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Auszeit

Auszeit

Länderspielpause. Herrlich. Ich gebe zu, diese Auszeit vom Fußball ist recht wohltuend (Bierhoff, Löw und Co. interessieren mich etwa so sehr wie der andere Proficlub aus Sachsen-Anhalt, also gar nicht). Wobei „Auszeit vom Fußball“ streng genommen gar nicht stimmt, weil ich es natürlich nicht lassen konnte und gestern spontan in der Hessenliga vorbeigeschaut habe. SC Waldgirmes gegen VfB Ginsheim hieß die Paarung, 230 Menschen waren ins „Stadion in den Lahnauen“ gekommen, das eigentlich nur ein Sportplatz mit Rasen- und Kunstrasenplatz ist (gespielt wurde auf Kunstrasen), dafür aber mit einem Stimmungsblock aus fünf Personen nebst dreier Zaunfahnen, Trommel, Bierkasten und gelegentlichen Schlachtrufen. Immerhin. Aber ich schweife ab. (Endergebnis 2:3, beste Amateurfußballunterhaltung, höchste Dramatik und eine leckere Rindswurst vom Grill, dazu ein alkoholfreies Bier, das vom verdutzten Bierwagenpersonal erst noch aus der Vereinskneipe herangeschafft werden musste).

„Auszeit vom Fußball“ meint in diesem Fall also wohl eher „Auszeit vom Tagesgeschäft“, also vom gewohnten Wochenend-Rhythmus, bestehend aus Zugfahrt – Übernachtung – Spiel – Zugfahrt – Spielbericht und Wochenstart, Podcast-Vorbereitung, Podcast, Wochenendvorfreude, Zugfahrt – Spiel… So ungefähr. Nun haben es Auszeiten ihrem Wesen nach an sich, dass sie Gelegenheit bieten, mal ein bisschen durchzuschnaufen, ein wenig Abstand zu gewinnen und vielleicht einfach mal in Ruhe über Dinge nachzudenken. Und die Sache, über die ich endlich mal in Ruhe nachdenken muss, ist eigentlich eher eine Frage: Warum tangiert es mich emotional so gut wie gar nicht, welchen Tabellenplatz der 1. FC Magdeburg derzeit in der 2. Bundesliga einnimmt?

Okay, das gestellte Thema mag fast schon obszön klingen und der Gedanke dahinter ist ja auch irgendwie merkwürdig: Da betreibt einer einen Fußballblog, quatscht außerdem noch einmal die Woche über den Herzensverein und nimmt dann aber die Tabellensituation des 1. FC Magdeburg lediglich zur Kenntnis. Und kein Witz: Ich müsste jetzt tatsächlich nachschauen, auf welchem Platz wir ganz konkret stehen, aus dem Kopf weiß ich das einfach nicht. Vielleicht haben die Ersten jetzt hier schon aufgehört zu lesen, verdenken könnte ich es ihnen jedenfalls nicht.

So richtig bewusst wurde mir der Umstand, dass ich an einige Debatten im Moment emotional nicht anschlussfähig bin, in den letzten Tagen bzw. genauer: nach dem Dresden-Spiel. Da gab es dann plötzlich (oder vielleicht auch schon vorher, dann habe ich es einfach nicht mitbekommen) so Rechenspiele, die Auskunft darüber gaben, wo der Club stehen würde, wenn alle Spiele nur 80 Minuten dauern würden oder wie viele Punkte wir mehr hätten, wenn der FCM häufiger eine Führung über die Zeit gerettet hätte. Nicht falsch verstehen: Ich kann absolut nachvollziehen, warum man solche Überlegungen anstellt, außerdem soll sich selbstverständlich jede und jeder so mit dem Club beschäftigen, wie sie oder er es für richtig hält. Das ist mir wirklich wichtig: Es geht mir null darum, das zu diskreditieren. Es ist nur so, dass ich bauchgefühlsmäßig eher genervt auf die entsprechenden Tweets und Aussagen reagiert habe (falls das an der einen oder anderen Stelle zu sehr durchkam: Sorry! Ernsthaft.) und mich dann fragte, was diese Reaktion eigentlich über mich sagt. Und ob ich mir Sorgen machen muss.

An dieser Stelle müsste ich wohl weitere Fragen anschließen, die über die eingangs gestellte hinausgehen. Etwa die hier: Was ist eigentlich der 1. FC Magdeburg für mich? Und darf es mir – im Moment jedenfalls – überhaupt egal sein, ob wir 15., 16., 17., 18. oder 5. sind?

Um die letzte Frage gleich mal zu beantworten: Ja, ich glaube schon. Am Ende ist die Ente fett und aktuell ist es aus meiner ganz persönlichen Sicht völlig unerheblich, ob wir über oder unter dem Strich stehen. Dass wir jeden Punkt brauchen, den wir kriegen können, weiß ich auch so und dass jede der verbleibenden acht Partien Endspielcharakter haben könnte, auch. Auf die Art und Weise, wie ich meine FCM-Leidenschaft auslebe, hat das (glaube ich zumindest) überhaupt keinen Einfluss. Ich unterstütze die Mannschaft im Stadion jetzt nicht lauter oder leiser, nur weil wir als 12. oder 1. oder 18. ins Spiel gehen. Auch auf die Idee, mir jetzt mal nicht den größeren Teil des nächsten Wochenendes ans Bein zu binden, um meine Mannschaft spielen zu sehen, würde ich nicht kommen, nur weil der FCM vielleicht gerade auf einem Abstiegsplatz steht. Und auch hier noch mal die Meta-Ebene: Das macht mich jetzt nicht zu einem besseren oder schlechteren Menschen oder schlimmer noch: zu einem tolleren Fan als dem, der vielleicht nur kommt, wenn der Club erfolgreich ist. Das Ding ist: Für mich ist das einfach so. Der 1. FC Magdeburg bestimmt den Jahrestakt, die Urlaubsplanung, kurzum: mein ganzes Leben. Ich kenne viele Menschen, die das für reichlich bescheuert halten und kann das sogar nachvollziehen. Ändern würde ich trotzdem nichts, warum auch? Und das bringt mich dann zur nächsten Frage: Was ist eigentlich der 1. FC Magdeburg für mich?

Die naheliegende Antwort ist die folgende: Nach meiner Frau ist der FCM das Großartigste, was mir in meinem Leben passiert ist. Ich darf Clubfan sein, besser wird es halt nicht mehr. Bevor das im Kopf ein aussprechbarer Gedanke wird, ist das erstmal so ein wohlig-warmes Bauchgefühl. Der Club ist Heimat, Freundeskreis und Lebensmittelpunkt. Das war er schon in Liga 4, das wurde er nochmal mehr in Liga 3, das hat sich in Liga 2 zum Glück nicht verändert und würde mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit in Liga 1 (also in zwei Jahren) genauso sein. Nach all der Zeit, die ich nun schon ins Stadion gehe, ist das eigentliche Spiel selbstverständlich immer noch wichtig und natürlich ärgere ich mich nach wie vor über Niederlagen oder freue mich, wenn wir gewonnen haben. Das Spiel an sich ist inzwischen aber vor allem auch: ein Anlass.

Da ich nicht in Magdeburg wohne, ist der Club ein hervorragender Grund mehr, regelmäßig nach Hause in die schönste Stadt an der Elbe zu kommen. Spielbesuche bedeuten außerdem auch: Zeit mit den Leuten verbringen zu können, die mir unheimlich wichtig sind. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, aber bis auf ganz wenige (also: zwei) Ausnahmen trägt inzwischen mein gesamter Freundeskreis Blau-Weiß. Zum Zeit-mit-guten-Freunden-verbringen sind Auswärtsspiele sogar noch besser; was haben wir uns nicht schon über Gott und die Welt unterhalten, Pläne geschmiedet, Blödsinn gequatscht, Ratschläge gegeneben, Lebensweisheiten geteilt und erhalten, uns den Kopf zerbrochen, gelacht, gejubelt, geflucht und was weiß ich nicht noch alles. Naja, und wenn man über Anlässe spricht, muss man natürlich auch über diesen Blog hier reden. Und den Podcast. Und die „111 Gründe…“, die demnächst noch einen Kollegen ins Regal gestellt bekommen. Der FCM hat mein Leben so nachhaltig bereichert, dass ich den Gedanken, wie wohl alles gekommen wäre, wenn mich der Club nicht irgendwann erwischt hätte, gar nicht zu Ende denken kann.

Das alles ist jedenfalls ein großes Glück. Und wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass ich dem Endspurt in der zweiten Liga relativ gelassen entgegensehe. Klar, kann sein, dass wir am Ende einen der Plätze belegen, die den direkten Abstieg bedeuten. Auch möglich, dass wir in die Verlängerung müssen und noch mal eine Relegations-Ehrenrunde gegen Wiesbaden drehen. Oder wir bleiben gleich drin, was, da kann es ja keine zwei Meinungen geben, natürlich das beste Szenario darstellen würde.

Der Punkt ist einfach: Egal, wie das Ding am Ende ausgeht, der FCM ist halt (für mich jedenfalls) so viel mehr als nur ein Fußballclub. Ich gehe jetzt bald 20 Jahre regelmäßig zum Fußball, habe den FCM im Ernst-Grube-Stadion gegen Meuselwitz Unentschieden spielen und auswärts in Bielefeld gewinnen sehen. Aufstiege, Pokalsiege, letzte Plätze, Trainerwechsel, tolle Verpflichtungen, Skandale und Skandälchen usw. usf. sind, auf die Zeit gesehen, ja irgendwie immer nur singuläre Ereignisse. Mindestens genauso wichtig ist doch aber eigentlich das, was dazwischen passiert.

Das heißt natürlich nicht, dass man nicht kritisch sein kann und sollte. Oder dass man (wenn es soweit ist) darüber reden muss, warum eine Saison so verlief, wie sie eben verlaufen ist. Oder dass ich mich, wie oben schon geschrieben, nicht über Niederlagen schwarz ärgern oder über Siege wie Bolle freuen kann. Über allem steht aber eben der Club und das, was er für mich bedeutet. Und darauf hat der momentane Tabellenplatz, ich sagte es bereits, überhaupt gar keinen Einfluss.

Jedenfalls für den Moment. Spätestens im Mai wird es auch hier wieder vorbei sein mit der Gelassenheit, da muss ich mir wohl nichts vormachen. Selbstredend werden dann nicht nur dem Herzensclub, sondern auch den Vereinen die Daumen gedrückt, die gerade gegen die direkte Konkurrenz ranmüssen. Und es wird gerechnet, sehr viel gerechnet, und das allseits beliebte „Was wäre, wenn…?“-Spiel gespielt, ist doch klar. Für den Moment aber ist es vielleicht keine schlechte Idee, die Länderspielpausenauszeit noch ein bisschen zu genießen, jetzt, wo ich die Sache mit dem Tabellenplatzdesinteresse für mich erst einmal einigermaßen sortiert habe. Und am Freitag, da geht es ja glücklicherweise schon weiter im gewohnten Trott, der solcherlei Gedanken erstmal wieder in den Hintergrund treten lässt. Wobei „gewohnter Trott“ natürlich auch Quatsch ist, steht doch der Umzug auf die Süd an und muss man dort erst einmal sehen, wie sich alles sortiert. Aber das ist eine andere Geschichte, die ganz sicher ein andermal erzählt werden wird.

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