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Neuzeit

Zeitrechnung

1. FC Magdeburg – FSV Zwickau, 21. Spieltag, 1:2 (1:0)

Es ist ein komisches Gefühl, als kurz nach 6 der Wecker klingelt und das Gehirn versucht, die üblichen Spieltagsbläufe, die nun einige Wochen geruht haben, wieder ins Bewusstsein zu rufen. Duschen, für einen Kaffee bleibt keine Zeit, dann ab zum Bahnhof, kurz nach halb 8 fährt schließlich der Zug. Normalerweise ist die Schlaftrunkenheit zu diesem Zeitpunkt bereits der Vorfreude gewichen. Endlich wieder Fußball, endlich wieder HKS, endlich wieder normale Leute! Ein kleines bisschen Spieltagseuphorie ist auch heute durchaus vorhanden, das lässt sich nicht leugnen, aber irgendwas ist auch anders als sonst. Da sitzt dieses merkwürdige Gefühl im Bauch, rollt mit jedem Verdrängungsversuch genervt mit den Augen und will einfach nicht verschwinden.

Geredet, zeitgerechnet und gebildtafelt wurde in den vergangenen Wochen genug, heute nun soll mit neuem Übungsleiter also alles besser werden. Leistungsprinzip, Mentalität, Komfortzone und so. Und obwohl ich es seit den Vorweihnachtsereignissen mit Ignorieren, Schreiben, Zuhören und Besprechen probiert habe, weiß ich immer noch nicht, was ich von den ganzen Entwicklungen eigentlich halten soll. Ich bewundere diejenigen, die schnell wieder zur Tagesordnung übergehen konnten („Neuer Trainer, herzlich willkommen, voller Support, nach vorn schauen“) und die, die sich einfach auf den Spieltag freuen („Endlich ist die Winterpause vorbei, Attacke, ich hab‘ Bock!“). Ich würde das auch gern können, finde aber noch keinen richtigen Zugang.

Während der Zug Richtung Hannover rollt, wabern mir so einige Fragen durch den Kopf: Was, wenn der Start heute gründlich in die Hose geht? Wie wird das überhaupt auf der neuen, nun fertigen Nord? Wie wird sich die Stimmung entwickeln, wie der neue Trainer empfangen werden? Wer spielt? Gibt es Überraschungen bei der Aufstellung, die womöglich noch vor Beginn der Partie für einige Debatten im Kreis der großartigen Chaotinnen und Chaoten um mich herum führen werden? Wie ist die Mannschaft eingestellt, wie wird sie auftreten? Was gibt es taktisch zu sehen? Neue Zeitrechnung gut und schön, aber wie wird sie werden, diese neue Zukunft meines Herzensvereins? Eher so 2015/2016 oder doch so 2011/2012?

Und dann ist das Kribbeln plötzlich doch wieder da, als der Zug Helmstedt passiert und die Festungsstadt nur noch eine halbe Stunde entfernt ist. Und die Neugierde. Und die Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Freund*innen, die ich ja jetzt auch schon wieder viel zu lange nicht mehr gesehen habe. Fußball. FCM. Leben. Mal gucken, was das heute so wird an diesem 21. Spieltag. Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten, los geht es immer beim Stand von 0:0. Und irgendwie ist das ein seltsam beruhigender Gedanke.

Chancenwucher

Los ging es ja tatsächlich auch recht vielversprechend, wenngleich es schon enttäuschend war, dass nach zwei Minuten und einer großen Choreo nebst Blockfahne immer noch nur ein 0:0 auf der Anzeigetafel stand. Der Eine oder die Andere hatte sich von der „neuen Zeitrechnung“ sicher ein bisschen mehr erhofft. Geschenkt.

Der Trainer hatte die Mannschaft in einem 4-1-4-1 aufs Feld geschickt und sich vor Morten Behrens im Tor für Timo Perthel, Tobias Müller, Dustin Bomheuer und Dominik Ernst in der Viererkette entschieden. Im defensiven Mittelfeld lief Jürgen Gjasula von Beginn an auf, die Vierer-Reihe davor bildeten Marcel Costly, Rico Preißinger, Mario Kvesic und Sören Bertram. Im Sturm sollte Christian Beck für Gefahr sorgen.

Wie gesagt, der Auftakt gab der im Zug nach Magdeburg aufgekeimten Spieltagseuphorie direkt mal neue Nahrung, drei Minuten nach dem Anpfiff war nämlich tatsächlich ein Tor für die Richtigen gefallen. Costly hatte nach einem Ballgewinn seinen Kapitän auf der linken Seite bedient, der wiederum für Sören Bertram in der Mitte auflegte. Mit Schmackes landete der Ball im Netz, 1:0 für die Größten der Welt und irgendwo im Stadion dürfte Maik Franz ein ganzer Geröllhaufen vom Herzen gefallen sein. Wer konnte allerdings ahnen, dass das trotz bester Chancen der einzige blau-weiße Treffer des Tages bleiben würde?

Im weiteren Verlauf versuchten es die Gäste aus Zwickau mit Ballbesitzfußball, während der FCM auf Umschaltmomente lauerte. Einer davon hätte in der 23. Minute zwingend zum 2:0 führen müssen, als der wiedererstarkte Marcel Costly den Ball in die Zentrale auf Sören Bertram spielte, der sich plötzlich mutterseelenallein vor Johannes Brinkies im Zwickauer Tor wiederfand. Es ist mir ja immer noch ein Rätsel, wie es ein vermeintlicher Drittliga-Spitzenspieler nicht schafft, den Ball aus so einer Position wenigstens auf‘s Tor zu bringen. Aber okay, ich habe auch leicht reden und hätte mir selbst in dieser Szene vermutlich beide Beine gebrochen. Bertram jedenfalls gelang das Kunststück, die Kugel völlig ohne Not rechts am Tor vorbei zu legen, anstatt das sichere 2:0 zu erzielen.

Fünf Minuten später dann der nächste Riese, den diesmal Costly liegen lässt. Wieder gibt es einen Pass in die Tiefe (wofür Zwickau an diesem Nachmittag recht anfällig war), diesmal jedoch hat der Schütze nicht ganz so viel Platz wie Bertram vor ihm. War aber auch egal, weil der Abschluss furchtbar abrutscht und deutlich am Tor vorbeigeht.

Die letzten beiden, guten Gelegenheiten im ersten Durchgang gehörten schließlich Rico Preißinger. In der 41. Minute hatte er sich mit einem beherzten Dribbling bis in den Strafraum gearbeitet, seinen Schuss dann aber ein gutes Stück zu hoch angesetzt. Und kurz vor der Halbzeitpause war der Ball schön über die rechte Seite gelaufen und vom Mittelfeldmann technisch anspruchsvoll auf‘s Tor gebracht worden. Dort war dann aber Brinkies zur Stelle, der zur Ecke klärte.

Kurz darauf war Halbzeit. Der FCM hatte ein gutes, engagiertes Spiel gezeigt, Zwickau (bis auf einen abgefälschten Schuss in der Anfangsphase) keine echte Torchance erlaubt, seine eigenen Möglichkeiten aber fahrlässig liegen lassen. Und natürlich musste sich das rächen, aber als Fußballfan ist man ja mit dieser großartigen Grundnaivität gesegnet, die einem sagt: „Ach, das wird schon, Zwickau zeigt ja gar nix und überhaupt wird ja jetzt alles besser und anders und überhaupt.“ Nun ja.

„Hier regiert …“ wer anders

Bevor es nach ungefähr 65 Minuten hässlich wurde, machte der Club genau da weiter, wo er in Durchgang 1 aufgehört hatte, mit Chancenwucher nämlich. Erst brachte Marcel Costly nach 50 Minuten frei vor Brinkies den Ball nicht im Tor unter, weil der Keeper der Gäste stark mit dem Fuß zur Stelle war. Dann bediente er (also Costly) zwei Zeigerumdrehungen später und von links kommend Sören Bertram im Rückraum, dessen Direktabnahme der Zwickauer Torhüter unter sich begrub, bevor Christian Beck abstauben konnte.

Naja, und dann endete die neue Zeitrechnung vorerst wieder und die Gäste drehten die Partie. So einfach war das eigentlich. Ein Fernschuss von Zwickaus Morris Schröter war der Auftakt zu einer guten Phase der Sachsen, die nach 65 Minuten schließlich im Ausgleich mündete. Über rechts spielte sich das Team von Joe Enochs weitgehend unbehelligt bis in den Strafraum, den Querpass in die Mitte verwertete dann der Ex-Magdeburger Fabio Viteritti. Unfassbar irgendwie. Zu dem Zeitpunkt hätte der FSV Zwickau eigentlich schon mit zwei oder drei weiteren Gegentoren auf dem Rücken liegen müssen, stattdessen ging es nun wieder von vorn los. Also, kurzzeitig. Bitter auch: In dem Moment, in dem Zwickau den Angriff zum Ausgleich einleitete, war gerade ein „Hier regiert der FCM!“ angestimmt worden. Wir haben das dann mal ganz schnell wieder gelassen.

Und es wurde noch schlimmer; zwei Minuten nach Wiederanpfiff zappelte der Ball nämlich schon wieder auf der falschen Seite im Netz. Ein langer Schlag aus dem Mittelfeld wird von der FCM-Defensive zunächst per Kopfball geklärt, dann verliert aber Jürgen Gjasula den Ball an Davy Frick. Der legt zentral an der Strafraumkante für Gerrit Wegkamp auf; nach einem formschönen Schlenzer schlägt der Ball oben rechts in der Ecke ein. 1:2. Unklar.

Danach war sie dann wieder da, die Rat- und ein stückweit auch Hilflosigkeit. Der Coach setzte offensiv zwar alles auf eine Karte, indem er nach 72 Minuten Roczen und Steininger für Ernst und Kvesic brachte (in der 68. Minute war bereits Bell Bell für Perthel gekommen), genutzt hat es aber nullkommanix. Die einzige nennenswerte Torgelegenheit, die sich noch ergab, haute Sören Bertram nach 74 Minuten links neben den Kasten. Vorausgegangen war eine schöne Vorarbeit von Costly als Flankengeber für Beck, der wiederum den Ball im Strafraum gut festmachte und eben auf Bertram ablegen konnte. Nützt halt alles nur mäßig viel, wenn der Schuss dann nicht auf den Kasten kommt.

Es passiert dann: nichts mehr groß. Im ersten Heimspiel des Jahres nach all den tollen Worten der sportlich Verantwortlichen in der Winterpause. Mentalität und so. Man möchte nur noch mit dem Kopf schütteln. Zwickau verteidigte das jedenfalls gut und engagiert, der FCM kam nicht durch und im Endeffekt trat dann das denkbar ungünstigste Szenario ein: In der neuen Zeitrechnung ging gleich die erste Partie verloren. Und dann ausgerechnet noch gegen Zwickau, die seit 1972 in Magdeburg nichts mehr gerissen hatten.

Fazit:

Tja, was machen wir nun mit diesem Spielverlauf und diesem Ergebnis? Festzuhalten bleibt zunächst erst einmal, dass das komische Bauchgefühl vom Morgen offenbar jede Berechtigung hatte, sich breit zu machen. Normalerweise würden hier jetzt wohl so Sätze folgen wie: „Kein Beinbruch, der Trainer wird noch Zeit brauchen, seine Ideen umzusetzen“ oder „Naja, war halt unglücklich mit dem Doppelschlag und der schlechten Chancenverwertung vorher“. Und vermutlich stimmt beides sogar. Die Sache ist nur: Mit dem ganzen Bohai in der Winterpause hat die sportliche Leitung Mannschaft und Trainer jegliche Entwicklungszeit genommen, tolle Bildtafeln hin oder her. Dazu wurde eine Erwartungshaltung geschaffen, die sich natürlich nur dann produktiv nutzen lässt, wenn die Ergebnisse stimmen, Subtext so: „Jetzt ist es an der Zeit, zu liefern!“

Geklappt hat das im ersten Spiel des Jahres schon mal nicht und sollte die Mannschaft am kommenden Wochenende auch in Mannheim nichts holen, dürfte es wohl ungemütlich werden an der Elbe. Aber hey, was weiß ich schon, ich bin halt nur ein Fan, der Bildtafeln liest. Und im Zweifelsfall habe ich dann mal wieder irgendwas falsch verstanden, ganz auszuschliessen ist das derzeit ja nicht.

Andererseits: Vielleicht muss man ja auch nicht alles negativ sehen, es wurde ja ohnehin schon kritisch (und völlig korrekt) angemerkt, dass hier zuletzt so ein bisschen die Euphorie fehlte. Also, Freundinnen und Freunde, blicken wir doch vorfreudig auf die nächste Partie (hey, beim Tabellendritten, was kann da schon schief gehen?): In der nächsten Woche kommen ganz sicher noch die zwei Hochkaräter, die die sportliche Leitung schon seit 20 Monaten scoutet, längst an der Angel hat, bei der nur noch Kleinigkeiten zu klären (und zwei Wochen Probetraining zu absolvieren) sind und die uns sofort weiterhelfen. Und dann, liebe Leute, dann! Dann werden wir auf Jahre hinaus unschlagbar sein.

6 Kommentare

  1. Pingback: Blickrichtung unten - nurderfcm.de

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