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In der Achterbahn

Achterbahn

1. FC Magdeburg – Karlsruher SC, 33. Spieltag, 2:0 (0:0)

Leute, was für ein Spiel! Bestes Wetter, ein prall gefülltes Stadion, ein voller und gut aufgelegter Gästeblock, zwei Drittliga-Topteams, ein phasenweise rasender Heimanhang und ein 1. FC Magdeburg, der die geneigte Anhängerschaft im Verlauf der 90+3 Minuten gegen den Karlsruher SC auf eine Achterbahn der Gefühle schickte, bei der die wilde Fahrt mit einem immens wichtigen Heimerfolg endete – so muss Fußball sein, das ist hier nicht irgendeine Arena, das, meine Damen und Herren, sind die Größten der Welt!

Etwas nüchterner betrachtet, gelang dem FCM an diesem 33. Spieltag (auch aufgrund der Niederlage des SV Wehen Wiesbaden in Münster) ein großer Schritt in Richtung Liga 2, auch wenn natürlich immer noch 6 Spiele zu gehen und 18 Punkte zu vergeben sind. Wer gegen einen defensiv nahezu perfekt organisierten Gegner in einer Partie ohne große Torgelegenheiten und bei diesem Spielverlauf aber als Sieger vom Platz geht, der, na Ihr wisst schon…. der Traum lebt jedenfalls und nimmt immer konkretere Formen an. Gänsehautgedanken.

Jens Härtel entschied sich für dieses Duell im Aufstiegskampf für Jan Glinker im Tor, Nico Hammann, Andre Hainault und Steffen Schäfer in der Dreierkette, einem zentralen Mittelfeld mit Dennis Erdmann und Björn Rother, Tobias Schwede und Nils Butzen auf den Außenbahnen sowie Philip Türpitz links, Christian Beck zentral und Marcel Costly rechts in der Offensive. Und die im Stadion anwesenden Clubfans? Entschieden sich schon vor dem Anpfiff dafür, dem Karlsruher Anhang direkt mal zu zeigen, was sie hier wohl erwarten würde. „Kämpfen und siegen!“ schallte es beim Einlaufen der Mannschaften aus mehr als 20.000 Kehlen und das sollte gleichzeitig auch so etwas wie die Marschrichtung für die folgenden 90 Minuten werden.

Der FCM begann engagiert, versuchte, den Karlsruher Spielaufbau früh zu stören und einfach präsent zu sein – genau das, was wohl auch die Gäste aus dem Badischen auf dem Matchplan zu stehen hatten. So entwickelte sich eine Anfangsphase, die von jeder Menge Respekt voreinander und dem großen Bemühen geprägt war, bloß nicht den ersten Fehler zu begehen. Anders gesagt: Es entsponn sich eine höhepunktarme, aber spannende Partie, bei der früh feststand, dass es die große Chancenflut auf beiden Seiten wohl eher nicht geben würde. Die erste Strafraumszene gehörte nach 13 Minuten den Gästen: Nach reichlich Pingpong in der Magdeburger Abwehr hat Jan Glinker den letztendlichen Karlsruher Abschluss dann aber sicher und problemlos.

Auf der anderen, der Nordtribüne fernen Seite gab es nach einer guten Viertelstunde den ersten Aufreger: Christian Beck wird von Karlsruhes Kapitän Kai Bülow im Strafraum mustergültig abgeräumt, die Pfeife von Schiedsrichter Storks blieb allerdings stumm. Knifflige Entscheidung, weil Bülow wohl auch den Ball trifft, dennoch vielleicht eine 50:50-Szene, in der die Gäste diesmal das bessere Ende für sich hatten. Ansonsten passierte offensiv beidseitig wirklich wenig, hatten die Abwehrreihen beider Mannschaften die Angriffsbemühungen des Gegners insgesamt gut im Griff und lagen die Feldvorteile zunächst beim 1. FCM. Bis Andre Hainault der Meinung war, nach einer halben Stunde mal so ein bisschen am Spannungsregler zu spielen. Bei einem hohen Ball auf Schleusener verschätzt er sich auf der linken Defensivseite total, sodass Karlsruhes Top-Stürmer plötzlich frei auf das Tor zumarschieren kann. Im letzten Moment ist aber Steffen Schäfer dazwischen, kann in den Schuss von Schleusener sprinten und so Schlimmeres verhindern. Während den Clubfans auf den Rängen hier kurz der Atem stockte, zeigte diese Szene gleichzeitig auch hervorragend, wie aufmerksam man eben verteidigte und den Gegner mit vereinten Kräften vom Tor fernhalten konnte.

Für den KSC war spätestens die Aktion jetzt aber so etwas wie der Startschuss in eine Phase bis zur Halbzeitpause, in der die Gäste durchaus das bessere Team waren. Bereits vor Schleuseners Möglichkeit waren einige ruhende Bälle gefährlich geworden (23., 27.), Stück für Stück übernahm der KSC nun die Kontrolle und arbeitete sich, wenn schon nicht durch Chancen aus dem Spiel heraus, so doch wenigstens durch Standards in Richtung des Magdeburger Tores. Auffällig auch: Dem Club gelang es kaum einmal, aus den wenigen Karlsruher Ballverlusten Umschaltmomente zu kreieren, was letztlich ja auch für die hervorragende Defensivorganisation der Gäste spricht. Und trotzdem ergab sich in Spielminute 39 die riesige – und mit Abstand beste – Torgegelegenheit im ersten Durchgang: Björn Rother aus dem Halbfeld mit einem tollen Ball auf den in den Strafraum einlaufenden Philip Türpitz. Der kann die Kugel runternehmen, den bis dahin beschäftigungslosen Benjamin Uphoff im Karlsruher Kasten umkurven, hat aus 3, 4 Metern das leere Tor vor sich – und donnert den Ball über selbiges fast auf das Dach der Südtribüne. Wahnsinn, wie er diesen Riesen liegenlassen konnte, wenngleich der Ball kurz vor dem Abschluss noch einmal unglücklich versprang. Trotzdem: gegen einen Karlsruher SC mit seinen bis dato lediglich 22 Gegentoren in 32 Spielen sollte man solche Chancen lieber nutzen.

Wenige Augenblicke später wird der Zwischenstand aus Münster eingeblendet: Der SV Wehen Wiesbaden war gerade in Rückstand geraten. Vielleicht ganz gut, dass Türpitz den Ball vorher nicht versenkt hatte – die über 20.000 Clubfans hätten womöglich das Stadion abgerissen. Bis auf einen schicken Distanzschuss aus der zweiten Reihe, den Jan Glinker mit den Fingerspitzen noch über die Latte lenkte, passierte derweil in Durchgang 1 nicht mehr viel, torlos verabschiedeten sich beide Mannschaften in die Kabinen.

Halbzeit 2 begann dann eigentlich genau so, wie auch Halbzeit 1 begonnen hatte: mit sehr kontrolliertem Spiel beider Mannschaften, aber auch mit einem FIFA-PS4-Gedächtnis-Dribbling von Tobias Schwede nach 48 Minuten. Trickreich und sicher auch mit etwas Glück lässt er vor dem Strafraum 3, 4 Gegenspieler stehen, kann dann aber leider nicht mehr abschließen – entsteht daraus ein Treffer, hätte man die restlichen „Tor-des-Monats“-Wahlen für das Jahr getrost absagen können. So aber blieb es spannend und gab es weiterhin kaum Strafraumszenen, bis der Wahnsinn in Blau-Weiß dann irgendwann ab der 60. Minute langsam, aber sicher seinen Lauf nahm.

Erst war es Christian Beck, der nach scharfer Flanke von Butzen vor der Nordtribüne den Ball am kurzen Pfosten per Kopf nicht ins Tor drücken konnte (60.), dann der KSC, der bei einem hohen Ball in den Strafraum zunächst Sieger blieb, bis Glinker die Kopfballablage sicher fangen konnte (65.). Schließlich Marcel Costly, der sich mit Schwede an die Strafraumkante kombinieren konnte, wo dann allerdings der allerletzte Punch fehlte.

Joa. Und dann kam Philip Türpitz. Vom wenige Minuten vorher eingewechselten Marius Sowislo gelangt der Ball auf der linken Seite zum Mann mit der Nummer 8. Der hat ein wenig Platz, macht noch vier, fünf Schritte, schaut, zieht ab – und schweißt den Ball aus 20 Metern passgenau in den linken Winkel. Un.fass.bares Tor! Das Verrückte dabei: Türpitz guckt noch hoch, will den Schuss genau so, Uphoff ahnt früh, wo die Kugel einschlagen wird und hat trotzdem überhaupt keine Chance. Mit Vergleichen soll man ja immer vorsichtig sein, aber: Ein Lionel Messi hätte bei diesem Tor sicher auch zumindest mal anerkennend genickt. Irre. Während der KSC den Ball unten auf dem Rasen wieder Richtung Mittelkreis bewegte, musste man sich auf der Nordtribüne erst einmal sortieren, diverse Menschenknäuel entwirren, Kleidungsstücke suchen und überhaupt mal wieder klarkommen. Die Wucht, mit der die Euphoriewelle über die Kurve schwappte, hatte man in der Form auch schon länger nicht mehr erlebt.

1:0 jetzt also in einem Null-Chancen-Spiel, mehr oder weniger. Das Stadion schon so halb ekstatisch, der KSC mit wenigen Ideen, der Club mit einem guten Maß an Abgeklärtheit und dem einen oder anderen Nadelstich nach vorne. Sah gut aus, konnte so bleiben. Sieben Minuten vor dem Ende wird Christopher Handke für Tobias Schwede eingewechselt und somit also die Defensive gestärkt. Nur noch ein paar Minuten. Das sollte doch reichen! Erneut ist es aber Andre Hainault, der noch einmal Würze in die Partie bringt. Einen hohen Ball köpft er zunächst in die Füße der Karlsruher Offensivkräfte direkt vor dem Sechzehnmeterraum. Florent Muslija kommt an den Ball, dringt mit mächtig Tempo in den Sechzehner ein – und wird nahe der Grundlinie von Hainault 1a weggegrätscht. Schiedsrichter Storks bleibt wenig anderes übrig, als auf den Punkt zu zeigen. Es durfte einfach nicht wahr sein.

Das Duell hieß nun also Schleusener gegen Glinker, der kurz vor dem Strafstoß via Zettel noch ein paar Anweisungen von Philip Türpitz erhielt. Schleusener läuft an, schießt schwach mittig nach links…. und Glinker pariert tatsächlich, auch der Nachschuss brachte keinen Ertrag. Was für ein Spiel, das wieder einmal mehrere Jahre Lebenszeit von der Uhr genommen haben dürfte. Spätestens jetzt war allerdings auch klar, dass die Mannschaft sich diesen Erfolg wohl nicht mehr würde nehmen lassen. In der 89. Minute wechselte Jens Härtel ein drittes Mal, Marcel Costly hatte Feierabend und machte für Felix Lohkemper Platz. Felix Lohkemper? Das war doch der, der schon in Unterhaching den entscheidenden Pass zum letztendlichen Siegtreffer gegeben hatte…

Es läuft die 92. Spielminute, drei Minuten hatte der Unparteiische als Nachschlag festgelegt. Besagter Lohkemper bekommt den Ball per Kopf von Christian Beck auf dem rechten Flügel und schickt sich an, das in dieser Szene einzig Richtige zu tun: die Kugel zu behaupten, möglichst bis zur Eckfahne zu dribbeln und da irgendwo Zeit zu gewinnen. Links hatte sich aber Christian Beck davongestohlen und noch einmal in Richtung Strafraum orientiert. Lohkemper muss das gesehen haben, zieht also noch einmal das Tempo an, tunnelt Pisot, sprintet in den Sechzehner und serviert dort scharf für Beck, der dank einer völlig unsortierten Karlsruher Abwehr am langen Pfosten freistand.

Der Rest geht im Delirium unter. Bierbecher fliegen, Menschen auch, man liegt sich in den Armen, ist gleichzeitig kollektiv am Ausrasten und kann sein Glück kaum fassen: Führungstraumtor, Elfmeter gehalten und mit der quasi letzten Aktion des Spiels den Deckel draufgemacht. Und auch wenn Christian Beck in dieser Saison deutlich weniger trifft: Für die wichtigen Tore steht er dann eben doch richtig. 2:0, Abpfiff – „Unser Club ist unbesiegbar…“

Fünf Punkte beträgt der Vorsprung auf Wehen Wiesbaden nun, ein Nachholspiel hat man noch in der Hinterhand und in der kommenden Woche geht es gegen einen geschwächten (Brandstetter und Andrich sind gesperrt) und schwächelnden Verfolger ins direkte Duell. In Wiesbaden, wo man das Auswärts- wohl zu einem Heimspiel machen wird. Der Traum, wie gesagt, nimmt immer deutlicher Gestalt an. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir sind der große 1. FC Magdeburg und wir haben dieses Jahr die Chance, im für uns wahrsten Wortsinn Historisches zu schaffen. „…niemand kann uns aufhalten!“ Und das ist kein Druck, das ist eine Ehre. Hört her, 2. Liga: Die Nummer 1 der Welt sind wir!

Die Pressekonferenz zum Spiel (via YouTube)

Die Zusammenfassung des Spiels bei „Sport im Osten“ gibt es ebenfalls auf YouTube.

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