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Gewalt ist scheisse – immer und überall! Ein Rant

*Achtung! Dieser Beitrag könnte Spuren von Überzeichnung, Pauschalisierung und Stereotypisierung enthalten!!*

Um das gleich mal vorneweg ganz klar zu sagen: was Kevin Pezzoni vom, naja, ehemals 1. FC Köln widerfahren ist, ist schlimm und durch nichts zu entschuldigen. Menschen, die andere Menschen derart angehen und dafür sorgen, dass diese um der eigenen körperlichen und seelischen Unversehrtheit Willen ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, betreiben Mobbing, was einen Straftatbestand darstellt. So weit, so gut.

Was mich aber eigentlich noch wütender macht als die Tatsache, dass so etwas im Fussball – oder generell – überhaupt passieren kann, ist die schablonenartige, vorgefertigte Berichterstattung über die so genannte „Fangewalt im Fussball“ in den überregionalen Medien. Es ist nämlich, so meine erste These, ein Riesenunterschied, ob wir von einem Spieler des 1. FC Köln (oder von mir aus auch Münster, Sonnenhofen Großaspach oder Paderborn) oder einem vom, sagen wir mal, 1. FC Magdeburg reden.

Wie ich da drauf komme? Nun: Der Spieler Pezzoni wird von, Zitat „einige[n] wenige[n] Störer[n] und Chaoten“, von denen sich der 1. FC Köln natürlich umgehend distanziert, vor der eigenen Haustür bedroht und löst daraufhin seinen Vertrag bei besagtem Verein auf. Die Medienmaschinerie läuft an, man spricht von der schlimmen Situation für Kevin Pezzoni (kurz) und vom schlimmen Gewaltproblem im deutschen Fußball (schon viel ausführlicher). Aufhängen tue ich mich da vor allem an diesem Beitrag hier auf Sport1.de.

Reinhard Rauball, nach meinem Eindruck eher ein besonnener Zeitgenosse, bringt die Angelegenheit gleich in Verbindung mit der leidigen Stehplatzdebatte, weil ihm bzw. den Vereinsoberen generell die Innenminister im Nacken sitzen, für die solche Ereignisse natürlich Wasser auf die Mühlen ist. Kleine Randnotiz: hier zeigt sich schön die Hysterie und Ahnungslosigkeit, mit der die Hardliner der deutschen Innenpolitik die „Fangewalt“-Debatte führen. Frei nach dem Motto: „Stehplätze raus aus den Stadien, dann erledigt sich auch das Gewaltproblem“. Wie schief diese Diskussion ist, mag jeder für sich selbst ermessen. Aber gut, zurück zum Thema:

Die mediale Bühne ist also da, der arme 1.FC Köln kann sich das alles selbstverständlich gar nicht erklären, alle sind völlig entrüstet und sich sofort einig: so etwas ist scheisse, schlimm und gehört sich nicht. Es geht aber ganz schnell um Fussballfangewalt allgemein und, noch mal Zitat, das Machwerk „einiger weniger Chaoten und Störer“ (die in der Stehplatzkurve beheimatet sind und sich, bevor sie zuschlagen, erst mal an Bengalos und Rauchbomben aufgeilen müssen – nur, um das Bild mal komplett zu haben).

Schnitt, Rückblende: wir sind im November 2011. Der Spieler Daniel Bauer vom 1. FC Magdeburg wird – angeblich – vor (oder an? Hier gehen die Aussagen, nicht zuletzt auch von Herrn Bauer selbst, auseinander…) seiner Haustür von – angeblichen – Hooligans bedroht und löst daraufhin, nicht ohne eine entsprechende Schlammschlacht zumindest in den regionalen Medien, seinen Vertrag in Magdeburg auf. Auch hier läuft die Medienmaschinerie an, aber der Ton ist ein ganz anderer. Jetzt geht es plötzlich um einen ehemaligen Europapokalsieger (den 1. FC Magdeburg) als Paradebeispiel für marode ostdeutsche Fanszenen, die nahezu ausschließlich von perspektivlosen Jugendlichen, skrupellosen Schlägern und Neonazis dominiert werden. Spannenderweise interessieren sich die überregionalen Medien in keinem Moment für die Frage, in welcher Situation diese Geschichte plötzlich hochkocht (Bauer als Kapitän abgesetzt, schlechte sportliche Leistungen der ganzen Mannschaft, Unzufriedenheit bei den Spielern und im Umfeld und so weiter und so fort) und was eigentlich der Verein tut bzw. getan hat, um den Vorkommnissen zu begegnen und Daniel Bauer als Spieler zu unterstützten (was z.B. hier ziemlich ausführlich nachgeschaut werden kann.)

Interessant ist, dass die beiden die entsprechenden Medienreaktionen auslösenden Vorkommnisse sich – nach dem, was bekannt ist – fast 1:1 gleichen. Spannend ist aber, wie solche Sachen offenbar allgemein gesellschaftlich aufgenommen werden und warum. Meine nächste These: die Taten werden vor mehr oder weniger feststehenden, von den Medien willfährig bedienten Projektionsflächen gelesen und damit natürlich unterschiedlich bewertet. Letzten Endes wird also mit zweierlei Maß gemessen:

Projektionsfläche 1: „Das Werk einiger weniger Chaoten und Störer“, die quasi die heile Bundesliga-Show-Event-Kommerzwelt stören, in der das Fussballspiel zum allwöchentlichen Familienfest mutiert. Emotionen ja, aber bitte nicht allzu überschwänglich und nur mit alkoholfreiem Bier in der einen und Klatschpappe in der anderen Hand. Das saubere Image gerät in Gefahr, die Frackträger in politischer Verantwortung und die Geldzähler in Vereinen und Fernsehanstalten geraten in Panik, es tritt ein reflexartiges Phrasendreschen ein, man beruft Konferenzen ein, alle sind ein bisschen peinlich berührt, weil es die „Idioten“ in der heilen Bundesliga-Show-Event-Kommerzwelt eigentlich gar nicht geben kann. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Projektionsfläche 2: der bereits angesprochene und ohnehin schon marode Fussballosten: „Captain-No-Future“-Fans ohne Job und Perspektive, die straßenschlachtenähnlich pöbelnd und brandschatzend Spieltag für Spieltag durch die Innenstädte und Stadien traditionsreicher, ehemals erfolgreicher ostdeutscher Viert- und Fünftliga-Fussballstandorte ziehen. Gott sei Dank bleibt dieses Phänomen nach der großartigen Regionalligareform auf das Entwicklungsgebiet Ostdeutschland beschränkt, bei Auswärtsfahrten bleiben die sauberen, schönen und bürgerlichen Innenstädte der westdeutschen Fussballprovinz davon nun verschont. Dort wiederum passiert so etwas eben gar nicht, oder es wird nicht darüber berichtet (was im Endeffekt auf das Gleiche hinausläuft – wenn es nicht in der Zeitung steht, ist es auch nicht passiert) und wenn doch, wie z.B. in Sachen Ultras Aachen, gibt es auch hier einen peinlich berührten Verweis auf einschlägige politische Lager, Probleme innerhalb von Szenen und tendenziell eher eine „Du Du Du“-Debatte. Mal ganz davon abgesehen, dass eine übermäßige überregionale Berichterstattung natürlich nicht eintritt.

Natürlich gibt es hier im Osten immer wieder Chaoten und Vollidioten, die die Auseinandersetzung suchen – z.B. nach dem Viertligaderby zwischen RasenBallsport und dem 1. Lokomotive Leipzig letzten Sonntag (und hier ein nahezu sensationeller Kommentar zu den Geschehnissen von der Leipziger Internet Zeitung). Keine Frage. Und das ist scheisse und solche Leute gehören lebenslang aus allen Stadien ausgesperrt und zivilrechtlich richtig empfindlich belangt. Auch keine Frage. Nur triggern die eben (und das ist diesen Kaspern, wie so vieles andere, leider nicht bewusst) das bereits bestehende Bild bzw. die Projektionsfläche, die – und das ist mein Punkt – von Medien und Politik mit Macht und Vehemenz aufrecht erhalten wird. Wäre ja auch langweilig ohne Feindbilder.

Die Idioten, die den Pezzoni bedroht haben, bedienen unbewusst auch eine Projektionsfläche, aber eben die erste. Auch hier wird von allen Seiten versucht, ebendiese – Potemkinsche Dörfer-mäßig – aufrecht zu erhalten.

Und hier stoßen wir aus meiner Sicht auf das eigentliche Problem. Können wir das Kind nicht einfach beim Namen nennen? Leute, die sich wie im Fall Pezzoni oder im Fall Bauer (wenn es denn so stimmt) derart erdreisten, in Bereiche einzugreifen, in denen sie mal überhaupt nichts verloren haben, sind kriminelle Arschlöcher. Punkt. Und ein Verein, der in seinem Umfeld Personen hat, die in der Lage sind, derartige Macht auf einen Verein und seine Angestellten auszuüben, hat ein Problem. Punkt. Und da ist es scheissegal, ob der Verein seinen Sitz in Köln, Magdeburg, Erding, Neuruppin oder Wanne-Eickel hat.

Was man gegen solche Vorkommnisse wie in Köln oder Magdeburg tun kann? Tja, keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht, ein Stehplatzverbot in Aussicht zu stellen und ganze Subkulturen in Sippenhaft zu nehmen. Auf jeden Fall auch nicht, die „der schlimme Fussballosten vs. einige Verirrte im ach so sauberen Bundesligazirkus“-Platte aufzulegen. Gut tun würde und ein Anfang wäre wahrscheinlich, wenn in solchen Fällen alle – Vereine, Fans, Politik und Medien sich an die eigene Nase fassen, gemeinsam an einem Strang ziehen und die Feindbilder da suchen würden, wo sie wahrscheinlich tatsächlich stecken – nämlich vor der eigenen Haustür. Ich glaube, dann wäre allen schon ein kleines Stück geholfen. Gewalt ist nämlich grundsätzlich scheisse. Immer und überall.

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