Permalink

4

Regionalitätsfragen

Regionalitätsfragen

1974 gewinnt der 1. FC Magdeburg gewissermaßen mit einer Bezirksauswahl den Europapokal der Pokalsieger. 2016 beendet mit Matthias Tischer das auf absehbare Zeit vielleicht letzte echte Magdeburger Urgestein seine aktive Karriere beim Club. Natürlich haben diese Ereignisse nichts miteinander zu tun; sie verweisen allerdings beide auf den gleichen fußballromantischen Zusammenhang: Auf die Vorstellung nämlich, dass der Herzensverein in einer perfekten Welt doch bitte nur mit den besten Spielern der Stadt und der Region bestückt sein möge, diese nicht nur für den eigenen Geldbeutel oder die Karriere, sondern vor allem für die eigenen Farben und die Heimatstadt alles geben und dabei auch noch auf dem höchstmöglichen Level erfolgreich sind. Im so genannten ‚modernen Fußball‘, dem Profifußball noch dazu, ist das heutzutage sicherlich ein nicht mehr zu verwirklichender Traum und sind Spieler wie Matthias Tischer, die lieber die Töppen an den Nagel hängen, als noch einmal für einen anderen Verein aufzulaufen, die absolute Ausnahme. 

Längst rekrutiert auch der 1. FC Magdeburg seine Akteure aus dem ganzen Bundesgebiet oder – wie mit Ryan Malone letzte Saison – sogar weltweit. Aus der eigenen U19 hat zur Saison 2016/2017 hingegen kein einziger Nachwuchskicker den Sprung in den Kader der ersten Mannschaft geschafft und selbst Spieler wie Nils Butzen oder Tarek Chahed kamen zwar aus der eigenen Jugend, stammen aber nicht aus Magdeburg oder der Umgebung. Das verweist darauf, wie schwierig es für lokale Talente inzwischen geworden ist, sich in den Jugendmannschaften durchzusetzen und einen Platz im Profikader zu ergattern. Andererseits ist es aber auch für den Verein alles andere als einfach, junge Talente langfristig zu binden und kontinuierlich für die erste Mannschaft aufzubauen: Längst kommen die besten Spieler eines Jahrgangs kaum noch in der ältesten Jugendmannschaft an, sondern wechseln bereits früh in die Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten – Enis Bytyqi und Florian Krüger sind da nur zwei von vielen Beispielen.

Das wiederum bringt uns zu den Fragen, die Gegenstand dieses Beitrags sein sollen: Wie regional ist die Profimannschaft des 1. FC Magdeburg eigentlich noch und inwiefern hat sich die ‚Regionalität‘ im Kader in den letzten Jahren verändert? Hierzu haben Datenjournalist und Clubfan Manuel und ich uns mal die Kader des Vereins vom Fast-Aufstieg in die 2. Liga 2006/2007 bis heute angeschaut. Als Kennzeichen für die ‚Regionalität‘ der Spieler sollte deren Geburtsort dienen, betrachtet wurden diejenigen Akteure, die mehr oder weniger regelmäßig im Kader auftauchten. (Die komplette Datenbasis kann man sich hier anschauen.)

Regionalitätsfragen

FCM-Kader 06/07 – 16/17, (c) Manuel Mohr

Interessant ist zunächst, dass die Anzahl an gebürtigen Magdeburgern im Kader in den letzten Jahren kontinuierlich abnahm. Waren es 2006/2007 noch ganze sechs Akteure, findet sich im aktuellen Team mit Moritz Sprenger lediglich ein Spieler, der in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts das Licht der Welt erblickte. Dass die Zahl gerade in der Saison des Beinahe-Durchmarschs in die 2. Liga so hoch war, lässt sich recht schnell erklären, schließlich war die Insolvenz des Vereins, in deren Zuge der Neuaufbau vor allem mit Spielern aus der damaligen 2. Mannschaft (und mit Mario Kallnik als Aktivem) angegangen wurde, gerade einmal vier Jahre her. Nach und nach verabschiedeten sich dann aber die Lokalmatadore, u.a. Christian Beer 2011, Stephan Neumann 2014 und eben Matthias Tischer 2016.

Dafür nahm die Anzahl an Spielern aus Berlin 2014/2015 sprunghaft zu, stieg von zwei auf acht und liegt derzeit noch bei fünf Akteuren. Angesichts der Tatsache, dass zur Spielzeit 14/15 mit Jens Härtel ein Trainer verpflichtet wurde, der von 2007 bis 2013 im Berliner Raum an der Seitenlinie stand, ist das aber auch nicht weiter verwunderlich.

Auffällig ist auch eine gewisse (visuelle) ‚Streuung‘ in der Herkunft der Spieler, die man im Prinzip in 4 Phasen einteilen kann: Von 2006 bis 2009 rekrutierte man überwiegend regional, also in Sachsen-Anhalt und umzu. Legendär dann das berühmte ‚Massencasting‘ unter Ruud Kaiser 2010/2011 und die immer wieder propagierten, vielen hundert Kilometer, die der holländische Coach auf der Suche nach geeigneten Spielern unterwegs war. Bis 2013/2014 blieb das ‚Einzugsgebiet‘ größer, mit der Ankunft von Jens Härtel, dem Abschluss der sportlichen Konsolidierung und dem Angriff auf den Aufstieg wurde es wieder enger, nur um sich 2016/2017 im Prinzip wieder auf das gesamte Bundesgebiet auszudehnen, wie die untenstehende interaktive Karte mit dem aktuellen Kader zeigt:

Fazit

Was unter Heinz Krügel noch (und vermutlich auch gar nicht anders) ging, ist heute in dieser Form einfach nicht mehr denkbar; als deutschlandweit aktiver Proficlub reichen beim 1. FC Magdeburg selbstverständlich auch die Rekrutierungsaktivitäten inzwischen längst weit über die Stadt- und Bundeslandgrenzen hinaus. Natürlich geht das dann zu Lasten der Regionalität, aber mal ehrlich: Identifizieren wir uns mit Spielern vor allem, weil sie aus der gleichen Stadt kommen wie wir oder weil sie ihren Beitrag dazu leisten, dass der 1. FC Magdeburg erfolgreich Fußball spielt?

Und wer weiß? Vielleicht ist ja inzwischen in irgendeiner unserer U-Mannschaften wieder eine ‚goldene Generation‘ versteckt, die so in sechs, sieben, acht Jahren großen Anteil daran hat, dass sich der 1. FC Magdeburg als verschworener Haufen anschickt, erneut Europas Spitze zu erklimmen…

 

Ein ganz herzliches ‚Dankeschön‘ an Manuel Mohr für die Grafiken und das Zusammentragen und Aufbereiten der Daten!

4 Kommentare

  1. Pingback: Regionaler Kern | rotebrauseblogger

  2. Pingback: Regionalitätsfragen | re: Fußball

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.