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Im Gespräch mit: Dirk Stahmann

Dirk Stahmann

Teil 2/3: Länderspieldebüt in Bagdad 1982, Olympia-Boykott 1984 und die Wendezeit

AS: Dein Länderspieldebüt war ja, glaube ich, in Bagdad, kann das sein?

DS: Ach, das war auch so eine Geschichte. Da haben wir ein Punktspiel gehabt, gegen Vorwärts Frankfurt/Oder, glaube ich. Danach waren wir noch im Casino, ich bin dann nach hause und auf einmal kam ein Anruf: “Stahmann fährt mit in den Irak.” So war das früher. Ich also nach hause, Sachen gepackt…

AS: Warte mal. Das bedeutete: “sofort los”, oder wie?

DS: Ja, so ungefähr. Also ab nach hause, Sachen packen und abends war dann Treffen in Berlin. Kurz noch der Freundin Bescheid gesagt, die natürlich nicht sehr begeistert war, aber es war nun einmal so. Und dann haben wir uns abends getroffen da im Sporthotel und am anderen Morgen ging der Flug. Das ist eine Geschichte, das werde ich auch nie vergessen. Morgens wurden wir noch geimpft und dann ging es von Berlin nach Belgrad. So reiste damals die Fußball-Nationalmannschaft der DDR. Mitgefahren von uns sind noch Dirk Heyne und Pomme [Jürgen Pommerenke]. Mittags waren wir dann in Belgrad, um 22 Uhr ging es weiter nach Bagdad. Und in Bagdad war Krieg. Wir sitzen so im Flugzeug, war ja dunkel, und Dirk Heyne so: “Guck mal raus, da unten blitzt es, ist da Gewitter oder was?” und ich sag’: “Nee, das sind Lichter, da kannst Du runtergucken.” Da sind wir über Kampfgebiet geflogen. Die Stewardess kam dann an, hat uns auf die Hände gehauen und die Fenster runtergemacht. In der Nacht zum Montag um 3 sind wir in Bagdad gelandet und konnten erst mal ausschlafen. Dienstag dann Länderspiel, das war mein erstes, dann kam ein zweites, inoffizielles, das haben sie nie erwähnt, das haben bloß wir gewusst. Dann sind wir Donnerstagnacht von Bagdad wieder los nach Athen und weil ja Krieg war, konntest Du nur nachts fliegen. In Athen kam dann abends die IL 62 von Interflug, Freitagabend um 10 waren wir wieder in Berlin, Sonnabend war Punktspiel in Erfurt. Wir sind dann von Berlin nach Erfurt gefahren und Sonnabend hast Du dann Dein Spiel gemacht. Vier Spiele in einer Woche mit so einer Tour. Das waren damals unsere Reisen. Das darfst Du gar keinem erzählen. Da konnte manchmal auch nicht mehr rauskommen als das, was eben rausgekommen ist.

AS: Naja klar, wenn man das so hört, erklärt das ein paar Sachen tatsächlich.

DS: Ja, das war die Woche. Das waren die ersten Länderspiele. Wir haben aber nicht verloren, sondern 1:1 gespielt, glaube ich. Das zweite 0:0, das inoffizielle, und das erste 1:1. Und nachts haben sie geschossen in den Straßen.

AS: Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Kann man da pennen? Wie ist denn das? Mit was für einem Gefühl fährt man denn da hin?

DS: Wir haben das ja gar nicht gewusst. Wir haben es erst dort richtig mitgekriegt, als es uns der Botschafter erzählt hat.

AS: Wow, das ist ja auch einigermaßen gewagt…

DS: Ja, kann man eigentlich nicht mehr nachvollziehen. Dann gab es eigentlich auch nur drei Fluggesellschaften, eine aus Jugoslawien, dann die Saudia und die Iraqi Airline.

AS: Puh, da kriege ich richtig Gänsehaut.

DS: Ja, glaub’ ich.

AS: Ich hab’ hier mal noch so eine klassische Fan-Frage: An welchen Gegenspieler erinnerst Du Dich denn noch besonders gut? Als Innenverteidiger wirst Du ja ein paar gehabt haben, oder?

DS: Ja, klar. Frank Stapleton damals von Arsenal und dann natürlich Paul Mariner von Ipswich Town im Länderspiel gegen England. Das ist auch so eine Geschichte, die werde ich auch nie vergessen. Also ich rede jetzt mal deutsch: der hat gefurzt, gerülpst und gerotzt. So etwas hatte ich überhaupt noch nicht erlebt. Nicht, dass der unfair war, aber sowas… Ja, und sonst… damals die Geschichte mit Maradona, seinem Bein und Goikoetxea (AS: “Der Schlächter von Bilbao”), genau, das war dann auch so eine komische Situation mit Markus [Wuckel, AS].

AS: Wieso, was war da los?

DS: Na der hat doch Maradona das Bein gebrochen damals und wir haben den Goikoetxea dann auch kennengelernt, im Spiel gegen Bilbao. (AS: Alles klar). Schön war auch damals die faire Geste von den Dänen im Zusammenhang mit der Olympia-Qualifikation für Los Angeles ‘84. Das war auch mein Tiefpunkt mit damals… Die Dänen kamen zu uns, wir mussten 3:0 gewinnen, in Magdeburg sogar, um Polen unter Druck zu setzen, dass die gegen Dänemark gewinnen müssen. Wir haben dann 4:0 gewonnen und die Dänen haben 4 Tage später in Polen gespielt. Wir saßen dann noch zusammen mit denen, da war unter anderem Laudrup bei, haben Bier getrunken und so gesagt: “Viel Glück dann in Polen, Ihr könnt uns helfen!”. Mehr so aus Spaß haben die dann gesagt: “Wir holen da einen Punkt” – und haben wirklich einen Punkt geholt. Also Hut ab. Sonntagmittag um 12 in Polen, für Dänemark ging es um nichts mehr und trotzdem haben sie da für uns gepunktet. Und dann kam für uns natürlich der herbe Dämpfer durch den Boykott. Wie gesagt, das war eigentlich mit der Tiefpunkt, für mich ging da die Welt unter. Ich war Kapitän der Olympiaauswahl und dann sowas. Ich weiß noch, wie die Nachricht damals im Radio kam, da kriege ich jetzt noch Gänsehaut: “Die DDR-Auswahl hat die Olympia-Quali geschafft”. Fünf Minuten später klingelt es. Pomme, der wohnte unter mir, sagte gleich: “Langer, ich gratuliere Dir!”, das war natürlich eine super Geste. Die Gruppen für Olympia waren auch schon raus, Brasilien hätten wir gehabt, Saudi-Arabien, und… ach, ich weiß nicht. Als wir erfahren haben, dass wir nicht fahren, waren wir gerade mit der Nationalmannschaft unterwegs. Ein Teil der Olympiamannschaft hat ja auch Nationalmannschaft gespielt. Wir waren zu einer Wettkampfreise in Nordirland, haben da 2:0 gewonnen und sind dann über London zurückgeflogen. René Müller von Lok war noch mit dabei, der ja für die Olympiaauswahl im Tor stand, und in London haben wir dann die BILD-Zeitung gelesen. Ganz groß stand dann da drin in großen Lettern: “Schock! Die Russen kommen nicht!” Ich hab’ dann bloß gesagt: “Weißt Du, was das für uns heißt? Wir fahren auch nicht.” Kurz bevor wir dann in Berlin ankamen, gab es im Landeanflug eine Durchsage: “Die Olympia-Spieler der Nationalmannschaft bitte mal bereithalten zum Empfang!” Vier, fünf Leute waren auf jeden Fall dabei. Man hat uns dann Sekt gegeben und ich hab’ nur gesagt: “Den kannst Du alleine trinken, ich weiß, was jetzt kommt. Dass wir nicht fahren.” Das ist die Geschichte mit der Olympia-Auswahl. Das war bitter, das muss man schon sagen. Wir hätten bestimmt ein gutes Turnier gespielt. Dafür ist dann der Westen gefahren und manchmal, wenn jetzt Länderspiele sind, sehe ich immer mal noch Dieter Schatzschneider von Hannover 96, und der sagt immer: “Na, Langer, schön, dass Ihr nicht gefahren seid damals”. Aus Spaß natürlich, heute lacht man drüber. Und ich glaube, die haben am Ende den Dritten gemacht.

AS: Krass. Da haben wir dann sozusagen den Posten “Karrieretiefpunkt” auch schon so ein bisschen…

DS: Na und Österreich! Das Spiel damals. Jetzt sind wir schon bei der Wendezeit. Da habe ich bei der Hymne zum langen Heyne gesagt: “Langer, wir haben heute keine Chance.” Ich meine, wir Älteren konnten das schon so ein bisschen verarbeiten, aber was da auf die jungen Leute eingeprasselt ist in diesen drei, vier Tagen, das war unwahrscheinlich. Das war so, wir waren am 6. oder 7. November [1989]  zur Vorbereitung in Leipzig an die Sportschule angereist, das Spiel war am 15. November. Und ich weiß noch, als die Rede von Schabowski kam, war ich irgendwie früher ins Bett gegangen. Weiß gar nicht mehr genau, warum. Ich war mit Matthias Lindner von Lok auf einem Zimmer und der sagte abends zu mir: “Dirk, ich gehe noch mal nach hause.” Ich sage: “Naja, klar, kommste nachher wieder, um 10, 11 bist Du wieder ran.” Ich hab’ mich ins Bett gelegt, hatte auch den Fernseher an, aber nicht Schabowskis Rede, und am anderen Morgen kommt der lange Heyne: “Du, weißt Du was? Die Grenzen sind offen!” Ich so: “Was? Spinnst Du?” Der Matthias hatte auch nichts gesagt die Nacht. Hat mich zwar zweimal wach gemacht, aber nichts gesagt. So, und dann ging das natürlich los. Beim Training hast Du das gemerkt, es war einfach anders. Zwei, drei Tage haben wir noch in Leipzig trainiert, dann ging es nach Wien und beim Abschlusstraining im Stadion waren schon Gestalten da, die haben die Leute dann angequatscht: Sammer, Steinmann, Thom, Doll, Kirsten, da ging es schon los. Vor dem Spiel war es noch schlimmer. Als wir zum Warmmachen gingen, standen da schon Leute mit Mikrofonen und wie gesagt, ich meinte dann zu Dirk Heyne: “Wir haben hier keine Chance!”. Und so ist es ja auch gekommen, obwohl ich sagen muss, dass das Spiel [Endstand 0:3, A.S.] vielleicht anders gelaufen wäre, wenn das 2:1 fällt. Steinmann hatte da noch einen Elfmeter verschossen. Das wäre natürlich ein schöner Abschluss gewesen mit der Weltmeisterschaft. Weltmeister geworden ist ja dann der Westen, also Deutschland. Aber wie gesagt, was da auf diese jungen Leute eingestürmt ist, das war unwahrscheinlich viel. Und das waren ja auch sechs Spieler, die gespielt haben. Der Berater von Reiner Calmund war vor Ort, der hatte ja dann schon alle angequatscht und ist tatsächlich mit uns nach hause geflogen. In unserer Maschine. Ja, das waren Geschichten… das war auch so ein bisschen… naja, gut.

AS: Naja, es gibt ja auch auf Club-Ebene diese Geschichte mit dem Spiel in Finnland, bei dem Ihr mehr oder weniger als DDR-Bürger hingeflogen und als Bürger der Bundesrepublik Deutschland wieder zurückgekommen seid, oder?

DS: Ja. Das stimmt, das war das Spiel. Das sind auch schöne Erinnerungen. Ich habe zuhause ein Bild, da stehe ich in der Mitte als Kapitän, halte die deutsche Fahne und die DDR-Fahne, das war auch schon ein Erlebnis. Da haben wir mittags um 1 gekickt, weil es um 3 schon dunkel war, das war ja ziemlich weit nördlich.

AS: Und dann sind wir jetzt schon, wie Du gerade gesagt hast, tatsächlich in der Wendezeit angekommen. Du warst ziemlich lange Kapitän der Mannschaft und hast es ja jetzt schon ein bisschen angedeutet: ich stelle mir die Zeit damals einfach krass vor. Du wirst da in so einem System groß und dann ist da plötzlich über Nacht irgendwie alles anders. Wie muss man sich das denn auch auf Club-Ebene so vorstellen? 89/90 wart Ihr ja auch noch mal Dritter, da war ja auch die Hoffnung groß, dass Ihr die 2. Liga oder die Bundesliga packt…

DS: Und dann kam das Scheißjahr, sage ich mal, da gebe ich auch dem Markus [Wuckel] mit seinem Unfall ein bisschen mit die Schuld. Wir waren Erster in der Halbserie mit fünf Minuspunkten, meine ich, und Markus baut den Unfall, bei dem die drei da angetrunken gefahren sind und er dann natürlich die ganze zweite Halbserie ausfiel. Das muss er sich ankreiden, ist meine Meinung, das habe ich ihm auch schon mal persönlich gesagt. Da hat er mit Schuld, dass die zweite Halbserie dann so lief, wie sie lief. Dann ging der Uwe Rösler noch weg, dann ging der Dirk Schuster noch weg… ja, das ist auch ein Tiefpunkt. Total.

AS: Wie war das in der Mannschaft? Hat man da drüber gesprochen in der Kabine?

DS: Ja, na klar. Ich sag’ mal so… der Markus Wuckel vorne, das war ‘ne Institution. Der hat die Tore gemacht, hatte nen Bombenschuss, obwohl es ein junger Bengel war. Aber mit dem Unfall dann hat er uns keinen Dienst erwiesen. Wir haben uns dann noch verstärkt, unter anderem mit Uwe Jähnig von Dynamo Dresden, aber es hat halt doch nicht gereicht. Das letzte Spiel war in Chemnitz. Ich war noch gesperrt, ich hab’ nicht mal mehr mitgespielt. Zur Halbzeit waren wir noch Meister, dann hat Dresden, glaube ich, noch das Spiel gegen Lok Leipzig gedreht und wir haben 1:0 verloren. Das war eigentlich ein gutes Jahr noch mal, der dritte Platz und dann kam ja das verflixte Jahr Quali….

AS: …was sich ja dann auch so ein bisschen durch die Geschichte zog, nicht?

DS: Ja, es war natürlich auch schwierig. Der Vorstand wurde beeinflusst, es war ja alles auch Neuland. Da gibt es ein schönes Bild im Grube-Stadion, wo das eine Tor da aufgeht… es ist schon trist gewesen. Die Zuschauer waren weg, die waren alle in Braunschweig oder Hannover oder so… es war schon eine schwere Zeit.

AS: Ich stelle mir das ja so vor, dass da wirklich Leute einfach aufgetaucht sind beim Spiel oder beim Training und gesagt haben: “Hier, hast Du Bock?” und dass sich dann peu a peu die Kabine irgendwie leerte.

DS: Den Spielern, die bei den Spielen vom Kopf her woanders waren, kann man nicht mal ‘nen Vorwurf machen. “Scheiss jetzt mal auf die Situation gerade, wir haben nächstes Jahr einen Vertrag und dann ist gut.” Das war so, das ist so.

AS: Und dann hattest Du ja noch die exponierte Rolle als Kapitän und damit quasi auch die Aufgabe, das Team so ein bisschen auf Kurs zu halten. Es gibt bestimmt einfachere Aufgaben.

DS: Ja, natürlich, weil man ja immer auch vor Augen hatte: Man ist 32, irgendwann ist Schluss.

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