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Gewalt im Fußball: nicht „Euer Problem“

Ein Gastbeitrag von Ulrike Bertus

Ich bin ein Fußballfan. Ich bin nicht nur Fan eines Vereins, ich bin Fan der ganzen Sportart. Ich mag die Schönheit eines Fallrückziehers, das euphorische Gefühl, wenn das herbeigesehnte Tor endlich fällt und in einem Moment all die Spannung abfällt. Ich mag in den unteren Klassen den Einsatz der Vereinsmitglieder, die den Besuchern sonntags Kaffee und Kuchen servieren und am Samstag eine Wurst grillen. Ich mag die Stadien, die Fans und die Idee hinter dem Sport, die Aufregung vor den Spielen und die Diskussionen danach.

Der Sport wurde schon immer als ein Mikrokosmos gesehen, in dem sich gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme, aber auch positive Ergebnisse widerspiegeln. Nur: über positive Ereignisse wird selten berichtet. So ist es immer.

Beherrscht wird ein Großteil der Berichterstattung von Gewalt in den Stadien, von Rechtsradikalismus und Gruppierungen, die losgelöst von dem Sport die ihnen gebotene Fläche nutzen, um Meinungen und Gemütszustände auszuleben und der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Ich bin im Nordwesten Deutschlands aufgewachsen und vor bald drei Jahren nach  Leipzig gezogen. Weil hier kein Weserstadion mehr vor der Tür liegt, sehe ich in meiner Wahlheimat Fußball. Mit dem Betreiber dieses Blogs verbringe ich Teile meiner Wochenenden auf verschiedenen Plätzen der Stadt und der Region. Als ich dies Bekannten aus dem Westen (warum ich die mir für gewöhnliche vermiedene Unterteilung in West­-Ost machen muss, wird gleich klar) berichtete, dass ich – beispielsweise – beim FC Magdeburg war, reagierten diese überrascht. „Die Vereine im Osten sind doch voller Nazis“ wurde mir gesagt. Ich reagierte auf diese Pauschalisierung vermutlich mit einem entglittenen Gesichtszug.

Im Laufe verschiedener Gespräche erschloss sich mir, was das  Ost­-Fußball­-Bild  von  West-Fußballfans ist: Nur Nazis („Guck Dir Dynamo Dresden an“), nur Gewalt („Guck Dir doch Lok Leipzig an“) und qualitativ auch eher vernachlässigbar („Nenn mir einen Ost-Verein aus der ersten Liga, der sich dort halten konnte.“). Über die Qualität lässt sich schlecht streiten, das muss ich zugeben.

Ja. Es gibt ein Gewalt­-Problem. Es gibt auch ein Nazi­-Problem. Das zu bestreiten, wäre fahrlässig. Aber es gibt einen Unterschied in der öffentlichen Darstellung der Problematik. Gewalt und Rechtsradikalismus im ostdeutschen Fußball werden als gesamtgesellschaftliches Problem kommuniziert. Im westdeutschen Fußball aber sind sie vereinsinterne Probleme, deren Auswirkungen nicht als Folge von Arbeitslosigkeit oder fehlender Perspektive gesehen werden, sondern als merkwürdig losgelöstes Phänomen.

Dabei ist Gewalt immer ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ist fatal, dem Sport – in diesem Fall dem Fußball – die Schuld an den bedenklichen Geschehnissen zu geben. Siehe oben: Der Sport bietet eine Projektionsfläche, die Aufmerksamkeit, die wir alle dem Sport widmen, vergrößert diese Projektionsfläche noch.

Im Stadion gibt es für die, die keinen greifbaren Gegner haben und nur eine diffuse Ahnung von dem, was sie fürchten, in sich tragen, einen körpergewordenen Feind. Es ist der Gegner, der andere Vereinsfarben trägt, zwar bekannte Lieder, aber mit „falschem“ Text singt und nicht zur Stadt gehört – ein Gast im Stadion, im Spiel, in der eigenen Welt, ein Platzhalter für all das, was man nicht mag. Wie auch innerhalb des Vereins ein „Wir“ und „die Anderen“ entstehen kann, zeigen beispielsweise die Übergriffe  in  Duisburg.

Die meisten Fans gehen ins Stadion, weil sie ihren Verein gewinnen sehen wollen.  Der kathartische Moment, wenn das Tor fällt, die Erlösung, das Glücksgefühl, das einen durchströmt (dass man als Fan vieler Vereine auch viel Leid erfährt, verschweigen wir an dieser Stelle einmal). Andere suchen dort ihren unsichtbaren Feind – und finden den Gegner als, siehe oben, Platzhalter.

Dieses Problem gibt es aber nicht nur in den östlichen Bundesländern. Es gibt sie auch im Westen.

Man mag nun einwenden, dass immer wieder Vereine aus Sachsen, Sachsen­-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg­-Vorpommern und Thüringen auffallen und das ist sicherlich nicht falsch. Die Unsicherheit, die nach der Wende aufkam, bot einen fruchtbaren Boden besonders für rechte Gruppierungen, die plötzlich einen Halt und eine Richtung in einer haltlosen und richtungslosen Zeit boten. Wer sich jedoch einmal die Berichterstattung zum Thema Borussenfront oder aktuell den Konflikten in Braunschweig ansieht, der ahnt: rechtes Gedankengut ist überall. Und es ist nie „nur“ ein vereinsinternes Problem. Es ist immer gesamtgesellschaftlich. Und da ist das Bundesland egal, niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen und sagen, dass es „Euer Problem“ ist. Es ist unser Problem.
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Mehr Texte von Ulrike gibt es in ihrem Blog; außerdem kann und sollte man ihr auch auf Twitter folgen.

3 Kommentare

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