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„Die tun nichts, die wollen nur randalieren!“

Was wurde seit dem letzten Auswärtsspiel des Ersten FC Magdeburg beim SV Babelsberg nicht alles geschrieben und vor allem diskutiert. Mittlerweile bin ich einigermaßen müde geworden, mir die immer wieder gleichen Argumente der immer gleichen Typen durchzulesen: auf der einen Seite die eher Vernünftigen, die die Ereignisse in Babelsberg als das bewerten, was sie tatsächlich sind, nämlich massiv vereinsschädigendes Verhalten einiger extrem Fehlgeleiteter. Auf der anderen Seite die (etwas pointiert) selbst ernannten einzig wahren Repräsentanten der Magdeburger Fanszene, deren Argumentation in etwa in die Richtung geht: „Wir reißen uns Spiel für Spiel den Allerwertesten für den Club auf und supporten, was das Zeug hält, also wird es uns doch wohl auch erlaubt sein, uns im Stadion so (daneben) zu benehmen, wie es uns passt – das haben wir uns schließlich verdient.“ Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass ich mit dem Statement nicht pauschal unseren Block U (als das zumindest Support-technische Herz unseres Vereins) verurteilen möchte, sondern eben nur den O-Ton einiger Leute wiedergebe, die sich über die verschiedenen (Fan)Kanäle in einer wie immer absurd anmutenden „Guter Fan – böser Fan“-Diskussion mit solchen oder ähnlichen Aussagen zu Wort melden. Ob das Block-U-Gänger sind oder nicht, weiß ich nicht, ist eigentlich auch völlig egal. Und die aufmerksame Leserschaft wird spätestens jetzt sicher schon bemerkt haben, dass dieser Beitrag hier kein sonderlich wohlwollender ist.

Die Frage, die sich nun zunächst mal stellt, lautet: was war eigentlich so Schlimmes passiert? Nun, zu Beginn des Spiels gab es diese ziemlich beeindruckende und schön anzuschauende Pyroshow unseres Blocks (wobei die Babelsberger sich bezüglich einer Pyro-unterstützten Choreographie auch nicht haben lumpen lassen, wie die aus dem Heimblock (rechts außerhalb des Bildes) herüberziehenden Rauchschwaden möglicherweise erahnen lassen):

Über die Batterien an Silvesterraketen, die da abgeschossen wurden, kann man sicher lange und ausgiebig diskutieren und streiten, Fakt ist aber: eine geile Choreo ist eine geile Choreo ist eine geile Choreo. Dass der Mitteldeutsche Rundfunk dann der Meinung ist, in seinem Spielbericht die Interviews mit Trainer Andreas Petersen und Präsidiumsmitglied Sport Mario Kallnik so zu schneiden, dass die kritischen Aussagen der beiden für den gemeinen, wenig fussballafinen Fernsehzuschauer so klingen müssen, als wäre explizit (zunächst nur) diese Choreographie gemeint, ist eine ganz andere Sache. Aber in Zeiten, in denen die Medien Ultrá-Gruppierungen gern mal als „Taliban der Fans“ bezeichnen oder putzige Fernsehmoderatoren zu Demonstrationszwecken Kinderkleidung in Brand stecken (und nein, das werde ich Herrn Kerner nie verzeihen), wundert man sich als Stadiongänger ja nur noch über sehr wenig – und erwartet schon gar keine differenzierte Berichterstattung derjenigen Instanz, die ein bekannter Fanforscher unlängst als „Schmiermittel in der Diskussion um Gewalt im Fußball“ bezeichnete.

Auch hier gleich der Hinweis: natürlich ist es – ‚technisch‘ gesprochen – mit Sicherheit vereinsschädigend, wenn man im Stadion trotz geltender Verbote in dieser massiven Form (oder überhaupt) Pyrotechnik abbrennt. Keine Frage. Es ist für mich aber – eben differenziert betrachtet – ein himmelweiter Unterschied, ob dies einigermaßen kontrolliert im Rahmen zum Beispiel des Einlaufens der Mannschaften oder der Unterstützung einer großen Block-Choreographie passiert, oder ob man die Teile, die da abbrennen, bewußt und Gewalt und polizeiliche Reaktionen provozierend werfenderweis‘ in den Innenraum befördert. Kurzum – Pyro ist eben nicht gleich Pyro.

Dementsprechend ist aus meiner Sicht die im Video anzuschauende Situation auch gar nicht so problematisch. Da wird niemand vorsätzlich in Brand gesteckt, niemand verhauen und auch sonst kommt – erkennbar – keiner zu Schaden oder soll vorsätzlich verletzt werden. Und hätte man es im Block beim Zündeln zu Spielbeginn belassen, hätte später sicherlich auch niemand (außer Johannes B. Kerner und dem Mitteldeutschen Rundfunk) von „Randalieren und Chaoten“ gesprochen, die fast einen Spielabbruch provozierten. Genau das nämlich geschah im Anschluss an den 2-2-Ausgleichstreffer der Babelsberger, als plötzlich der Zaun erklommen, vorsätzlich ein Tor geöffnet und – allerdings eher halbherzig – aufs Feld gestürmt wurde. Das rief natürlich umgehend unsere Freunde und Helfer auf den Plan, die, anstelle die paar Hanseln, die da aufs Spielfeld turnen wollten, direkt in Gewahrsam zu nehmen, erstmal munter gefühlt den halben Block mit Pfefferspray eindecken (auf den Fernsehbildern beim MDR gut zu erkennen). Auch so eine Strategie, über die man diskutieren kann, aber gut. Einfach die Honks einkassieren, die in der Situation in den Innenraum wollen, Personalien aufnehmen und an den Verein melden, damit der wiederum die zu erwartende Strafe gleich an ebenjene durchreichen kann, und fertig ist die Gartenlaube. Genügend Uniformierte, die das eigentlich bewerkstelligen können müssten, waren ja zugegen. Aber vielleicht macht die Sache mit dem Pfefferspray ja auch einfach zu viel Spaß, man weiß es nicht.

Sinngemäß lauten die Argumente derjenigen, die nicht verstehen wollen oder können, wo bei der Platzsturm-Aktion eigentlich das Problem liegt, übrigens ungefähr so:

  • „Wir waren doch alle mal jung.“
  • „Von wegen ‚Randale‘ – in der DDR ging es zum Teil noch ganz anders ab.“
  • „Babelsberg ist doch selbst Schuld – was legen die auch den Gäste- so nah an den Heimblock!“ bzw. „Wenn der Babelsberger Block ständig mit irgendwelchen linksradikalen Parolen provoziert, müssen sie sich doch nicht wundern, wenn Unsere austicken! Sowas gehört nicht ins Stadion!“ (Ein höchst bedenkliches, aber mehr als einmal gelesenes Statement, das möglicherweise mal noch einen eigenen Beitrag erforderlich macht.)
  • „Wo ist denn das Problem? Es ist doch gar nichts passiert.“ Oder das oben bereits angeführte Statement:
  • „Ey, wir geben jedes Spiel alles, da wird man doch wohl mal über die Stränge schlagen dürfen.“

Jo. Ist klar. Und nur, weil ich beim Kinderturnen immer alles gegeben habe, wäre es auch voll okay gewesen, meiner Kindergärtnerin einfach mal so richtig schön eine aufs Maul zu hauen.

Um sich ein kleines bisschen zu verdeutlichen, wo das Problem(chenchenchen) liegen könnte, lohnt es sich eventuell,  unter anderem mal folgende Frage zu stellen: Was könnte wohl der Grund sein, dass es in einem Stadion Zäune gibt? Also solche, die das Spielfeld vom Zuschauerbereich trennen? „Na, damit man drüber klettern kann!“ werden jetzt wahrscheinlich einige unfassbar gewitzte Menschen antworten. Vielleicht, ja. Vielleicht ja aber auch, weil eben der gemeine Zuschauer auf dem Rasen (zumindest während des Spiels) nichts, aber auch gar nichts verloren hat. Dazu sind ja die Spieler da, deren Gehalt man mit Erwerb einer Eintrittskarte irgendwie auch mitfinanziert und die zu sehen man ins Stadion geht. Was anderes ist es sicherlich, wenn die eigene Mannschaft ein Pokalfinale gewinnt oder im letzten Saisonspiel den Aufstieg klar macht und die Anhängerschaft zum gemeinsamen Feiern auf den Rasen strömt – wobei auch da, zumindest in Sachsen-Anhalt, Team Green einiges dagegen hat.

Es gibt Länder, in denen gibt es mitunter gar keine Zäune. England, zum Beispiel. Aber in England gibt es auch nur Sitzplätze. In England gibt es außerdem auch ein Fahnenverbot im Stadion (so trug man mir zu). Mancherorts ist es sogar völlig verboten, während des Spiels überhaupt aufzustehen. Worauf ich hinauswill: Menschen, die der Meinung sind, sich aus was für Gründen auch immer im Stadion wie die wilde Sau benehmen zu können, haben aus meiner bescheidenen Sicht überhaupt kein Verständnis dafür, was für Privilegien sie und wir alle hier eigentlich genießen – und mit solchen völlig bescheuerten Aktionen auf Spiel setzen. Ganz sicher aber wird das Geschrei groß sein, sollte der Verband zum Beispiel plötzlich bekannt geben, dass das letzte Heimspiel im Jahr 2013, nämlich das gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig, vor leeren Rängen stattfindet. Oder wenn plötzlich die Maßgabe erfolgt, Auswärtstickets nur noch personalisiert erwerben zu können.

Man kann sich ja mal den Spaß geben und auf folgendes Gedankenexperiment einlassen: man stelle sich die letzten 2, 3 Fußballspiele oberhalb der Kreisklasse vor, die man besucht hat und visualisiere vor dem inneren Auge die jeweilige Fanblöcke. Kurz auf die Kulisse achten, sich die Fahnen noch mal vorstellen, das Einklatschen, die Fangesänge. Die Atmosphäre aufsaugen. Und jetzt, jetzt stelle man sich vor, wir hätten so etwas wie englische Verhältnisse (obwohl ich dem englischen Fußball da jetzt bestimmt massiv Unrecht tue, aber da aus Gründen der Effekthascheri jetzt nicht drumrum komme): keine Fahnen, keine Stehplätze, keine Vorsänger, die dem Block einheizen. Lediglich allerorten Fanzombies, die sich an Klatschpappen des Hauptsponsors festhalten und gegen Spielende überlegen, ob man nicht nächsten Samstag vielleicht doch wieder in die Oper oder ins Kino gehen möchte.

Ziemlich traurige Vorstellung und vor allem eine Form des Fußballkonsums, die es ja (der rotebrauseblogger möge mir den Seitenhieb verzeihen) nicht mal bei RB Leipzig gibt. Jedenfalls nicht nur.

Ich für meinen Teil bin es jedenfalls leid, Leuten in meinem Umfeld erklären zu müssen, dass ja, klar, einige Unverbesserliche beim Babelsberg-Spiel wieder austicken mussten und dass nein, natürlich nicht alle Clubfans krawallsuchende Haudraufs sind, sondern im Großen und Ganzen eigentlich recht umgänglich, zu einem großen Teil extrem kreativ, in jedem Fall aber leidenschaftlich und vielleicht auch ein kleines bisschen bekloppt. Ich möchte nicht mit gewalt- und krawallgeilen Leuten zusammen im Block stehen, die meinen Verein (ja, ich zahle da Mitgliedsbeiträge) als Plattform für irgendwelche abstrusen Männlichkeitsrituale mißbrauchen, die offenbar vor allem vorsehen, möglichst häufig und intensiv mit der Staatsmacht in den Infight zu kommen. Und vor allem möchte ich mich nicht für andere Clubfans schämen müssen, nur weil die vergessen haben, wie man sich als Gast in einem anderen Stadion zu benehmen hat.

Zugegeben, das ist jetzt möglicherweise alles ziemlich drastisch, gemessen an dem, was wirklich vorgefallen ist. Allerdings ist es ja eben nicht (nur) das Ereignis als solches, was mir den Kragen platzen lässt, sondern vor allem die völlig verquere Argumentation derjenigen, die solche Aktionen, wie versuchte Spielabbrüche oder sinnlose Platzstürme, noch bedingungslos gutheißen wollen. Immer und immer wieder. Und die es wahrscheinlich erst dann lernen und verstehen können, wenn der Verein und die Kurve auf englische Verhältnisse runtersanktioniert wurden.

Auf dass es soweit nie kommen möge!

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