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In der Blase

Es ist ja verdammt bequem und im Moment auch ziemlich behaglich in der blau-weißen Fußballblase. Klar, man kann sich darüber ärgern, dass uns die Abstellung zweier Spieler des VfL Osnabrück für die U20- bzw. die U21-Nationalmannschaft ein unfreiwilliges spielfreies Wochenende und eine zusätzliche englische Woche beschert und die Heimpartie des 7. Spieltags gegen die Lila-Weißen nun an einem Dienstagabend um 18:30 Uhr stattfindet. Und man muss jetzt auch nicht unbedingt begeistert sein darüber, dass man mit Viktoria Berlin und der U23 von Eintracht Braunschweig unter der Woche zwei weitere Testspiele gegen Regionalligisten verlor – zumal die Begegnungen zu allererst mal eine willkommene Gelegenheiten gewesen sein dürften, mal wieder das eine oder andere auszuprobieren und den bisherigen Ersatzspielern ein wenig Spielpraxis zu verschaffen. Am Ende speist sich die Behaglichkeit ja doch immer noch irgendwo aus der Aufstiegseuphorie und dem glänzenden Saisonstart, der den Größten der Welt 11 Punkte nach 6 Spieltagen bescherte.

Und dann gibt es da diejenigen, die im Moment ganz andere Probleme haben als Tabellenstände, Verletztenlisten und Testspielniederlagen gegen Viertligisten. 

Schaut man dieser Tage nach Ungarn, oder auch nur „um die Ecke“ nach Heidenau, Freital, Dresden, Leipzig, Suhl etc., findet man dort eine ganze Menge Menschen, deren letzte Sorge derzeit der Fußball sein dürfte. Menschen nämlich, die ihre Heimat verlassen mussten und nun nach einer abenteuerlichen, häufig lebensgefährlichen, in jedem Fall aber unfassbar beschwerlichen Reise bei uns Schutz suchen vor Krieg, Zerstörung, Verfolgung, Hass und ja, natürlich auch vor Armut.

Fast noch erschreckender als die Bilder von Flüchtlingscamps, Erstaufnahmeeinrichtungen, ungarischen Fernverkehrszügen oder österreichischen Autobahnen, die im Moment über die Mattscheibe flimmern, sind für mich aber diejenigen Personen, die die Aufnahme von Flüchtlingen in unserem Land mit aller Macht verhindern wollen. Die Demonstrationen organisieren und dann dort Hass predigen. Die Häuser anzünden und Menschen angreifen, die helfen wollen. Und die keinen Deut besser sind als die Anzugträger mit Regierungsverantwortung, die sich vor Kameras stellen, irgendwas von Abschiebecamps faseln und ernsthaft öffentlich darüber nachdenken, ob man nicht noch ein paar mehr Länder als „sichere Herkunftsländer“ deklarieren kann, um der „Flüchtlingsproblematik“ Herr zu werden.

Menschen, die nicht begreifen oder nicht begreifen wollen, dass sie einfach nur ein verdammtes Scheissglück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort geboren worden zu sein. Die nicht verstehen können, dass es schlussendlich purer Zufall war, dass auf ihrem Ausweis eben „Bundesrepublik Deutschland“ und nicht „Syrien“, „Eritrea“, „Sudan“, „Irak“, „Kosovo“ oder „Albanien“ steht. Und die daraus ernsthaft ein Recht ableiten, sich über Menschen in Not ein Urteil zu bilden und mit allem, was sie haben, zum Ausdruck zu bringen: „Ihr müsst draußen bleiben. Wir wollen Euch hier nicht. Aber unseren Wohlstand auf Eurem Rücken, den finden wir cool. Und nein, Ihr bekommt natürlich kein Stück vom Kuchen. Alles meins. Pech gehabt.“

Und jetzt komme mir bloß keiner mit „Ja, aber das hat doch mit dem FCM nichts zu tun.“ oder „Politik hat im Stadion nichts verloren!“ Das ist natürlich großer Quatsch, allein eine solche Aussage ist an sich ja schon eine politische. Und wer tatsächlich glaubt, der Fußball wäre apolitisch, sollte sich vielleicht einmal ernsthafter mit der Entstehung der Ultrá-Bewegung auseinandersetzen. Nur als Beispiel. Es gibt noch viele weitere.

In Ausgabe 102 des „Ballesterer“ erschien bereits im Mai 2015 ein Text, der hervorragend zeigt, wie schnell die Ereignisse Eingang finden können in die heile Welt des Fußballs. Und wie einfach wir es uns alle machen, wenn wir glauben, dass unser Leben in der behaglichen blau-weißen Blase mit all dem, was an Europas Grenzen so vor sich geht, nichts zu tun hat.

In den letzten Tagen und Wochen haben eine ganze Menge Fanszenen und Fußballvereine mobil gemacht gegen Fremdenfeindlichkeit, Hass und eine europäische Flüchtlingspolitik, die mit „zynisch“ zu bezeichnen noch deutlich untertrieben wäre. In Österreich gab es gar ein Statement der Nationalmannschaft:

Vom 1. FC Magdeburg war in dieser Hinsicht bisher noch nichts zu vernehmen, allerdings kann es für einen Club, der sich ja bekanntermaßen als „Familienverein für alle“ versteht, nur eine Frage der Zeit sein, auch in der Flüchtlingsfrage ein deutliches Zeichen zu setzen. Für benachteiligte Menschen engagiert man sich längst vorbildlich; es wäre also nur konsequent, auch zum Thema „Flüchtlinge“ deutlich Stellung zu beziehen.

*edit 17.10.2015: Der Verein verschenkt zum nächsten Heimspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden 45 Tickets an Geflüchtete. Die Kommentare unter dem entsprechenden Post auf der Facebook-Seite des 1. FC Magdeburg sind überwiegend zum Weglaufen.*

Letzten Endes ist aber ohnehin jeder einzelne aufgefordert, sich mit den aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen, auch wenn das bedeutet, sich eben ein Stück aus seiner Komfortzone heraus zu bewegen. Also: Informiert Euch über die Hintergründe (z.B. hier), denkt nach (ein wenig Inspiration z.B. hier und hier) und engagiert Euch im Rahmen Eurer Möglichkeiten (z.B. hier und hier).

Selbstverständliches muss eigentlich nicht angesprochen werden. Manchmal ist es aber offenbar doch notwendig, mit etwas Nachdruck an den gesunden Menschenverstand zu appellieren.

refugees_welcome_blauweiss

(Vielen Dank an die Bloggerkollegen von „vert et blanc“ für die Vorlage zur oben stehenden Grafik!)

 

1 Kommentar

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