging rechts am Tor vorbei; wäre er auf den Kasten gekommen, hätte Morten Behrens wohl keine Chance gehabt. Nach einer halben Stunde schließlich war es unsere Nummer 1, die nach einer Münchner Ecke von rechts und einem Kopfballabschluss auf den kurzen Pfosten mit einer Monsterparade den Einschlag verhinderte.

Soll heißen: Der Club spielte sehr gefällig und hatte ordentlich Ballbesitz, mit ein bisschen Pech hätten die Jungs von Thomas Hoßmang aber durchaus nach 30 Minuten auch in Rückstand liegen können. Stattdessen fiel das Tor aber auf der anderen, richtigen und guten Seite. Der starke Andi Müller mit einer schönen Flanke auf Franzke, der von seiner rechten Seite in den Strafraum eingelaufen war und Münchens Keeper René Vollath am Fünfmeterraum sauber irritierte. Das hatte zur Folge, dass Müllers Hereingabe einfach durchrutschte und zur absolut nicht unverdienten Magdeburger Führung im Netz landete. Zuhause folgte daraufhin der zweite ermahnende Blick. Anschließend sammelte ich das Kissen auf, das freudig durch’s Wohnzimmer geflogen war, setzte mich auf meine Hände und grinste einfach nur im Honigkuchenformat vor mich hin. War das ein schönes Gefühl – der Club hatte sich das Tor verdient, der Auftritt machte Spaß und irgendwie war das Sorgenteufelchen auf der Schulter mal angemessen leise, während das blau-weiße Engelchen auf der anderen Schulter eskalativ im Dreieck sprang.

Erst zittern, dann Brünker

Im zweiten Durchgang war dann ein FCM zu sehen, der zunächst mal einen Gang zurückschaltete. Verständlich irgendwie, in Halbzeit 1 war das alles schon sehr laufintensiv gewesen. Für neutrale Beobachter*innen wurde das Spiel dadurch nun vermutlich interessanter, weil Türkgücü zwar bei eigenem Ballbesitz weiterhin herzlich wenig einfiel, Umschaltmomente und Kontersituationen dafür aber besser nutzte (bzw. vielleicht auch einfach die Räume dazu bekam). Naja, und weil sich die FCM-Abwehr mindestens zweimal kleinere, aber gefährliche Aussetzer leistete. In der 55. Minute bekam Blau-Weiß eine eigentlich schon geklärte Situation am und im eigenen Strafraum nicht so recht unter Kontrolle, im Endeffekt war es Morten Behrens, der den dadurch entstehenden Münchner Abschluss klärte. Nach 65 Minuten dann ein unheimlich schlechtes Anspiel aus der Abwehr auf Jacobsen, das erneut eine Situation mit Potenzial für die Gäste zur Folge hatte, aber ohne doofe Konsequenzen blieb.

Spätestens ab der 70. Minute fragte ich mich, ob die Partie nicht vielleicht über das Thema „Kondition“ entschieden werden würde. Inzwischen war Kai Brünker für den völlig ausgepumpten Andi Müller gekommen und auch andere Akteure wirkten nicht mehr unbedingt so, als könnten sie jetzt noch jederzeit einen Sprint anziehen. Vielleicht spielte dieser Aspekt ja auch bei Raphael Obermair eine Rolle, als er in eben jener 70. Minute plötzlich völlig frei vor René Vollath auftauchte, zwingend das 2:0 erzielen muss, den Ball dann aber links am Tor vorbei platzierte. Und ich zum zweiten Mal an diesem Abend ein Kissen aufheben musste, das diesmal allerdings eher aus Frust durch die Gegend geflogen war.

Ich denke, ich kann das an der Stelle offen zugeben: Nervlich war ich inzwischen ein ziemliches Wrack. München machte einfach weiter, bei uns schlichen sich jetzt wieder ein paar Ungenauigkeiten ein. Und es kam zu dem einen oder anderen verbalen Scharmützel, bei dem insbesondere Tobias Müller Pöbelqualitäten bewies, die ich ihm so nicht unbedingt zugetraut hätte. München jedenfalls jetzt mit zunehmend kürzerer Zündschnur und unsere Akteure (Grüße auch an Adrian Malachowski) einfach clever, aber angemessen provokativ. Abgezockt, irgendwie, aber das ist ja immer auch ein ziemlich schmaler Grat. In dieser Partie jedenfalls gelang der Tanz; die Diskussionen und der dadurch häufiger unterbrochene Spielfluss haben uns meinem Eindruck nach mehr genutzt als geschadet.

München blieb trotzdem gefährlich und hätte mit einem der schönsten Angriffe in Halbzeit 2 durchaus zum Ausgleich kommen können. In Spielminute 75 läuft ein Konter über den auffälligen Sararer, der rechts auf Daniele Gabriele ablegt. Der Ex-Jenaer setzt sich mühelos gegen Brian Koglin durch, der da einfach einen Schritt zu langsam ist. Hohes Anspiel auf Sliskovic im Strafraum und der mit einer sehenswerten Schere in Richtung Ball und ab mit dem Spielgerät an den Pfosten. Hätte der gepasst, hätte man die Szene wohl demnächst als Tor-des-Monats-Nominierung noch einmal sehen können.

Kurze Zeit drauf war der Arbeitstag für Malachowski beendet, für ihn kam Jürgen Gjasula in die Partie. In der 80. Minute der dritte Wechsel: Alexander Bittroff ersetzte Dominik Ernst, womit auch klar war, dass Christian Beck in dieser Partie keine Spielzeit sehen würde. Und ganz ehrlich, ohne das böse zu meinen: Das war auch völlig okay so. Die Mannschaft funktionierte und harmonierte, die Spielanlage griff, somit gab es für den Captain und seine Art, Fußball zu spielen, keine Rolle an diesem Tag. Ich bin jetzt schon sehr gespannt, wie das weitergeht; die Leistung des Teams und vor allem das Ergebnis würden für mich eigentlich dafür sprechen, erst einmal so weiterzumachen. An der Front bleibt es auf jeden Fall interessant.

Interessant war jetzt auch die Schlussphase, wenngleich der just eingewechselte Jürgen Gjasula gemeinsam mit Kai Brünker ein bisschen Druck aus der Veranstaltung ließ. Einen Freistoß in der 81. Minute zog unsere Nummer 10 schön vor das Tor, wo sich Brünker großartig hochschraubte und den Ball zum 2:0 ins Tor köpfen konnte. Im heimischen Wohnzimmer folgte ein langer, aber stiller Schrei; die Einschläge meiner vor lauter leisem Jubel auf die Couch trommelnden Fäuste sind im Polster vermutlich immer noch zu sehen. Und obwohl Türkgücü noch einmal viel probierte, blieb es letztlich beim in der Höhe sicher auch verdienten 2:0-Heimerfolg. Endlich. Endlich!

Fazit:

Wenn ich mir die Aufstellung so anschaue und dann feststelle, dass mit Maximilian Franzke nur einer der kürzlich noch verpflichteten Zugänge von Beginn an spielte, frage ich mich schon, warum es vier Spieltage dauerte, bis Thomas Hoßmang mit dieser Formation und einer solchen Spielidee/-anlage um die Ecke kam. Dass man immer erst meckern muss …

Aber okay, Spaß beiseite, ehrlicherweise muss man ja auch den wieder genesenen Dominik Ernst als Quasi-Zugang in die Betrachtung mit einbeziehen. Ernst macht halt etwas, was sonst kaum ein Spieler (oder gar keiner) im Kader tut: Er läuft und läuft und läuft und läuft und läuft und geht eben auch immer die Wege in die Tiefe, die wichtig sind. Und wenn Dir so ein Spieler ausfällt, fehlt eben auch die weiter oben schon angesprochene Dimension im Spiel. Insofern: Schön, dass er zurück ist.

Schön ist auch, dass Andi Müller seine Nominierung von Beginn an und die Rolle, die ihm im 4-3-3 zugedacht war, vollkommen rechtfertigte. An den Eckbällen muss er zwar noch mächtig arbeiten, trotzdem hat es großen Spaß gemacht, dem Burschen zuzuschauen und seine völlige Abgekochtheit zu bewundern. Ich glaube, Müller wird uns, wenn er weiter das Vertrauen bekommt, noch richtig viel Freude bereiten.

Naja, und dann muss man natürlich auch einen Blick auf diejenigen Spieler werfen, die eben nicht gespielt haben. Beck war tatsächlich, so leid es mir tut, entbehrlich in dieser Partie, ebenso wie Sören Bertram. Mit Abstrichen gilt das auch für Jürgen Gjasula, obwohl der natürlich den großen Bonus hat, dass er eben den Freistoß zum wohl entscheidenden Tor getreten hat. Ob das aber reicht, um Malachowski, Jacobsen oder Müller im Spiel gegen Verl wieder zu verdrängen? Nun, wir dürfen gespannt sein. Und dann gibt es da ja noch einen Luka Sliskovic, den man irgendwann mal wieder reinwerfen wird, genauso wie vermutlich Sebastian Jakubiak, Sirlord Conteh, Florian Kath und andere … doch, das könnte schon, wenn (!) dann alles mal klickt, ein durchaus interessanter Mix werden …

Auch wenn insgesamt längst noch nicht alles wieder im Lot ist, hat dieses Spiel unter dem Strich jedenfalls einen richtig guten Eindruck hinterlassen, der aber, soviel ist auch klar, nur wirklich etwas wert ist, wenn die Mannschaft ihn in der kommenden Partie bestätigen kann. Ob der Sieg und die Leistung also vielleicht doch ein Befreiungsschlag waren, werden wir wohl erst am Ende der nun folgenden englischen Woche sicher sagen können. Ich würde es mir definitiv wünschen – und bin irgendwie auch froh, dass nun zumindest für ein paar Tage mal etwas Ruhe einkehren dürfte.

 

 

Beitragsbild: „Scream“ von seaternity via Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

2 Kommentare

  1. Pingback: Ein Spiel, zwei Perspektiven: SC Verl (A) - nurderfcm.de

  2. Pingback: Mut zum eigenen Spiel - nurderfcm.de

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.