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„Was ist das für Dich?“

einfache Frage

Die Winterpause, die sich inzwischen glücklicherweise deutlich dem Ende entgegen neigt, ist für Fußballfans in aller Regel ja eine eher dröge Zeit. Der lieb gewonnene Takt mit dem Wechsel aus Heimspiel und Auswärtstour ist wochenlang und unfreiwillig unterbrochen, Hallenturniere und Testspiele bieten allenfalls einen mäßigen Ersatz, man stellt verwundert fest, wie lang so ein Wochenende doch ist, wenn man es tatsächlich mal komplett zuhause verbringt und der wenig fußballaffine Teil des Freundes- und Verwandtenkreises jubiliert, weil man dann ja jetzt endlich auch mal Zeit haben müsste. Fantastisch. Aber es ist ja auch nicht alles schlecht, denn immerhin bietet die weitestgehend fußballfreie Zeit auch Gelegenheit, von dem ganzen Fußballtrubel mal einen Schritt zurückzutreten und sich selbst gewissermaßen aus der Vogelperspektive zu betrachten.

Anlass und Ausgangspunkt für diesen Text ist ein Gespräch, das ich kurz vor unserem Auswärtsauftritt beim FSV Frankfurt mit einer Kollegin führte, die mit dem Thema “Fußball” normalerweise so überhaupt gar nichts zu tun hat. Es war die Art von Gespräch, die man eben so führt, wenn man gut miteinander auskommt, das Wochenende vor der Tür steht und man sich darüber erkundigt, was beim jeweiligen Gegenüber in den nächsten Tagen so ansteht. Ich berichtete also begeistert, dass es an den Bornheimer Hang geht, fast der komplette Fanclub mitfährt, das sicher großartig werden würde und ich mich deshalb auch unabhängig vom letztendlich zu erwartenden Spielgeschehen richtig auf das Wochenende freue. Besagte Kollegin schmunzelte, hielt kurz inne und fragte dann mit einer Mischung aus ehrlichem Interesse und faszinierter Ahnungslosigkeit: “Was ist das für Dich?”

‘Gute Frage!’, dachte ich mir und merkte, dass mir eine kurze, knackige und einem Tür-und-Angel-”Was-machst-Du-am-Wochenende”-Gespräch angemessene Antwort nicht auf Anhieb einfallen wollte. Und je mehr ich in den folgenden Tagen und Wochen darüber nachdachte, desto stärker wurde das Gefühl, die Faszination “1. FC Magdeburg” gar nicht so richtig auf den Punkt bringen zu können. Grund genug also, der Sache an dieser Stelle mal etwas ausführlicher nachzuspüren.

Was ist also der FCM für mich? Der FCM ist für mich, unter der Woche für zweieinhalb Stunden Mitgliederversammlung siebeneinhalb Stunden Auto zu fahren und das völlig normal zu finden. Zum Beispiel. Oder den Ein-Mann-Ältestenrat des Fanclubs in aller Herrgottsfrühe in der mittelhessischen Provinz am Bahnhof abzuholen, um dann zu irgendeiner abstrusen Tour durch Deutschland zu starten. Irgendwann wird auf dieser Tour dann auch ein Fußballspiel stattfinden. Das soll nicht heißen, dass das (genau wie sein Ausgang) nicht wichtig ist – natürlich ist es das. Genauso wichtig ist es aber, auf ebenjener Tour von Frankfurt-Oberrad bis Liverpool alles durchzugehen, was die Woche über in der Fußballwelt so passiert ist. Irgendwann am Stadion X in Stadt Y die anderen zu treffen. Sich gemeinsam auf das anstehende Spiel einzustimmen. Sich darüber zu unterhalten, was bei allen gerade so los ist. Einfach Zeit mit seinen Leuten zu verbringen. Da freue ich mich in der Regel die ganze Woche drauf. Und ja, auch das ist natürlich der FCM, obwohl das alles mit dem Verein an sich nix und mit sportlichen Fragen schon gleich gar nichts mehr zu tun hat.

Der FCM ist für mich auch, bei jedem Heimspiel die immer gleichen Rituale peinlich genau ablaufen zu lassen. Die eine Tasse für den Frühstückskaffee, die obligatorische Kräuterbratwurst vor dem Stadion. Das Eintreffen im Block ca. eine Stunde  vor Anpfiff (und ja, ich weiß, dass ich meistens spät dran bin), verbunden mit der Freude darüber, die ganzen bekannten Nasen wiederzusehen und dass jemand großartigerweise wieder einen Platz freigehalten hat. Der FCM ist für mich, verlässlich Gänsehaut zu bekommen in dem Moment, in dem die Mannschaften den Platz betreten. Von der Wucht der Kurve bald von den Füßen geholt zu werden, wenn nach dem Einklatschen das “FUSS-BALL-CLUB MAG-DE-BURG!” durch das Heinz-Krügel-Stadion donnert. Tatsächlich wäre ich vor dem DFB-Pokal-Spiel gegen den FC Augsburg in genau dieser Situation fast mal umgekippt ob der unfassbaren Lautstärke und der Euphorie, die in dem Moment die Kontrolle übernommen hatte.

Die 90 Minuten plus x da unten auf dem Rasen sind also immer irgendwie Anlass, aber längst nicht nur Selbstzweck und dieses “zum Fußball fahren” ist eben deutlich mehr, als elf Menschen dabei zuzuschauen, wie sie sich bemühen, einen Ball hinter eine Kreidelinie zwischen zwei Metallstangen zu bugsieren, während elf andere Menschen versuchen, das zu verhindern und gleichzeitig die Kreidelinie zwischen den zwei Metallstangen auf der gegenüber liegenden Seite zu attackieren. Soweit, so gut und alles prima, aber: erklärt das eigentlich irgendwas?

Vielleicht muss man anders herum anfangen und sich die Frage stellen, wie das eigene Leben so aussehen würde, wenn der 1. FC Magdeburg und alles, was mit ihm zusammenhängt, darin überhaupt nicht vorkäme. Grusliger Gedanke, aber okay, wenn’s der Sache dient, sei das Gedankenexperiment an dieser Stelle einfach mal gewagt.

Ohne den 1. FC Magdeburg hätte ich, so viel ist sicher, niemals diesen Blog gestartet und über das Bloggen und Podcasten nicht die ganzen großartigen Kontakte geknüpft, die ich bisher so knüpfen durfte. Überhaupt hätte ich viele Leute vermutlich nie getroffen, die ich heute aber in meinem Leben auf gar keinen Fall mehr missen möchte. Ich würde mich vermutlich nicht mal großartig für Fußball interessieren.

Ich wäre dementsprechend mit einiger Sicherheit nie in Großaspach gewesen, wäre nie in Meuselwitz über Rindenmulchpfade durch den Wald zu einem Sportplatz gestapft, den sie dort “bluechip arena” nennen, hätte auf dem Weg nach Plauen niemals auf dem “längsten Bahnsteig Deutschlands” gestanden, wäre nie mit Klaus über die Autobahn Richtung Kiel gedonnert, hätte nie den Punk getroffen, der in Nürnberg beim Dönermann sturzbesoffen ein Schnitzel mit Sauerkraut bestellte, hätte nie auf dem heiligen Rasen im Ernst-Grube- und im Heinz-Krügel-Stadion gestanden, wäre nie nach einem denkbar knapp verpassten Aufstieg auf einem Plastiksitz zusammengesackt, hätte mir jede Menge Tage voll schlechter Laune erspart und wäre jeder Menge Tage voller Euphorie und Leichtigkeit verlustig gegangen… die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Die ganzen Erinnerungen. Die ganzen Freunde. Die ganzen Jahre.

Wenn ich so drüber nachdenke, lande ich dann doch immer wieder beim dem Satz, den ich im eingangs geschilderten Gespräch meiner Erinnerung nach mehr aus Verlegenheit denn Überzeugung spontan ausgesprochen habe. Der zwar, für sich genommen, voller Pathos ist, den ganzen Blödsinn aber unter dem Strich eigentlich doch ganz nüchtern und gut beschreibt:

Der FCM ist mein Leben.

Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass man nicht immer alles bis in den kleinsten Winkel durchdenken muss. Sich ein gutes Stück der kindlich-naiven Begeisterung erhalten sollte, die keine Rationalität, aber ganz viele Emotionen kennt. Und es vielleicht auch vermessen ist, für alles, was in Kopf, Herz und Bauch so vorgeht, eine Erklärung finden zu sollen. Denn eigentlich… tja, eigentlich lässt sich die Faszination “1. FC Magdeburg” ohnehin nicht groß in Worte fassen. Die kann man nur erleben. Manche gehen in die Kirche, wir gehen halt ins Stadion. Und es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass es dafür bald wieder reichlich Gelegenheit geben wird.

 

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