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Die längsten 5 Minuten

9. Spieltag

1. FC Magdeburg – SC Paderborn, 9. Spieltag, 1:0 (0:0)

Es kommt ja im Freundes- und Bekanntenkreis immer mal die Frage auf, warum man sich das alles eigentlich antut. Dienstag, 19 Uhr, Heimspiel im Heinz-Krügel-Stadion, nachdem man doch gerade erst vor ein paar Tagen für den Freitagabend-Auftritt der Herzensmannschaft in Zwickau quer durch die Republik gegondelt war. Dann sitzt man im Auto und in einem hellen Moment denkt man sich so: „Stimmt irgendwie. Ist schon reichlich bescheuert, mitten in der Woche drölfhundert Kilometer zu fahren, um 90 Minuten Fußball zu gucken“. Und trotzdem reift auf dem Heimweg und irgendeinem gottverlassenen Stück Autobahn die Erkenntnis, dass man es ja doch immer wieder tun würde. Insbesondere dann, wenn man Partien wie die gegen Paderborn am 9. Spieltag live erleben darf: Erster gegen Dritter, zwei Topteams gegeneinander und eine Begegnung, die das Label „Spitzenspiel“ zu jedem Zeitpunkt verdient hatte.

Jens Härtel entschied sich gegenüber der Auswärtsniederlage in Westsachsen für das zweite Spiel der englischen Woche erwartungsgemäß für eine deutlich veränderte Anfangsformation: Für Christopher Handke rutschte Steffen Schäfer in die Dreier-Abwehrkette neben Nico Hammann und Richard Weil, im zentralen Mittelfeld spielte Dennis Erdmann für Marius Sowislo neben Björn Rother, die Außenbahnen besetzten Michel Niemeyer und Nils Butzen, während Tobias Schwede und Christian Beck in die Startelf zurückkehrten und Felix Lohkemper und Julius Düker ersetzten. Philip Türpitz begann derweil wieder auf der rechten Offensivseite.

Bei bester Stimmung und in einem mit 16.826 Zuschauern für einen Dienstagabend gut gefüllten Stadion übernahm zunächst der Club die Initiative, wenngleich über die gesamte erste Hälfte gesehen der Gast aus Paderborn ein wenig mehr vom Spiel hatte. Es entwickelte sich die erwartet enge Begegnung zwischen zwei Mannschaften auf Augenhöhe, in der der FCM nach einer Viertelstunde die erste kleine Chance des Spiels verzeichnen konnte. Philip Türpitz hatte gesehen, dass Paderborns Keeper Leopold Zingerle recht weit vor seinem Tor postiert war und probierte es einfach mal mit einem langen Ball aus gut und gerne 40 Metern. Der Schuss geriet allerdings ein wenig zu flach, sodass Zingerle lässig und außerhalb des eigenen Strafraums per Kopf klären konnte.

Auf der anderen Seite wurde es immer dann ein wenig brenzlig, wenn Paderborn es flach und schnell versuchte. Die blau-weiße Abwehr stand aber sicher, sodass es für die erste richtig gute Torchance der Gäste einer feinen Einzelaktion von Marlon Ritter bedurfte. Sein Abschluss aus 20 Metern klatschte an die Latte – Jan Glinker hatte dem Ball mit der Außennaht seiner Torwarthandschuhe gerade noch die dafür nötige Höhe mitgegeben. Ansonsten blieben Torraumszenen Mangelware, was aber, auch wenn das irgendwie paradox klingen mag, der Qualität der Begegnung keinen Abbruch tat. Viel spielte sich im Mittelfeld ab; beide Teams versuchten, mit ihren jeweiligen Mitteln der Wahl zum Erfolg zu kommen, neutralisierten sich dabei aber auf recht hohem Defensivniveau gegenseitig.

Während es Paderborn immer wieder mit Steilpässen aus der Zentrale in die Spitze probierte, forcierte der FCM das bekannte Flügelspiel. Allerdings machte man es den Gästen aus Ostwestfalen dabei mitunter auch ziemlich einfach; so zum Beispiel nach 35 Minuten, als Philip Türpitz aus aussichtsreicher Position von rechts einen schnörkellosen Flachpass in die Mitte spielte, Leopold Zingerle den Ball aber vor allen anderen sicher aufnehmen konnte. Bereits einige Minute vorher hatte sich der Ex-Magdeburger nach einer Ecke auszeichnen können (27.), die er zunächst aus der Gefahrenzone faustete. Den anschließenden Nachschuss von Türpitz aus 16 Metern hält er dann stark.

Inzwischen war auch atmosphärisch ordentlich Pfeffer in der Partie, was zu einem doch etwas größeren Teil an Schiedsrichter Benjamin Brand lag, der sicher nicht seinen besten Tag erwischt hatte. Paderborn nutzte das clever, indem man sich auch nur bei der Ahnung einer Berührung des Gegenspielers schnell fallen ließ und so immer wieder in aussichtsreiche Freistoßpositionen kam. Muss man nicht gut finden, aber wenn der Schiedsrichter es einem derart anbietet, dann nutzt ein Spitzenteams eben auch solche Stilmittel. Zählbares kam dabei glücklicherweise nicht rum und überhaupt wurde es im ersten Durchgang vor dem Tor von Jan Glinker nur noch einmal richtig gefährlich: In der 40. Minute versuchte es erneut Marlon Ritter, schön bedient von Wassey, mit einem Abschluss, den Glinker nur prallen lassen kann. Der Nachschuss dann aber eher eine Rückgabe und die FCM-Abwehr resolut.

Auf der Gegenseite prüfte Nico Hammann seinen ehemaligen Mitspieler Zingerle in der 42. Minute noch einmal mit einem satten Freistoß aus etwa 30 Metern, der sich flatterballmäßig in die linke untere Ecke senkte. Der Paderborner Keeper parierte aber auch diesen Ball stark. Bald darauf war dann Halbzeit und auch wenn es beidseitig gute Chancen gab, ging das 0:0 zu diesem Zeitpunkt in einer unterhaltsamen Partie durchaus in Ordnung.

Durchgang 2 startete zunächst mit einer letztlich ungefährliche Paderborner Ecke in Minute 48 und nur zwei Zeigerumdrehung später mit einem irre lauten „FCM“-Wechselgesang, in den herein der Club sich auch direkt seine erste Torraumszene erarbeitete. Erneut ist aber Zingerle zur Stelle, der den Flachpass im Strafraum problemlos kassieren kann, bevor es gefährlich wurde. Derweil drehten jetzt Block U und die restlichen Tribünen so richtig auf und gab es erstmals im Heinz-Krügel-Stadion so etwas wie eine „FCM-Wechselgesang-Schal-Laola“. Schönes Ding und immer wieder spannend, wie spontan aus bekanntem Support neue Dinge entstehen.

Weniger neu indes die Proteste gegen den DFB. Auch an diesem Spieltag gab es wieder Spruchbänder in Richtung Verband und den Versuch eines „Scheiß DFB!“-Wechselgesangs, der diesmal witziger Weise allerdings eher zwischen Nordtribüne und Gegengerade als zwischen Block U und Gästekurve zustande kam. Wäre man böse, könnte man sagen: Paderborn ist halt, wenn man die etwa 200 Mitgereisten auch beim gemeinsamen Protest nicht hört. Was dem Auswärtsmob gegenüber allerdings sicherlich etwas unfair ist – gegen über 16.000 Clubfans kann man stimmlich schon mal untergehen.

Sportlich wurde es nach etwa 55 Minuten wieder interessant: nach einer Magdeburger Ecke kommt der SC Paderborn zum Kontern und diesmal ist es Jan Glinker im Magdeburger Kasten, der ordentlich weit aufgerückt war. Die Gäste dementsprechend mit einem Abschlussversuch fast vom Mittelkreis, der aber knapp rechts am Tor vorbei ging. Paderborn war nun am Drücker; der FCM versuchte derweil, das Spiel bei eigenem Ballbesitz zunächst zu beruhigen und den Gästen eben keine Möglichkeiten zu eröffnen, ins Laufen zu kommen.

Und dann, nach 61 Minuten, Christian Beck mit dem Tor des Tages, das allerdings zu je einem Drittel auch Michel Niemeyer und Björn Rother gehört. Letzterer mit einem passgenauen, hohen Ball aus der Zentrale auf Niemeyer an der linken Strafraumkante. Der lässt seinen Verteidiger mit etwas Glück aussteigen, kann selbst abschließen, bedient aber den mitgelaufenen Christian Beck in der Strafraummitte. Abschluss, Zingerle wohl noch leicht dran, letztlich aber ohne Chance, als der Ball links im Tor einschlägt. 1:0 für die Größten der Welt, endlich das erste Punktspieltor für Christian Beck und ein Zeitpunkt, der für den Führungstreffer kaum besser hätte sein können.

Der bis dato ungeschlagene Tabellenführer musste nun also kommen, und das tat er auch. Wütend zwar, aber im Stile einer Spitzenmannschaft spielte der SCP einfach konzentriert weiter und hätte sich in der 69. Minute für den engagierten Auftritt eigentlich belohnen müssen. Kurz vor einem weiteren Steilpass auf Sven Michel verspekuliert sich Richard Weil zentral in der Abwehrkette völlig, macht so den Passweg überhaupt erst auf und ermöglicht Michel, vollkommen frei am Strafraum an den Ball zu kommen. Der macht noch 2, 3 Schritte und schließt flach in die rechte Ecke ab – aber Jan Glinker ist mit einer super Parade da und bewahrt seine Farben vor dem Ausgleich. Riesending für Paderborn, Großtat unseres Keepers und weiter 1:0.

Die Gäste machten jetzt das Spiel, während der Club auf Konter lauerte und so langsam die Phase eintrat, in der man gefühlt alle anderthalb Sekunden auf die Anzeigetafel schaut, wie lange es denn noch dauern würde, bis endlich abgepfiffen wird. Die Antwort jedes Mal: Viel zu lange. Viel, viel zu lange.

In der 78. Minute kassierte Björn Rother seine fünfte gelbe Karte der Saison und fehlt damit gegen Aalen – genauso wie übrigens Dennis Erdmann, der sich bereits in der ersten Hälfte für ein Foul an ihm nur zwei Minuten später kernig revanchierte. Dass man Erdmann besser nicht foult, weil das irgendwann im Spiel noch mal ordentlich weh tun würde, sollte sich inzwischen eigentlich auch bis nach Paderborn rumgesprochen haben…

In Minute 79 hatte ‚Erde‘ dann Feierabend, für ihn kam Marius Sowislo in die Partie. Tarek Chahed ersetzte wenig später Tobias Schwede und Christopher Handke schließlich Björn Rother, was in der Endphase der Partie zu einem Fünfer-Abwehrriegel (Chahed – Hammann – Weil – Handke – Schäfer) führte und deutlich machte, dass es Jens Härtel jetzt nur noch darum gehen konnte, den knappen Vorsprung über die Zeit zu bringen.

Die längsten 5 Minuten des Tages begannen dann am Ende der regulären Spielzeit. Es ist ja immer interessant, wie Menschen mit spannenden Schlussphasen umgehen: Da gibt es die, die stimmlich noch mal alles raushauen und energisch supporten und dann solche, die vor lauter Anspannung nahezu reglos im Block stehen und diesen verdammten Abpfiff herbeisehnen. Ich gehöre wohl zur letzten Kategorie. In der ersten Minute der Nachspielzeit kommt der Ball noch einmal zu Marius Sowislo, der auf der rechten Seite aufziehen und frei aufs Tor schießen kann. Aber der Kapitän ist nun mal kein Philip Türpitz, der dem Keeper zur Not auch einfach mal humorlos die Farbe aus dem Trikot donnert. Stattdessen ein dennoch ordentlicher Schuss, den Leopold Zingerle letztlich problemlos hält. Verdammt.

Noch mal Paderborn. Alles nach vorne, nur noch lange Bälle, aber die Magdeburger Abwehr steht. Abstoß jetzt und mitten rein der erlösende Pfiff: Benjamin Brand mit seiner besten Aktion an jenem Tag. 1:0, Heimsieg und das Ende eines packenden Duells zweier Drittliga-Spitzenteams, die in dieser Form sicherlich noch den einen oder anderen Spieltag mehr an der Tabellenspitze werden mitmischen dürfen.

Eine halbe Stunde nach Abpfiff rollte die Karawane dann wieder Richtung Autobahn. Mit dem Wissen zwar, dass man in jener Nacht wohl nur so mäßig viel Schlaf bekommen wird, aber eben auch der Antwort auf die Frage, warum sich das alles immer wieder antut: Wegen Partien wie dieser, wegen Abenden wie diesen, wegen Menschen wie denen, mit denen man zum Fußball fährt und am Ende natürlich und vor allem „für die Stadt und den Verein, ist doch klar!“ In diesem Sinne – nächster Halt: Aalen!

2 Kommentare

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