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Schall und Wahn

FC Rot-Weiß Erfurt – 1. FC Magdeburg, 20. Spieltag, 0-2 (0-2)

„Schall und Wahn | Ich bin Euch Untertan | Ich bin Euch zugeteilt | Ich bin ein Teil des Teils…“ (Tocotronic – „Schall und Wahn“)

Die Herren Tocotronic werden diese kleine popkulturelle Referenz am Anfang eines Fußballtextes hoffentlich verzeihen, beschreibt sie doch gleich in mehrerer Hinsicht ziemlich gut, was sich am 20. Spieltag auf der Baustelle Steigerwaldstadion so zugetragen hat. Die Größten der Welt holten nach 10 vergeblichen Anläufen endlich den ersten Auswärtssieg; währenddessen ließ man es im Gästeblock teilweise dermaßen laut scheppern, dass das Echo von den Tribünen-Rohbauten wieder in der Kurve ankam, bevor überhaupt die nächste Liedzeile an der Reihe war. Und das, obwohl das Stadion mit 7.069 Zuschauern überdurchschnittlich gut besucht war. Heimspielatmosphäre also einmal mehr auf fremdem Platz und noch dazu eine Begegnung, bei der der Sieg des 1. FC Magdeburg eigentlich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Gefahr geriet. So etwas kann man dann wohl getrost als durchaus gelungene Dienstreise bezeichnen.

Die Atmosphäre an der Arnstädter Straße war insgesamt schon einigermaßen abgefahren. Zunächst ging es an Polizei, Security und Bauzäunen vorbei in den Gästebereich, der sich seit meinem letzten Besuch im Steigerwaldstadion von der nordöstlichen in die südöstliche Kurve verlagert hatte. Dort warteten dann stilvolle Dixis, ein Container für den Getränkeverkauf und ein Loch im Zaun, durch das die obligatorische Rostbratwurst an den Mann oder die Frau gebracht wurde. Und während man so langsam eintrudelte und sich ziemlich weit weg am anderen Ende des Platzes die eigene Mannschaft warm machte, fiel der Blick erst einmal auf ein altbekanntes Banner im Nachbarblock: Der große 1. FC Magdeburg hatte mal wieder ein paar Vertreter der Saalefront angezogen, die die Gelegenheit offenbar nicht ungenutzt lassen wollten, ihre Erfurter Freunde beim Rückrundenauftakt zu unterstützen.

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Die Erfordia Ultras hatten sich eigenartigerweise aber genau am anderen Ende des Stadions eingefunden und flaggten im nordwestlichen Teil der Arena am äußersten Rand der Haupttribüne an. Dass die Kollegen aus Halle im Stehplatzbereich die Füße nicht lange würden stillhalten können, war damit eigentlich von vornherein klar. Pünktlich zum Spielbeginn war dann auch Block U vor Ort und mit einer ordentlichen Ansage aus der Gästekurve ging es in die erste Halbzeit.

Die Qualität des Spielgeschehens lässt sich insgesamt standortbedingt nur recht schwer beurteilen und wird denjenigen, die die Partie via Livestream verfolgt haben, sicherlich leichter fallen; durch die inzwischen eher ungewohnte Laufbahn spielte sich eben alles in etwas größerer Entfernung ab. Glück für die Gäste dabei, dass die Größten der Welt in der ersten Halbzeit dasjenige Tor bespielen mussten, das näher am Gästebereich lag – in der Anfangsphase übernahm nämlich gleich mal der Gast die Initiative und ging folgerichtig auch in der 8. Minute in Führung: Niklas Brandt konnte nach einem Einwurf und einem abgefälschten Schuss einnetzen. Direkt nach dem Treffer gab es ordentlich Bewegung auf der Haupttribüne. Dort saßen offensichtlich ein paar Clubfans, die sich nach der Führung überdeutlich auch als solche zu erkennen gegeben haben müssen – was wiederum eine Abordnung der Erfordia Ultras alles andere als großartig fand:

Was so etwas soll, wird sich mir in diesem Leben nicht mehr erschließen. Wenn Sportsgeist und sportliche Fairness bedeutet, Haupttribünenbesucher der gegnerischen Mannschaft aus dem Stadion zu boxen, dann gute Nacht. Ob es so eine sonderlich gute Idee ist, als FCM-Fan in so einem Spiel die Haupttribüne in einem fremden Stadion überhaupt aufzusuchen, ist dabei noch einmal eine ganz andere Frage. Erstaunlich im Übrigen auch, dass diese Vorgänge, die sich ja unmittelbar vor den Augen der Pressevertreter*innen ereignet haben müssen, in keinem Text zum Spiel Erwähnung finden. Vermutlich bringen Schlagzeilen wie „Kinder bei Rot-Weiß Erfurt-Spiel verletzt“ (MDR) aber auch einfach mehr Klicks.

Was das Sportliche betrifft, sorgte der gebürtige Erfurter und ehemalige Rot-Weiße Christian Beck in der 14. Minute für klare Verhältnisse, als er nach einem Eckball höher steigt als drei Verteidiger und den Ball zum 2-0 in die Maschen befördert. Neben dem Schall war nun auch der Wahn im Gästeblock angekommen – erstmals seit der Partie in Mainz führte man wieder 2-0 auf des Gegners Platz und anders als noch im Juli tat man dies hier gegen einen Gastgeber, den dieser Spielstand doch einigermaßen verunsichern sollte. Und so war es dann auch: Erfurt zum Ende der Halbzeit noch mit 2 recht guten Abschlüssen (sofern das von Weitem zu beurteilen war), ansonsten hatten die Größten der Welt aber nicht nur auf den Rängen, sondern auch auf dem Rasen alles im Griff.

Mit dem Wiederanpfiff trat dann erst einmal eine Gruppe im Nachbarblock in Erscheinung, die zumindest in der Nähe der Saalefront-Abordnung zu finden war: Neben ordentlich Feuer hinter besagtem Banner gab es den einen oder anderen Böller und einige Leuchtspuren, die doch ziemlich deutlich auf die knapp 1.200 Gästefans gerichtet waren, aber glücklicherweise (und ähnlich wie in Rostock) auf unserer Seite niemanden erwischten. Ganz anders leider im Block 5 (?), in dem man es Medienberichten zufolge tatsächlich schaffte, zwei Kinder im Alter von 7 und 11 Jahren durch die mitgebrachten pyrotechnischen Erzeugnisse ernsthaft zu verletzen. Das wirft nicht nur eine ganze Menge Fragen auf, für deren Diskussion hier sicherlich nicht der richtige Ort ist, sondern ist für den gastgebenden Verein und vor allem die Betroffenen natürlich eine absolute Katastrophe. Den beiden Jungs an dieser Stelle gute Besserung und dem FC Rot-Weiß Erfurt viel Erfolg beim Ergreifen der Täter!

Die Polizei muss sich im Übrigen wohl gedacht haben, dass man, wenn man das Spiel schon zweimal verlegt, wenigstens auch die Gelegenheit nutzen sollte, den hauseigenen Fuhrpark mal zu testen. Anders kann man sich das Einfahren von schwerem Gerät nach der nun wirklich nicht übermäßig spektakulären Pyro-Einlage sonst eigentlich nicht erklären. Irgendetwas mit „Kanonen und Spatzen“ mag dem einen oder der anderen da in den Sinn gekommen sein.

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Was den sportlichen Teil der Veranstaltung anging, versuchte der FC Rot-Weiß Erfurt in der zweiten Hälfte verständlicherweise, den Anschlusstreffer zu erzielen, scheiterte dabei aber entweder an sich selbst oder an Jan Glinker. Blau-Weiß indes versäumte es, den Sack endgültig zuzumachen und spielte die Kontermöglichkeiten, die sich nun folgerichtig ergaben, einfach nicht konsequent genug zu Ende. Kam man doch mal gefährlich vor das Erfurter Tor, bewahrte der starke Eric Domaschke seine Mannschaft vor einem noch höheren Rückstand. Trotzdem begann, das muss man so deutlich sagen, das große Zittern diesmal irgendwie nicht – Trainer Härtel sprach denn auch im Anschluss von einer sehr erwachsenen Vorstellung seiner Mannschaft. Der 1. FC Magdeburg insgesamt einfach abgebrühter, souveräner und ja, vielleicht an diesem Tag auch mit dem Quäntchen Glück, das zu so einem Auswärtssieg eben auch nötig ist.

Im Block begannen derweil ungefähr 10 Minuten vor dem Ende die Auswärtssieg-Feierlichkeiten. Nicht nur, dass man das Stadion noch einmal wissen ließ, wer die Nummer Eins der Welt ist, auch wies man die Anhängerschaft aus der Landeshauptstadt Thüringens deutlich darauf hin, dass diese ja zum Beispiel auch nach Jena zum Fußballschauen fahren könne – die Höchststrafe für den rot-weißen Anhang. Schließlich der Abpfiff, in dem dann Schall und Wahn auch endgültig zueinander fanden – angetrieben auch durch einen André Hainault im Magdeburger Trikot, der immer wieder anzeigte, er könne ja gar nichts hören und man möge doch bitte noch ein kleines bisschen lauter sein. Sehr, sehr großartig!

Was also bleibt vom ersten Auswärtssieg der Saison? Auf jeden Fall die Erkenntnis, dass er absolut verdient zustande kam und die Mannschaft damit hoffentlich einen weiteren wichtigen Entwicklungsschritt genommen hat. Wenn wir jetzt tatsächlich auch auswärts können, sollten wir doch auf einem ziemlich guten Weg sein, was den Klassenerhalt betrifft. Und hey: Montagsspiele sind zwar prinzipiell echt nervig, aber wenn die in der nächsten Saison an jedem Spieltag zumindest theoretisch regulär möglich wären, würde sich an der Elbe mit einiger Sicherheit wohl niemand groß beschweren…

3 Kommentare

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